Benschamah!
Was passiert, wenn man die Fußballgene von Gilbert Gress mit denen von Franz Beckenbauer kreuzt? Benjamin Pavard! Ein völlig nüchternes Portait des Ausnahmespielers im prophetischen Bulletin des 13. Bundesligaspieltags.
Für Stuttgarter Verhältnisse war Mathieu Delpierre ein überaus passabler Verteidiger. Ich sah ihn gerne. Als Delpierre hinten drin stand, war die VfB-Abwehr noch stabil. Meistens. 2012 verließ der französische Wellenbrecher unseren kleinen Gernegroßverein. Was Delpierre aber letztes Jahr für den Verein getan hat, kann man ihm im Nachhinein nicht hoch genug anrechnen: Er schwärmte vom VfB Stuttgart! Wer den Laden kennt, weiß wie schwer das fällt. Delpierre tat es für die gute Sache. Benjamin Pavard hat er überzeugt. Der junge Verteidiger aus dem Nachwuchs des OSC Lille wollte wechseln.Der Trainer des OSC-Erstligateams war ein Holzkopf. Er hatte keine Idee, was er mit dem Springinsfeld anfangen sollte. Der Rest von Nordfrankreich ahnte zwar, was aus dem Lockenkopf werden könnte. Aber das reicht nur für die Maßnahme, Pavard nicht an einen Konkurreten imeigenen Land abzugeben. Ein deutscher Zweitligist schien genug Sicherheitsabstand zu bieten. Der VfB überwies schlappe 5 Millionen.
Im Heimspiel gegen die SpVgg Fürth wurde Pavard erstmals in die Startformation gestellt. Die Saison fing durchwachsen an. Der selbsterklärte Vorzeigeklub stolperte durch die zweite Liga. Das Problem begann bereits bei der Spieleröffnung. Quer, halbvertikal, zurück, wieder quer – so verlor der VfB Meter um Meter. Bis Pavard auf dem Platz stand. Die Partie gegen Fürth war genau zwei Minuten alt, da spielte Pavard einen Pass von einem anderen Planeten. Bis dato sah ich noch kein Zuspiel dieser Sorte. Außerirdisch! Als letzter Mann schlug er den Ball kerzengerade durch die gesamte Fürther Mannschaft hindurch. Gerade und so wohltemperiert, dass der einlaufende Carlos Mané das Ding sicher einschieben konnte. Packing-Rate 10, attestierten die neunmalklugen Analysten. 11 wäre der Maximalwert gewesen. Aber dann hätte er den Ball gleich ins Tor schieben müssen. Ich traute meinen Augen nicht. Pavards Pass teilte die Fürther Abwehr wie Moses das Rote Meer. Unsere prophetischen Freunde vom vertikalpass posteten kürzlich ein sehenswertes GIF dieses ersten Stuttgarter Pavardpasses. Bei mir läuft das GIF seit einem Monat auf Endlosschleife. Irgendwie Gisele Bündchen in der Fußballversion. Schon damals war klar: So eine Schönheit werden wir in Stuttgart nicht lange halten.
Um es deutlich zu sagen: Benjamin Pavard ist ein Spieler, wie wir ihn fünfzig Jahre nicht mehr in Stuttgart sahen. Zumindest nicht im Dress mit dem Brustring. Als hätte man Gilbert Gress mit Franz Beckenbauer gekreuzt. Das kommt nicht nur von der Frisur hin, sondern auch von der Erhabenheit auf dem Platz. Pavard ist nicht der Größte. Aber sein aufrechter Körper ragt empor. Ich vermute, er verfügt über einen ausfahrbaren Hals. Sein Spielverständnis ist nicht von dieser Welt. Mit seinem dritten Auge, das irgendwo über dem Stadion schwebt, vermisst er jeden Quadratzentimeter. Dort, wo die Laufwege seiner Kameraden zusammenfließen, erreicht sein Pass ein Tempo, das die Ballmitnahme zum Kinderspiel macht. Und wenn wirklich keiner frei ist, läuft Pavard selbst nach vorne. Nur einige Meter freilich. Pavard bleibt niemals Solist. Er liebt das Spiel. Er schätzt den guten Pass. Niemand spielte ihn je so präzise wie Pavard, egal ob über fünf oder über 50 Meter. Bei aller Elegance sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Pavard seine Gegenspieler auch erbarmungslos umschlagen kann. Wagt es einer am Flügel an ihm vorbeizulaufen, wird er von seiner Majestät aufs Feinste umgesenst. Doch das passiert nur selten. Pavard pflegt die Gefahr zu klären, bevor sie ein Normalsterblicher erkannt hat. Wird der Franzose in der Mitte eingesetzt, wo er eigentlich hingehört, findet man ihn stets im Zentrum des Spiels. Als großer Antizipator!
Benschamah! Wie damals Schillbär. Auch von der Aussprache. Mit einer Prise Franz Beckenbauer, wenn er "Jean-Pierre Papin" sagen möchte. „Schapapapa“ kam damals dabei raus, als der Kaiser noch öffentlich sprach. Kein Zweifel „Benschamahpawar“ wird des Kaisers Größe spielend übertreffen. Eines Tages. Gnädigerweise kickt er noch in Stuttgart - und das ist auch gut so, weil seine Hoheit in spe im Moment zu verspielt ist für die große Regentschaft, die er eines Tages antreten wird. Das jüngste Pavard-Protokoll verzeichnet eine Kopfballvorlage für einen Lautern-Stürmer im Pokal, einen verschuldeten Handelfmeter gegen Dortmund und einen nicht-verschuldeten Elfer in Hannover, der gleichwohl gepfiffen wurde. Alle drei Aktionen führten zu Gegentoren. Das Genie schlampt noch. Aber mit Würde. Nach seinem Patzer gegen Lautern entschuldigte er sich bei den Fans per Twitter für seinen ersten Assist der Saison. Feinster Benschaschmäh.
Jüngst debütierte der junge Kaiser in seiner Nationalmannschaft. Auch im Spiel gegen Deutschland war er im Aufgebot der Franzosen. Pavard wird nächste Saison zu Bayern wechseln. Seit 50 Jahren wechseln alle, die in Stuttgart groß raus kommen zu den Bayern. Ausnahme Khedira, der ging gradwegs zu Real. Pavard wird der nächste sein. Bereits wird gemeldet, dass andere Vereine interessiert wären. Begreiflicherweise zuckt L’empereur Benschamah nicht mal mit den Schultern. Gladbach ist eben nicht die Kragenweite eines Pavard. Vielleicht klopft bald PSG an. Das wäre fein für unseren kleinen Gernegroßklub. Von dem Geld, das der VfB erzielen würde, könnte er der Stadt einen neuen Bahnhof bauen. Oder zwanzig Becks und vierzig Aogos kaufen. Apropos Euro. Menschen, die fünf Millionen für einen unbekannten Nachwuchsspieler ausgeben, sind uns in Schwaben natürlich völlig suspekt. Darum trennte sich der VfB konsequenterweise von Manager Jan Schindelmeiser, der Pavard geholt hatte. Logisch ist das: mit solch einer Grandezza konnten wir Schwaben noch nie umgehen.