Boykott.

Was tun, angesichts der durchgedrehten Weltfußball-Herrschaft? Im politisch-prophetischen Bulletin des 23. Spieltags habe ich mich für ein kleines Gedankenexperiment zur Verfügung gestellt. Jetzt frisch - hier auf dem Portal für akute Weltverbesserung.

Manchmal ist es praktisch, dass man sich am Wochenende eine Fußball-Vollberieselung geben kann. Falls ein paar Minuten Muse bleiben, weil die Familie anderweitig vorsorgt ist, sich Garten und Auto bereits im prächtigem Zustand befinden, und auch sonst nichts zu reparieren ist, muss man keinen schweren Gedanken anhängen. Nein, man kann sich sinnlos ins Stadion oder die sky-Kneipe verziehen, oder im Netz eine Spielzusammenfassung anschauen, die im Grunde genommen gar nicht interessant ist. Ein Zeitvertreib von erschreckender Harmlosigkeit scheint allemal besser als übers das Weltgeschehen zu verzweifeln. Überall schlagen sie sich die Köppe ein - in der Ukraine, im Nahen Osten, in Afrika sowieso. Schurken und Schurkenstaaten an jeder Ecke der Welt. Der IS wuchert wie Krebsgeschwür, und im fernen Nordkorea... gut, dass Korea wenigstens weit genug weg ist.

Sepp, Pate der FiFA-Familie.

In der Aufzählung der Krisenherde wird allgemein vergessen, dass eine unkontrollierte Welt-Wucherung seit Jahrzehnten klafft - ohne wirkliche Chance auf Wundheilung. Leider haben diese Schurken viel mit dem Fußball zu tun. Sie nehmen ihn als Denkmantel für außergesetzliche Machenschaften der schlimmesten Sorte, während sie sich auf dem laschen Schweizer Vereinsrecht ausruhen. Diese Ansammlung an Krawatten-Schurken ist längst nicht mehr harmlos. Dass Fußball nur Fußball ist, und Sport nur Sport hat leider noch nie gestimmt. Wie soll Fußball politikfrei sein, wenn er von einer zutiefst verschimmelten Masse an fett- und futterneidischen Funktionären regiert wird? Wer das empfehlswerte Buch FiFA-Mafia von Thomas Kistner studiert hat, kennt die üble Vetternwirtschaft des letzten halben Jahrhunderts ungefähr. For the good of the game ist glatter Hohn. For the good of the FiFA trifft's schon eher. Mit den WM-Vergaben nach Russland und vor allem nach Katar hat sich die Lage noch verschlimmert. Franz Kaiserunfehlbar Beckenbauer ist übrigens Teil dieser Mafia. Das sage ich nur, damit nicht der Eindruck entsteht, dass nur Funktionäre aus anderen Spähren sich gegenseitig bereichern. Wir Deutschen sind bestens verdrahtet. Eine Schande! Warum haben wir eigentlich die WM 2006 bekommen? Ging das im Jahre 2006, ohne an den richtigen Stellen zu schmieren? Zweifel scheinen angebracht.

In der letzten Woche hat sich halb Mitteleuropa echauffiert über die Frechheit, den Weihnachtsmarkt mit einer WM zu stören. Ungeschickt ist das schon, zugegeben. Andererseits: Den schönsten Teil des Sommer vor dem Bildschirm zu verbringen, da gibt’s auch Besseres. Ob der unerhörten Terminfrechheit gerät das wirkliche Problem in den Hintergrund. Der Guardian hat vorgerechnet, dass bis zur WM 2022 etwa 4.000 Tieflohnsklaven auf WM-Baustellen gestorben sein werden, und die russischen Arbeiter sind noch nicht einmal mitgezählt. Also ehrlich, allein diese Information kann mir den Spaß am Ball verleiten. Und warum das alles? Weil sich Blatter, der Fürst der Finsternis, mit seiner exklusiven Clique bereichert. Weil sich die Tyrannosaurus Rexe der achsofeinen Fußballfamilie schlimmer in die Taschen wirtschaften als es die sizilianische Mafia je hinbekommen hätte. Der Vergleich Blatter – Kim Jung-un stammt übrigens nicht von mir. Der englische Funktionär Greg Dyke hat das bereits in die Welt gesetzt. Und trotzdem kann keine Macht der Welt den Typen absägen, der sich selbst für so einzigartig wie die blaue Mauritius hält. Es ist zum Kotzen.

Ich kündige.

Der Moment ist gekommen, um endlich Konsequenzen zu ziehen.

