Bei Blatters im Keller

Live aus Absurdistan. Was passiert, wenn man Fußball mit Religion vergleicht? Man landet im Keller der FIFA, wo sich der überlegene prophetische Tabellenführer längst breit gemacht hat. Hicks. Ein investigatives Bulletin aus dem Herzen der Schweiz - passend zum 10. Spieltag.

So genau kann ich mich nicht mehr erinnern, warum ich mich vor einigen Jahren für den anmaßenden Titel „Propheten der Liga“ entschieden hatte. Irgendwas mit Vorhersehung sollte es sein. Etwas Prophetisches, das erschein gerade passend, nichts Schwächeres, auf keinen Fall. Heute schaue ich zum ersten Mal ins ebenfalls allwissende Partnerportal, um zu schauen, was ich angerichtet habe: „Als Prophetie bezeichnet man die Verkündigung von Botschaften einer Religion durch Personen, die sich durch einen Gott berufen ssehen“ – so definiert es wikipedia. Ich erfahre weiterhin: „Solche Propheten (...) legitimieren ihre Botschaft im Unterschied zu einer rational begründeten Prognose und zum Wahrsagen durch den Auftrag einer Gottheit, den sie als Institution, Audition und/oder Vision zu empfangen und öffentlich weiterzugeben beanspruchen.“

Wie eng die Beziehung von Fußball und Religion ist, haben viele der hier versammelten Propheten schon in ihrer eigenen Kindheit erfahren. Später kann man es als Taufe bezeichnen, als man das erste Mal ins Stadion ging. Ein Erweckungserlebnis. Nicht selten wurden wir bereits beim Stadion-Besuch zum Fan. Nach der Taufe die Kommunion. Als wir zum ersten Mal das Trikot unseres Lieblingsspielers trugen. Spätestens jetzt war man vollständiges Mitglied der Fan-Gemeinde. Bei mir im Dorf sprach der Pfarrer auch immer von der Gemeinde. Er meinte die Kirchengemeinde. Wie angeboren die quasi-religiöse Verehrung für die Kicker ist, das bestätigt übrigens dieser 3-Minuten-Spot sehr eindrucksvoll.

When Kids Meet Their Football Idols

Den Fans des Fußballgotts ist ihre Organisation genau so unheimlich wie vielen Gläubigen die Kirche. Kirche und FIFA spielen nicht auf Höhe der Zeit. Vom Präsidenten des FC Sion stammt die Behauptung, dass sich Sepp Blatter versehentlich für den Papst hielt. Oder etwas Größeres. Schließlich sei seine Fußballgemeinde viel größer als die katholische. Darum hat der Gottgleiche längst den Überblick verloren. Ebenso wie seine Jünger. Beim Vatikan weiß man längst nicht mehr, wo die katholische Kirche ihre Zig-Milliarden angelegt hat. Dem Fußball geht’s genau so. Dunkle Geschäfte. Schwarze Kassen. So wie die Bibel ihre Gleichnisse erzählt, passieren im Fußball die Sommermärchen. Solche Geschichten schreibt nur der Fußball, sagen die Reporter. Stimmt nicht. Korruption gibt’s auch anderswo. Wie naiv erscheint die deutsche Fußball-Gemeinde, wenn sie Putin, Blatter, Bin-Sonstwas für korrupt hält, aber andererseits beharrlich davon ausgeht, dass ausgerechnet wir, das reiche Deutschland ein Welt-Turnier auf legale Art und Weise bekommen haben. Und das, wo die Erfinder der Korruption im Fußball in Herzogenaurach geboren sind. Adi, das glaubt doch kein Mensch, oder?

Und jetzt also das neue Fußballmuseum in Dortmund. Wieso fällt mir dazu der Dom von Limburg ein? Ach...

Bleiben wir besser dort, wo wir uns auskennen, besser gesagt, wo sich Max Christian Graeff auskennt. Der gottesgleiche Prophet Graeff hat inzwischen 116 Punkte auf dem Konto, und ich glaube fast, er hat die Tabelle nicht vorhergesagt, sondern er hat die Fäden selbst in der Hand. In dem er erst seine Prophezeitung eingeloggt hat – und dann die Bundesliga so steuert, dass sie wie magisch seiner Prophezeiung folgt. 116 Punkte! Ich wiederhole das und setze ein Ausrufezeichen. Das ist harter Stoff. Damit kommt Graeff langsam in die Punktzahlen, die später in der Saison für einen Sieg reichen. Und das schon jetzt. Ich bin gespannt, ob er weiter an den Fäden der Liga so ziehen kann, dass er vorne bleibt.

Der Abstand des Propheten Graeff sollte uns zu denken geben. 16 Punkte Differenz auf den Zweitplatzierten. Ich gebe zu: Ich kann mich an eine solch turmhohe Überlegenheit nicht erinnern. Haben wir eine Erscheinung? Sind die Hasenohren, die Prophet in seinem Bild offenbart, etwa seine Antennen, mit der er die Signale des Fußballgottes ortet? Oder hat er, der Freigeist aus Luzern, etwa ein geheimes Tunnel zur FIFA-Zentrale nach Zürich gegraben – wo er mit dem göttlichen Sepp im Weinkeller sitzt, wo die beiden sich schlapp lachen, weil der eine Papst und der anderen erleuchtet, praktisch gemeinsam gottesgleiches Paar - wogegen wir nur winzige pseudprophetische Lichtchen? Oder ist er der uneheliche Bruder von Tebartz-van Elst, also desjeningen Auserwählten des Fußballvolkes, der Gott schon immer etwas näher war als andere - und daher sich schon im ersten Leben ein wenig mehr gönnen durfte als andere. Bei Tebartz-van Elst sind es 16 goldene Wasserhähne, beim Propheten Graeff 16 Punkte.

Jaja, manchmal ist es eben schwierig, wenn man mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen klebt – und sich dann erklären muss, wie es zu Dingen kommen konnte, die nur zu erklären sind, wenn man an etwas Übersinnliches glaubt. Apropos glauben: Wer vermutet, dass nur Prophet Graeff zu Höchstleistungen fähig ist, der hat die Rechnung ohne die Prophetin Diana Elmer und den Propheten Markus Hammann gemacht. Was die Beiden gemeinsam haben, können sie nur ahnen. Aus der Tabelle lese ich ab, dass beide synchron 54 Plätze gut gemacht haben, und beide nun auf Platz 27 rangieren. Damit haben beide den Titel „Senkrechtstarter des Spieltags“ errungen und müssen jetzt eben sehen, wie sie gemeinsam auf Platz 27 klar kommen. Rein finanziell sollte es keinerlei Schwierigkeiten geben: Finanzberaterin Elmer und Krankenkassenexperte Hammann, das würde sich bestens ergänzen. Ich fürchte, da müssen sich Blatter und Graeff in ihrem Keller warm anziehen. Wenn jetzt noch die Prophetin Elmer und der Prophet Hammann in den feierlichen Weinkeller hinabsteigen, auf den prophetischen Tagessieg mit dem besten FIFA-Tropheten anzustossen... Da wird's kein Halten mehr geben.

Aber jetzt will ich nicht übertreiben mit meiner Weinkeller-Fantasie. Die traurige Wahrheit ist: Im Keller der FIFA liegen mehr Leichen als gute Weine. Und dahin möchte ich meine geschätzten Propheten nun wirklich nicht schicken.

Ein letzter Trost: Wenn wir Fußball-Fans wirklich zu Gott gerufen werden, können wir darauf vertrauen, dass der Herr das richtige Timing hat.

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