Das Umfeld schlägt zurück.

Akteure und Berichterstatter beschweren sich vermehrt über das "anspruchsvolle Umfeld" bei Traditionsvereinen. Höchste Zeit für das Umfeld, sich zu wehren. Im Rahmen des prophetischen Spieltagsbulletins habe ich versucht, die Angriffe zurück zu weisen.

Unter Propheten finden sich zahlreiche Anhänger sogenannter Traditionsvereine. Viele sind via Medien beschimpft worden. „Immer diese anspruchsvollen Fans der Traditionsvereine“, wird lamentiert. Vor diesem Hintergrund will ich mich schützend die Betroffenen werfen. Die Meckerei über die Meckernden, sie mag mir nicht gefallen. Zuschauerbeschimpfung hilft selten. Auch in dieser Saison wird es niemanden weiter bringen. In den letzten Wochen hat es überhand genommen. Nicht nur im sport1-Doppelpass, auch von seriösen und kenntnisreichen Berichterstattern wird die Floskel vom „Ach-so-anspruchsvollen Umfeld“ mit Hingabe gedroschen. Um es vorweg zu nehmen: Fans von Traditionsvereinen sind nicht anspruchsvoller als andere. Um das zu klären, sollte zuerst besprochen werden, was eigentlich ein Traditionsverein ist.

Die bisher schlüssigste Analyse stammt von Heribert Bruchhagen. Seine Klassifikation der Bundesligavereine möchte ich hier sinngemäß aufschreiben:

Die Internationalen
Bayern, Dortmund, meistens Schalke.

Die Gepuderten (Klubs die zu den normalen Einkommenssäulen Tickets, TV-Rechte und Werbung/Sponsoring noch über eine vierte, sichere Investitions- oder Geldquelle verfügen):
Wolfsburg, Leverkusen, Hoffenheim.

Die Tradierten
Werder, HSV, Köln, Gladbach, Frankfurt, Stuttgart, Hannover, Hertha.

Die Anderen
Mainz, Freiburg, Augsburg, Paderborn.

Das Ganze hinkt, zugegebenermaßen. Selbstverständlich handelt es sich auch bei den Internationalen um Traditionsklubs. Aber sie spielen in einer anderen Liga. Als eine vorläufige Schubladisierung taugt die Einteilung durchaus. Dem zu Folge sind die Mehrzahl unserer Propheten Fans von Traditionsvereinen. Manche haben mehr Glück und können ihren Herzensvereins auch dienstags und mittwochs unter der Woche bestaunen. Andere sind nicht unglücklich darüber, dass ein Milliardär oder ein Konzern sich darum bemüht, die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Farben zu erhalten. Auch von Mainz, Freiburg und Paderborn weiß ich Propheten unter uns. Die ganze Bandbreite ist vertreten, mit einem kleinen Überhang bei den Traditierten. Also auf geht's zur verdienten Ehrenrettung.

Wenn über die anspruchsvollen Fans der Traditionsvereine hergezogen wird, sind zum Beispiel die Kölner gemeint. Championsleague mindestens, das sei der Anspruch der Geißböcke, so heißt es. Und Stöger/Schmadtke werden gelobt, weil es ihnen gelungen ist, diese ungeheuerliche Erwartungshaltung zu dämpfen. Während in Köln heuer (noch) Ruhe herrscht, werden aktuell die anspruchsvollen Fans von Hamburg und Stuttgart im Visier genommen. Die Fans in Bremen und Berlin, die auch einen sicheren Bundesligaplatz für ihren Verein reklamieren, sind die nächsten auf der "Ach-so-anspruchsvoll-Liste".

Wer das behauptet?

Ralf Rangnick hatte sich kürzlich aus seiner Dose gemeldet. Er sagte, die Traditionsvereine täten ihm leid, bei solchen Fans. Auch Stefan Reuter sekundierte, nach seinem Augsburg-Heimsieg im Interview. Er postulierte sinngemäß, dass in Augsburg alles ruhig sei, ruhig bleiben würde, selbst wenn der FCA verliert, weil die Erwartungshaltung nicht so hoch sei wie bei den Traditionsklubs. „Wenn wir die Klasse halten, dann haben wir unser Ziel erreicht, dann haben wir eine erfolgreiche Saison gespielt,“ sagte Reuter in die Mikros des Reporter und formulierte einen Satz, den man genau so bei den Traditionsklubs Hamburg, Bremen und Stuttgart unterschreiben würde. Der Berichterstatter sekundierte danach aus dem Off, praktisch die Moral seines Beitrages zusammenfassend: „Wo andernorts Ultras für Negativschlagzeilen sorgen, herrscht in Augsburg eine friedliche Atmosphäre, praktisch eine heile Welt. Das einzige, was bei diesen Fans wirklich Ultra ist, ist der Auslaufschutz.“

Entschuldigung, das ist Blödsinn.