Ich verkünde hiermit feierlich:
- WM-Turniere – ich kündige.
- Europameisterschaften – ich kündige ebenfalls. (Schließlich hat UEFA-Chef Platini für Katar gestimmt, weil sein Sohn der Katar Foundation vorsteht, auch so eine ekelhafte Familiengeschichte.)
- Und damit steht auch fest, dass ich in diesem Zuge gleich noch die Championsleague kündige. Man soll ja keine halben Sachen machen.

Ein guter Freund von mir hat das schon vor Jahren getan. Hansjürgen Jablonski aus Schwäbisch Gmünd ist nicht einmal Mitglied bei den Propheten. Schließlich handeln die Propheten von der Bundesliga und für einen wie Hansjürgen ist der Graswurzelfaktor der Bundesliga zu dürftig. Er will Echtrasen, kein Rollrasen. Sein Interesse gilt dem Amateurfußball, dem hat er sich verschrieben, und das darf man gerne wörtlich nehmen, das mit dem Schreiben. Dazu muss man nur auf seinen formidablen Blog schauen, den Spätzleskick. Hansjürgen ist Fan von Normannia Gmünd, daneben fährt er auch zum TV Derendingen, um die dortige Damen-Mannschaft zu unterstützen. Über all das – und andere spannende Kreisligaderbys zwischen Fils, Rems und schwäbischer Alb schreibt er. Lesenwert, wirklich. Wie schmeckt die Wurst in Bissingen? Wie das Bier in Tailfingen? Hansjürgen Jablonski weiß es, und es ist gut, dass er mich via Blog daran teil haben lässt. Die Zeit zwischen den Spielen verbringt er nur kurz bei der Arbeit, danach begibt er sich ins Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, um weitere Schätze der Vergangenheit aufzustöbern. Würde man einen TV-Beitrag machen über Hansjürgen, würde der Off-Sprecher sicherlich von einem „Positivverrückten“ sprechen. Ich traf Hansjürgen im letzten Sommer zur WM-Zeit – und freute mich sehr, dass ich mit ihm tief in die Geschichte von Normannia Gmünd eindringen konnte. Wir sassen in der Gmünder Stadionkneipe und klugscheißten um die Wette, dass es eine wahre Freude war. Im Hintergrund gewann gerade Chile gegen Spanien. Hansjürgen war das komplett wurscht. Meine niederen Instinkte bewogen mich, immer wieder auf den Bildschirm zu schielen. Schließlich war Chile drauf und dran die Spanier aus dem Turnier zu befördern. Ich hielt das für einen Erdrutsch. Ich gebe gerne zu, dass ich mich wunderte, wie jemand, der sich so gründlich für Fußball interessiert, sich keine Bohne schert um das, was in Brasilien gerade passierte. Heute, einige Monate später bewundere ich Hansjürgen. Was er tut, ist konsequent. Vorbildlich. Ich würde ihm gerne nacheifern.

Oder vielleicht doch nicht?

Doch leider weiß ich, wie es geht. Beispiel EM. Diese lausigen RTL-überinszenierten Europameisterschaftsqualifikationsspiele, da fällt es mir noch leicht, diesen Schwachsinn an mir vorrüberziehen zu lassen. Die interessieren mich wirklich nicht die Bohne. So ein Affentheater. Aber dann rückt das große Turnier näher – und, sagen wir mal, Österreich, Island und Moldawien qualifizieren sich. Spätestens dann, regt sich meine Aufmerksamkeit. Moldawien, denke ich dann, ach wie putzig, und ich freue mich, weil die haben ja sonst nur wenig zu lachen da unten. Gefährlich nahe an Russland und der Ukraine liegt das Land. Mehr weiß ich nicht über Moldawien, aber gerade drum find ich’s interessant. Also schau ich rein, wie sich die Moldawier Moldauer Moldauaner Molden (???) so schlagen und sympathisch sind die ja sicherlich. Da freut sich das ganze Land über die Qualifikation und ich freu mich mit - und schwupps... bereits habe ich meine Kündigung vergessen und bin wieder angefixt.

Ich kann mir gut vorstellen, wie es weiter geht. Zum Beispiel so: Kaum einige Tage vor dem Turnier erkläre ich neunmalklug Island zum absoluten Turnierfavoriten. Die Isen Isländer Islandssons und -guttirs, muss man nämlich wissen, die haben mittlerweile in vielen guten Vereinen ihre Spieler sitzen, das sind gar keine Außenseiter, und ich, ich bin wieder derjenige, der das schon vorher gesehen hat, und habe längst die Quoten gecheckt – und gesehen, dass Island auf Halbfinale Quote 250 gibt und für einen echten Propheten, da sollte die Quote doch einen Zehner wert sein. Wie war das nochmal mit meiner Kündigung... ach, egal.

