Das Talk-Orakel

Der Blick, der durch die Glaskugel der Talkshow in die Zukunft fällt, lässt für die deutsche Mannschaft nichts Gutes ahnen.

Will, Kerner, Beckmann, Plasberg, Maischberger, Illner, Jauch - die Talker regieren den Fernsehabend. Womöglich noch mehr. Schon vor Monaten sah man im Veranstaltungskalender die Europameisterschaften leuchten, plante die Sendung und kam gemeinsam zum selben Thema. So konnte man in der Woche vor dem Turnier in allen Talksendungen das Gleiche sehen. Ahnungsloses Gelall über Fußball. Zusätzliche Munition wurde gratis geliefert. Aus Düsseldorf vom Platzsturm, aus der Stehtribüne mittels Pryrotechnik. Die versammelten Diskutanten waren sich einig: der Untergang ist nah. Früher war alles besser. Phrasenreiches Lamento mit Lametta. In diesen Minuten sitze ich an tippend an diesem Blog und im Hintergrund läuft die Fortsetzung der niveaulosen Fußball-Rauschens, der Sport1-Stammtisch mit Wontorra, Matthäus, Roger Cicero (!), Thomas Strunz und einem Thomas-Anders-Lookalike, der vermutlich bei der BILD beschäftigt ist. Philipp Köster, Chef-Redakteur von 11Freunde, ist der einzige, der in der endlosen Dunkelheit für erhellende Momente sorgt. Der Rest der Wortbeiträge bewegt sich auf Niveau des Porzellan-Phrasenschweins in der Tischmitte.

"Fußballgott oder Vollpfosten - wie unbarmherzig ist Fußballdeutschland?", unter diesem Motto diskutierten unter anderem Norbert Blüm und Carlo von Tiedemann. Bei Maischberger fanden sich unter anderem Marijke Amado und Bernd Stelter als Experten auf dem Sofa. Die Maischbergersche Runde war besonders finster. Für ballesterischen Sachverstand waren die beiden Alkoholiker Lattek und Töpperwien zuständig. 70er-Jahre-Nostalgie in Reinkultur. Und so wurde beispielhaft vorgeführt, was allen Talkrunden zu eigen ist: Sie besprechen und belabern die Vergangenheit. Die Gegenwart kommt selten vor. Die Zukunft rein gar nicht.

Hinterher, wenn die Zukunft eingetreten, sieht man vieles klarer. Am Morgen nach dem deutschen Verzweiflungssieg gegen Portugal und der niederländischen Niederlage bemerke ich, dass ich es vorher hätte wissen müssen. Marijke Amado als Experten des holländischen Fußballwesens, die fantasielose Niederlage gegen Dänemark lässt sich erklären. Von Tiedemann, Stelter und Töpperwien sprechen über den deutschen Fußball. Mario Balser sekundierte mit Einlassungen zur Emanzipation. Kein Wunder, dass wir uns auf dem Platz zu einem mühsamen Einszunull duselten, das an düstere deutsche Ergebnisfußballzeiten erinnerte. Vollständig wurden die Talkshow-Orakel durch den glänzenden Werner Schneyder. Er sprach im Zusammenhang mit den Choreografien der Ultras von "faschistoiden Versammlungsritualen" - ein Vergleich, der zwar durchaus zutrifft, aber in seiner kabarettistischen Überhöhung, Österreichs Scheitern in der Qualifikation im Nachhinein rechtfertig.

Taugt die Talkshow tatsächlich als Orakel? Dann steht's schlecht um den deutschen Fußball. Gerade diskutieren Matthäus, Strunz, Cicero und Wontorra über das, was in der deutschen Mannschaft verbessert werden muss. Matthäus spult seine Floskeln ab, fordern einen, der das Ruder rumreißt. Strunz sekundiert und zählt die alten, sogenannten Führungsspieler auf. Die sprechende Bildzeitung nominiert Ballack. Da bleibt mir nur auf Philipp Köster zu hoffen und darauf, dass wir im nächsten Spiel auf eine weiterhin indisponierte Marijke Amado treffen.