Auf dem Bolzplatz.

In der englischen Woche fiel das Tor des Jahres. Damit hat sich Marc Arnold für meine Bolzplatztruppe qualifiziert. Ich werde ein Ablöseangebot nach Wolfsburg schicken. Vertragsdetails jetzt im prophetischen Bulletin des 28. Spieltags.

Wenn man den Propheten Roleder ausnimmt, liegt die Vermutung nahe, dass so mancher Prophet über ein gerüttelt Maß an Bolzplatzerfahrung verfügt. Beim Tabellenzweiundneunzigsten, dem Propheten Martin Idler weiß ich es genau. Es gab in unserer gesamten Sonntagskickertruppe keinen unangehmeren Gegenspieler als Martin Idler. Er gab den klassischen Typus eines unerbittlichen Verteidigers, und wenn er sich ins Angriffsspiel einschaltete, geschah das mit ungeheurer Wucht. Man musste hellwach sein, denn er spielte schnörkellos und suchte meist den direkten Weg zum Tor. Auch beim prophetischen Tabellen-Neunundzwanzigsten Thomas Breier weiß ich über gemeinsame Bolzplatz-Erfahrungen zu berichten. Allerdings muss man weiter zurück blättern. Dortin, wo die Seiten der Erinnerung nur undeutlich beschrieben sind. Es war auf dem Auricher Bolzplätzle (Nicht das Aurich bei Bremen, das kleine Aurich bei Vaihingen/Enz ist gemeint). In diesem Dorf gab es unterhalb der Kirche einen formidablen Platz, wo ich mich täglich mit Thomas und den anderen traf. Ich meiner ungefähren Erinnerung ist das so festgehalten: Immer wenn Thomas und ich in einer Mannschaft spielten, gewannen wir auch. Ohne Ausnahme. Bis einer von uns aus Aurich wegzog.

Beim Kicken auf dem Bolzplatz stellt das Bilden der Mannschaften immer ein kritischen Moment dar. Während man früher noch „wählte“, was ich stets als etwas diskriminierend empfand, stellten meine späteren Bolzplatz-Teams auf Mannschaftsbildung via Diskussion um. Ziel war es, etwa gleichstarke Mannschaften zu bilden, damit unser Kick recht spannende und ausgewogen bleiben sollte. Naturgemäß kam es auch beim Ausdiskutieren zu Konstellationen, auf die man sich regelrecht freute, weil man in einer spielerisch wie charakterlich einwandfreien Mannschaft gelandet war. Im Gegensatz dazu gab Tage, an denen man mit selbsternannten Starkickern ins Team kam. Hartplatzhelden von der Sorte: „Ich spiel nicht ab, ich kann alle umtricksen, ich schieß alle Tore und wenn mir was misslingt, dann liegt es daran, dass ich nur schlechte Zuspiele bekomme“. Wenn diese Sorte Starkicker dann mal 3:0 hinten lag, war meist alles zu spät. Dann wurden sie patzig, hörten auf vernünftig zu kicken, und fielen meist nur auf, weil sie die anderen pausenlos anraunzten.

Very british auf dem Bolzplatz.

Bei meinen Sonntagskickern habe ich mich immer sehr gefreut, wenn ich mit Marc Lawrence in einer Mannschaft war. Er ist Brite durch und durch, womit ich meine, dass er beste klischee-britische Spielweise auf dem Platz brachte. Das allergrößte spielerische Talent war er nicht. Aber er kämpfte bis zum Umfallen. Ich mochte es mit Marc zu spielen. Er tat jedem Team charakterlich gut. Warum ich mich an Marc erinnere? Nun, in der letzten Woche habe ich dieses kleine Fundstück aus dem Netz gezogen. Eine Szene von einem britischen Bolzplatz – auch wenn es Mark gegenüber arg ungerecht ist, die Szene mit der Erinnerung an unsere gemeinsamen Bolzplatz-Auftritte in Zusammenhang zu bringen.

Am letzten Spieltag hatte ich 90 Minuten Gelegenheit mir Gedanken zu machen, mit welchem der aktuellen Bundesligaspieler ich gerne in der Mannschaft spielen würde. Dies ist nur eine höfliche Umschreibung für die Tatsache, dass nach diesem Spieltag der gesamte Block 47 des Stuttgarter Stadions weiß, mit wem ich gewiss nicht zusammen kicken würde. Mit Vedad Ibisevic. Mit bulletinfähigen Worten lässt sich seine Leistung nur ungenügend beschreiben. Ibisevic verkörpert die Bundesliga-Sorte der selbsternannten Helden, die demonstrative Arroganz mit lausiger Technik, mangelndem Einsatz und fehlender Laufbereitschaft verbinden. Dass er bei jeder angedeuteten Berührung mit schmerzverzerrten Gesicht auf dem Boden liegt, und scheinbar noch mehr leidet als Arjen Robben in seiner besten Schauspielerphase ist nur noch das i-Tüpfelchen. Bevor ich mich wieder in stadionähnliche Ragezustände tippe, will ich mich lieber drauf konzentrieren, wen ich gerne in meiner Mannschaft hätte. Ich meine, von den üblichen Thiagos, Reus’, Huntelaars und den anderen Stars abgesehen.

Meine Mitspieler in spe.