Es kommt eines zum anderen. Zum einen fürchte ich, dass ich den Interessensboykott nicht durchhalten werde. Zum anderen muss ich erkennen, dass mein Desinteresse niemanden interessiert. Die FiFA würde nur ein Desinteresse eines Sponsors interessieren, sonst nichts. Es ist die bittere Wahrheit: Nur weil ich demonstrativ wegschaue, deshalb stürzt weder Diktator Kim Jong-um noch Diktator Sepp Blatter. Aber es gibt noch einen anderen Grund, warum ein einsamer Boykott meinerseits nicht durchzuhalten wäre.

Ein unwahrscheinlicher Fall.

Stellen wir uns einfach den unwahrscheinlichen Fall vor, dass Deutschland wieder ein legendäres WM-Spiel bestreitet. Nicht so ein trostloses Ausscheiden im Halbfinale gegen Italien, sonders ein wirklich legendäres Spiel. Ich übertreibe einfach mal: Ein Halbfinale gegen einen starken Gegner, den stärksten, der mir gerade einfällt, sagen wir Brasilien. Es würde ein legendäres Halbfinale werden, wir gewinnen hoch, haushoch, sagen wir 7:1. Erdrusch Hilfsausdruck. Nur damit es deutlich wird, was ich meine. Stellen wir uns also vor, Deutschland würde im Halbfinale 1:7 gegen Brasilien gewinnen. Das wäre doch der Hammer. Da wäre ganz Deutschland am Feiern. Am nächsten Tag in der Agentur würden mich meine Kollegen euphorisch ansprechen auf den historischen Sieg – und ich würde fragen: „Was ist passiert? Deutschland 7:1? Ach, mir doch egal." Ich bin mir sicher, meine Kollegen würden mich sofort ins nächste Krankenhaus fahren.

Soweit also meine fußballpolitischen Einlassungen. Man sieht ja, wohin das führt, wenn ich mich darin versteige: 7:1 gegen Brasilien, so ein Blödsinn. Vermutlich wird es besser sein, wenn ich mich an die Fakten der prophetischen Tabelle halte: Nun, was ist da passiert? Muss ich schon wieder ins Krankenhaus? Das hatten wir doch schon mal, oder? Tatsächlich! Vor zwei Spieltagen hatten wir diesselbe Doppelspitze, Marvin Burmester und Timo Vetter gleichauf, mit exakt identischen Punktzahlen und mit exakt identischen Volltreffern. Damals, vor zwei Spieltagen hatten die beiden allerdings "nur" 106 Punkte, jetzt haben sie 120. Eine stattliche Verbesserung. Die 14 Punkte Steigerung gehen vermutlich vor allem auf das Konto von Paderborn und Dortmund. Paderborn verschlechtert sich um 4 Plätze. Dortmund verbessert sich innerhalb dieser zwei Spieltage um 5 Plätze. Beide Vereine veränderten sich in eine Richtung, die allen Propheten nicht ungelegen kommt. So sind die Punktzuwächse zu erklären, die wir über die gesamte Prophetentabelle hinweg sehen. Langsam strebt die Tabelle unseren Vorhersehungen entgegen. Die Propheten der Liga machen ihrem Namen alle Ehre. Was zu beweisen war.

Ach ja...

Vielen Dank für die netten Kommentare zu meinen letzten Bulletins. Freut mich sehr, dass ich ein wenig zur wöchentlichen Unterhaltung beitragen kann. Zur Weltverbesserung reichts leider nicht, wie ich soeben bewiesen habe.

Beifall und Trost für meine Bremer Freunde. Vom Propheten Wilkens, dem aktuellen Tabellendritten weiß ich, dass er acht Tore im Stadion erlebt hat. Gut, die Verteilung war noch nicht ganz ausgereift. Aber als Fan des gefühlten Tabellenneunzehnten der Fußball-Bundesliga schaut man trotzdem neidisch auf Bremen.

Als Reus und Aubameyang die Masken aufsetzten, bemerkte Marcel Reif "Für den Quatsch bin ich zu alt". Da schließe ich mich als alter Seggel gerne an.

Das Tor des Monats in Schottland ist überaus sehenswert.

Immer diese Engländer. Einfach unverschämte Schwalbenkönige.

Als Prophet Uli Bayer folgenden Ausschnitt sah, hat er offenbar an mich gedacht. Warum nur?

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Nach den Kickers hat wurde jetzt auch in Hanau eine neue Haupttribüne eingeweiht.

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