Angekommen in der zweiten Liga

Die Propheten sind in der zweiten Liga angekommen. Zweifellos. Runde 50 Vorhersehungsexperten haben sich festgelegt. Ist Stuttgart auch in der zweiten Liga angekommen? Einige düstere Gedanken dazu.

Kürzlich wollte Prophet Andreas Zweigle vom formidablen VfB-Blog vertikalpass.de wissen, wie es mir gehe. Mehr beiläufig setzt er eine fürsorgliche Frage hinzu: Ob ich denn schon in der zweiten Liga angekommen sei? Zugegeben, die Frage hat mich sehr gefreut. Sehr mitfühlend, wirklich. Aber eine schnelle Antwort hatte ich nicht parat. Mal echt: Bin als Fan in der zweiten Liga angekommen? Also mental. Spiele ich bereits auf Zweitligaaugenhöhe? Kann ich die neue Liga schon ertasten, riechen oder schmecken? Fühl ich mich so zweitklassig, wie es sich für einen Bundesligaabsteiger gehört? Oder geht es mir noch viel zu gut?

Zunächst will ich erwähnen, dass wir in Stuttgart dieses Problemchen nur fast, aber nicht ganz exklusiv haben. Die 96er unter den Propheten teilen es. Allerdings mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass sie sich schon seit März seelisch auf die neue Herausforderung vorbereiten konnten. Uns Stuttgarter hat es erst im Mai so richtig alternativlos erwischt, diese Frage, ob wir die Demütigung eines Montagsspieltages überhaupt überleben werden. Vielleicht sollte ich mich bei den zahlreichen Lautern-, Nürnberg-, Karlsruhe-Fans umhören, um zu erfahren, wann der Zeitpunkt gekommen ist, an dem man behaupten kann, man wäre zweitligaangekommen.

Sag mir quando, sag mir wann?

Gilt es bereits, wenn ich in Sandhausen auf dem Getriedefeld hinter der Nachbargemeinde parke, um dann die drei Kilometer durch den Hardtwald zum Stadion zu marschieren? Liegt dort etwa "angekommen"? Oder liegt "angekommen" in Aue? Dorthin muß der VfB übrigens Anfang Dezember, wenn im Nachbartal der Weltcup der Nordisch-Kombinierten Station macht - und mehr Zuschauer anzieht als ein lausiges Zweitligaduell im unteren Mittelfeld der Tabelle.

Oder ist "angekommen" vielleicht schon im Oktober? Wenn wir statt eines Altweibersommers ein veritables Pisswetter im Talkessel haben, und obendrauf noch eine 0:3-Heimniederlage gegen Greuther Fürth im heimischen Stadion serviert bekommen, nur um danach bei einem Bier unter Freunden zuzugeben, dass man gegen Fürth auch mal verlieren kann, dass der Gegner wirklich stark war und dass wir an diesem Abend echt keine Chance gehabt hatten.

Oder kann ich erst im Frühjahr so richtig in der zweiten Liga angekommen sein? Also dann, wenn ich feststelle, dass selbst mit einer ordentlichen Siegesserie ("ein Lauf!") für meinen Verein kein Aufstieg mehr drin ist - und mir der Typ, der im Block neben mir steht, beim jedem Gegentor ausrechnet, wieviel Differenz wir gegenüber dem Tabellenplatz besteht, der zum Relegationsspiel gegen den Dritten der dritten Liga berechtigt?

Oder ist "angekommen" vielleicht schon vor der Saison, wenn man auf die bereits gefüllten Ligatabellen schaut, also dorthin wo alle Vereine noch mit null Punkten auf dem ersten Platz geführt werden. Die Vereine werden dann nämlich alphabetisch geordnet, was zur Folge hat, dass Aue oben und Stuttgart ziemlich unten steht. Hilft dieser Blick für's Ankommen? Ich glaube schon.

Oder... bin ich längst...

Könnte doch sein: Ich bin schon längst zweite Liga. Mehrere Indizien sprechen dafür: Eines trägt den Namen Jos Luhukay. Als Fan kannst du die zweite Liga förmlich einatmen, wenn Dich der Stadionsprecher vor dem Spiel anbrüllt: "Und unser Trainer heißt Jos ..."

Buhu. Wenn Du auf diesen Moment vorbereitet bist, dann bist Du angekommen. Oder wenn Dein Top-Einkauf und die große Versprechung für die Zukunft Simon Terrodde heißt. "Simon Terrodde in guter Frühform" schreibt SWR online. Apropos, kennt eigentlich noch jemand den Namen Leo Bunk, den Torschützenkönig der zweiten Bundesliga Nord, den wir von Blau-Weiß 90 nach Stuttgart holten? Wenn ich mich richtig erinnere, hatte der damals auch eine gute Frühform. Aber ich schweife ab.

Lieber Andreas, ich wollte Dir antworten, ob ich schon in der zweiten Liga angekommen bin, und ich meine "Ja, es war an einem Montagabend." An einem Montagabend im Mai übrigens in der Stuttgarter Gaststätte Brett. Alle sassen wir dicht gedrängt, viele Propheten anwesend, kein Stehplatz mehr frei. Und alle sahen wir, wie wir unsere letzte Hoffnung in Bremen final fahren lassen mußten. Dabei hat der sensationelle Teilzeitcatenaccioitaliener das Ding gleich selbst ins eigene Netz gedroschen – und zwar so slapstickartig, dass wir alle dachten, er wäre schon vier Spielzeiten lang Innenverteidiger unserer Stammformation. Ich wußte: Zweite Liga, weit kann's nicht mehr sein. Und tatsächlich: Es kam die 61. Spielminute – mein persönlicher Zweitligamoment. Da gefiel es unserem Trainer Kramny unsere Zukunft einzuwechseln. Sie hieß Mart Ristl und irrte ziellos durchs Mittelfeld. Wie Bambini rannte er hinter der Kugel her, nur im Unterschied zu den Kleinen mit 10 Metern Abstand. In der Folge wurde aus einem Rückstand ein 2:6-Debakel. Ristl stolperte über den Platz wie einer, der gerade mit der zweiten Mannschaft von der dritten Liga in die vierte Klasse abgestiegen war. Man konnte es kaum ansehen. Ich bestellte ein Bier. Es war einer der Momente, an dem Du weißt, dass Du eigentlich gar nichts mehr zu bestellen hast. Drum schnell noch ein Bier, bevor's einer merkt. Die ersten Gäste verzogen sich während der letzten Spielminuten. Keine 10 Minuten danach war die Kneipe leer. "Du ich geh jetzt, ich muss morgen schaffen." Ich war der Letzte, nippte an meinem schalen Bier und dachte: "Morgen ist gottseidank schon Dienstag."

Noch eine letzte prophetisch-düstere Prognose: Beim Heimspiel gegen Greuther Fürth leert sich das Stadion beim zweiten Gegentor ebenso schnell wie das Brett, damals im Mai. Aber diese Bestätigung, lieber Andreas, brauch ich eigentlich nicht mehr. Ich bin doch schon ganz zweite Liga. Angekommen.

Kleiner Nachtrag: Prophet Carsten Gier, seines Zeichens Arminia-Bielefeld-Fan, hat mich mit seiner ganzen Zweitligaroutine darauf aufmerksam gemacht, dass meine Sandhausen-Bilder etwas veraltet sind. Neue Pics gibt's hier:http://stadionphotos.blogspot.de/2016/04/sandhausen-hardtwaldstadion.html