Chantalismus in Bielefeld

Das dünnste Eis unter Fußballschreibern ist auch das dümmste: Witze über Namen. Aber ist das wirklich noch zum Lachen? Das prophetische Zweitligabulletin des 2. Spieltags bemüht sich um Toleranz.

Bloß keine Witze mit Namen! Ein ungeschriebenes Gesetz unter Berichterstattern verbietet ungezogene Bemerkungen über die Eigennamen der Akteure. Man darf es als Gebot der Höflichkeit bezeichnen, dieses stillschweigende Abkommen. Die armen Leute können ja nichts für ihren eigenen Namen und außerdem kann man sich's sparen, über Geschmacksachen rechthaberisch zu diskutieren. Den Einen gefällts, die Anderen beömmeln sich. So weit, so normal. Dachte ich. Bis neulich bei der Begegnung Arminia Bielefeld gegen den Karlsruher SC Keanu Staude eingewechselt wurde. Das hat mich unsicher gemacht.

Im Grunde fängt die Geschichte bei Wolfgang Ley an. Lebenserfahrene Propheten werden sich vielleicht noch an den Eurosport-Mann der ersten Stunde erinnern. Ley kommentierte Boxen und Fußball. Dabei ging er mit dem ungeschriebenen Namenswitz-Verbot freizügig um. Dabei entstanden Bonmots wie diese:

Foul von... na wer wohl? Von Fowler.

Letchkow, der die Deutschen über den Jordan brachte.

Das Spiel von Di Livio läuft wie geschmiert.

Es war eine nette kleine Marotte, mehr nicht. Besonders niveauvoll ist der Namenswitz nie geworden. Das Fachmagazin 11Freunde hat lange gegrübelt, wie es das Potential für sich nutzen kann, ohne sich zu blamieren. Herausgekommen sind "Supernamen", also die Flucht in ironische Kultisierung. Beispiele:

  • Hunter Jumper (Chicago Fire)
  • Tobias Achim Feisthammel (SC Paderborn 07)
  • Dominik Nothnagel (Würzburger Kickers)
  • Marco Sau (Cagliari Calcio)
  • Jonathan Kotzke (SV Wehen-Wiesbaden)
  • Jörg Siebenhandl (schon wieder Würzburger Kickers)
  • Kai Vonderbank (SpVgg Glück-Auf 1955 Ofden)
  • Jeff Bierchen (Avenir Beggen)

Im Supernamen-Prinzip geht es nur um den Familiennamen. Die Familien selbst können nichts dafür. Was will man machen, wenn man unter merkwürdigem Namen geboren wird? Ihn trotzdem mit Würde zu tragen, scheint der einzige Ausweg. Richtig menschenunwürdig wird es allerdings, wenn aus Vor- und Nachnamen etwas entsteht, was so gar nicht zusammenpassen will.

In diesem Zusammenhang will ich den Blog Chantalismus empfehlen. Im Untertitel verspricht er "Kinder mit schlimmen Namen an Bord". Und weil die Welt schlimmer ist, als man denkt, hält der Blog Wort.

All das hätte ich ignorieren können, wie es sich für einen anständigen Bulletinschreiber gehört. Aber dann wurde Keanu Staude eingewechselt – und meine Gedanken begannen miteinander zu kämpfen. Natürlich, die Eltern waren vermutlich fasziniert von Keanu Reeves. Daher der Name. Jetzt hatte der kanadische Schauspieler allerdings eine hawaiianische Mutter, was die Namengebung nachvollziehbar macht. Über eine Mutter hawaiianischer Abstammung ist beim Bielefelder Stürmer nichts bekannt.

Bin ich jetzt doof, wenn ich die Keanu-Taufe des Staude als Verbrechen am eigenen Sohn verurteile? Oder nur engstirnig? Das ist Globalisierung, argumentiert der tolerante Teil in mir. Ist doch schön, wenn sich verschiedene Kulturen auf engem Raum begegnen. Hawaii-Keanu trifft ostwestfälisch Staude. Allemal besser als Adolf.

Außerdem: Ich wundere mich bei meinem Namen immer darüber, wie man auf 5 Buchstaben 4 Konsonanten unterbringen kann. Von zeitloser Schönheit zeugt der Name gewiß nicht. Bernd. Wer die deutsche Sprache nicht gewohnt ist, braucht einen Knoten in der Zunge, um ihn korrekt auszusprechen. Von der Konsonantendichte kann ich mit Polen spielend mithalten. Nach seinem Hoch in den sechziger Jahren ist Bernd übrigens kaum noch vergeben worden. Ich ahne warum. Keanu ist mir in dieser Hinsicht weit überlegen. 3 Vokale und 2 Konsonanten bilden ein weit harmonischeres Verhältnis.

Keanu Staude. Keanu Staude. Keanu Staude. Vielleicht muss man es nur oft genug schreiben, damit es ohne Namensabscheu über die Finger geht. In sofern war dieses Bulletin für mich eine Therapie. Langsam wünschte ich selbst, Keanu zu heissen. Keanu Sautter. Ach, Namen werden sowieso überbewertet. Was letztlich zählt, ist auf dem Platz. Und was den Bielefelder Keanu betrifft, empfehle ich dringend diesen Link.