Nach der zurückliegenden englischen Woche haben sich zwei Spieler aufgedrängt, die ich loben möchte, bevor ich die verdienten Propheten lobe. Der eine ist Domi Kumbela. Ein tadelloser Stürmer, nicht immer erfolgreich, aber immer kampfbereit. Ein Vogts auf der Mittelstürmerposition. Etwas farbiger zwar, nicht ganz so blass wie Vogts, aber in den Terrier-Qualitäten ebenbürtig. Das schätzt man nicht nur in Braunschweig. Was hat es mich gefreut, dass ausgerechnet ihm ein wunderbarer Fallrückzieher gelang! Das 3:1 gegen Mainz war wirklich eine Wucht. Heißester Anwärter auf das Tor des Jahres. Und sicherlich auch noch im November ein echter Kandidat auf diesen Titel, weil die Deutschen bekanntlich dazu neigen, den Fallrückzieher als letztgültige Spitze der Torkrone zu sehen. In Lateinamerika ist das übrigens anders. Dort werden Alleingänge weitaus höher eingeschätzt als Fallrückzieher. Jedenfalls hätte ich mich arg gefreut, wenn Kumbela auf den Auricher Bolzplatz einen solchen Fallrückzieher verwandelt hätte. In meinem Team.

Als mein persönlicher Favorit, was Lieblingsmitspieler auf dem Bolzplatz betrifft, darf seit dieser Woche Marc Arnold vom VfL Wolfsburg angesehen werden. Sein 3:1 in Bremen, welches fast zeitgleich mit dem Kumbela-Treffer in Braunschweig fiel, ist mein persönliches Tor des Jahres. Welch ein genialisches Ding! Weil in diesem kurzen Ausschnitt nur die Endphase zu sehen ist, würdige ich das Tor gerne mit einer Nacherzählung. Dieser Zusammenhang ist für die Bolzplatzqualität von entscheidender Bedeutung. Es kam so: Der Wolfsburger Olic stürmt über rechts allein auf Raffael Wolf, den Bremer Torhüter zu. 1:1-Situation. Torhüter gegen Stürmer. Olic, der routinierte Stürmer sollte eigentlich treffen, müsste treffen, sollte das Dinge eigentlich grußlos und staubtrocken einschieben... Tut es aber nicht. Den harten Schuss kann der Bremer Torhüter klären. Olic hätte eventuell auch den mitgelaufenen Marc Arnold bedienen können. Aber er hatte sich anders entschieden. Eigentlich ist die Szene vorbei. Der Ball, den der Bremer Torhüter klärte, kommt jenseits am linken Strafraumeck wieder runter. Bequeme 25 Meter liegen zwischen Ball und Tor. Auch Marc Arnold und die Bremer Verteidiger müssen sich auf die andere Seite orientieren. Bremer Verteidiger sind inzwischen genügend vorhanden. Die Kontersituation ist eigentlich vorbei. Arnold, der am nächsten zum abprallenden Ball stand, holt sich die Kugel und scheint im ersten Moment gemächlich zu überlegen, was wohl am besten mit der neuen Spielsituation anzufangen wäre. Das geht zwei bis drei Schritte ziemlich nachvollziehbar, bis der plötzlich der Ball in der kurzen Dreiangel des Bremer Tores einschlägt. Was davor passiert war, konnte man nur in der Zeilupe erkennen. Arnold drehte sich blitzschnell und hämmerte die Kugel fast noch aus der Drehung in ein Eck, in das der Ball eigentlich gar nicht hingehen konnte. Es war ein Tor bar jeder Vernunft. Und andererseits ein typischer Bolzplatztreffer. Ansatzlos. Von allen spieltaktischen Zwängen befreit. Und auch befreit vom Ärger, dass Olic zuvor kläglich versagte. Das ist ein Mitspieler! Ärgert sich nicht. Und sagt sich: Wenn’s mein Kumpel nicht hinkriegt, mach ich das Ding eben selbst. Solche Typen brauchst Du auf dem Bolzplatz. Ich als Olic, der gern mal alleine vorm Tor scheiterte, muss das wissen.

Prophetische Klasse.

Soweit mein Lob für Marc Arnold. Jetzt aber schnell auf die prophetische Tabelle geschaut, wo mich Oliver Schneider wieder an der Spitze abgelöst hat. Ich und den Tabellendritten Matthias Wimpff habe ich bereits gewürdigt. Auch der viertplatzierte Prophet Deichtim Bandisch hat besondere Anerkennung verdient. Ich erinnere noch genau, wie er anfangs der Saison messerscharf diagnostizierte „Dutt wird nix“ oder so ähnlich. Aus dem Süden will ich ihm nach dem Bremer Sieg in Hannover nun zurufen „Dutt kann man auch anders sehen!“ Immerhin, lieber Tim, habt ihr es geschafft, ein ordentliches Punktepolster zwischen den Abstieg und dem aktuellen Tabellenplatz zu legen. Gegen das Traumtor von Arnold war eh kein Kraut gewachsen. Und wenn man die möglichen Punkte, wie die gegen Hannover so abgezockt einfährt, dann kann man sicherlich mit der Leistung zufrieden sein. Zugegeben, ein Euroleague-Platz wird nicht mehr drin sein. Dutt war ja auch nicht beabsichtigt, oder?

Heimlich, still und leise schleicht sich auch Prophetin Jacqueline Häcker nach vorne. Sie hatte sich an den letzten Spieltagen stets im Verfolgerfeld aufhalten, jetzt scheint die Karius Grafik Designerin zum Sprung anzusetzen. Plus 9 Plätze, damit sind höhere Ambitionen klar angemeldet. Apropos Karius. Unter diesem Namen erscheinen nicht nur formidable Designer, der Name bürgt auch in der Bundesliga für solide Qualität. Ich verfolge natürlich immer die Kicker-Noten unseres Freundes Karius auf der Mainzer-Torlinie. Mit besonderer Freude stelle ich fest, dass auch die kicker-Notengeber endlich entdeckt haben, wie prächtig der Bursche den Kasten sauber hält. Ihn halte ich in meiner Bolzplatztruppe schon lange für gesetzt.