Fans sind durchaus realistisch – und sie messen ihre Mannschaft in aller Regel an den Zielen, die vom Verein vorgegeben werden. Nach eigenem Anspruch sollte der HSV Bundesliga spielen. Also wird gepfiffen, wenn das Ziel gefährdet ist. In Freiburg könnte man sogar absteigen, so das Selbstverständnis der Freiburger. Aber wenn der SCF nicht mehr in der Spitze der zweiten Liga zu finden ist, dann brennt auch in Freiburg das Solardach. Beim letzten Ausflug in diese Niederungen musste Volker Finke gehen, und das obwohl in Freiburg alles soooo friedlich zugehen soll. Weitere Beispiele: Nürnberg. Da war das Ziel der sofortige Wiederaufstieg, daran wird der Verein gemessen, wenn er gerade im Abstiegskampf der zweiten Liga festklebt. Darum wurde jetzt von oben die Zielansprache nachgebessert, nachverschlechtert sollte es wohl heißen, wenn jetzt der Klassenerhalt in der zweiten Liga ausgegeben wurde. Beispiel Stuttgart. Da fantasierte Präsi Wahler zu Beginn seiner Amtszeit von der Championsleague. Kein Wunder, dass sich aktuell eine gewisse Unzufriedenheit eingestellt hat. Beispiel Wolfsburg (kein Traditionsverein, gell): Wenn man im Mittelfeld rumkickt, ist VW genau so wenig zufrieden wie die Fans. Gewiß haben die Wolfsburger Fans keine mediale Wirkung, dafür sind es zu wenige. Aber meckern können sie auch. Und ein letztes, ein Linksrum-Beispiel: Braunschweig (ein Traditionsverein!) Hat da einer gepfiffen, als Braunschweig eine Saison Bundesliga gespielt hat? Niemand! Kein einziger! Und warum? Weil man auch bei einem Traditionsverein ein realistisches Ziel ausgeben kann. Daher prophezeie ich Stefan Reuter, sollte Augsburg unter den selbstgesteckten Zielen durchrauschen, dann wird sich das mit der Ruhe am Lech schnell erledigt haben – und es nützt ihm gar nichts, dass er bei keinem Verein angestellt ist, der in die klassische Riege der Traditionsvereine eingeordnet wird. Und übrigens, liebe Tagesthemen-Berichterstatter: In Augsburg gibt’s Ultras, und zwar ordentliche. Ralf Rangnick durfte sich übrigens am Wochenende in Wien diese unfeine Drohung anschauen.

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Nachdem ich auf diese Art und Weise die letzte Unkenntnis aus der Welt geschafft habe, wende ich mich gerne den Kenntnisreichen zu. Zum Beispiel dem amtierenden Tabellenführer Niklas Borrelli. Prophet Borelli hat am Ende der englischen Woche die Tabellenführung von Wolfgang Ehret übernommen. Prophet Borrelli liefert dabei den ersten amtlichen Punktestand der Saison: 105 Punkte, das geht erstmals in die Regionen, die wir am Ende der Saison sehen werden. Die Experten mögen daran erkennen, dass sich die Bundesligatabelle langsam aber sicher sortiert. Der vielleicht beste Kenner der Punktestände findet sich bereits auf Platz 2: Andreas Wilkens begrüße ich überaus herzlich auf den vorderen Plätzen. Im Grunde zeichnet er für all das prophetische Krimskrams auf dieser Plattform verantwortlich. Er war derjenige, der einst um die Jahrtausendwende diesen Tippspielmodus zur Welt brachte. Seit dem die Plattform unter dem Etikett „Propheten“ firmiert, habe ich ihn noch nicht so weit vorne entdeckt. Er ist vielleicht derjenige, der die Traditionsvereine am weitesten südlich eingereiht hat, damit liegt er zu diesem Zeitpunkt verdient auf Platz 2. Ob es auch damit zusammenhängt, dass er vor kurzem mit ordentlich Rumms und Fallera einen runden Geburtstag gefeiert hat? Wäre ich Fritz von Thurn und Taxis, würde ich jetzt glatt ins Mikro schreien „Da hat er sich doch selbst sein schönstes Geburtstagsgeschenk gemacht!“

Ein Lauf.

Besonders beeindruckend finde ich den dritten Platz von Peter Brenner. Der Geschäftsführer des Zweckverbandes Flugfeld Böblingen/Sindelfingen hat einen Lauf. Das darf man wörtlich nehmen. Auf dem Flugfeld fand in der letzten Woche der rituelle Firmenlauf statt. Etwa fünf Kilometer musste man „sauen“, so der schwäbische Ausdruck für die schnellere Gangart. Wenn ich richtig informiert bin, „saute“ Peter Brenner glatte drei Minuten schneller als je zuvor. Er drückte seine Zeit unter eine halbe Stunde und ich finde: das ist aller Ehren wert – unter andere auch deshalb, weil ich selbst deutlich hinter ihm ins Ziel „gesaut“ bin. Und das obwohl mein Name zu schnellerem "Sauen" verpflichten würde. Doch man soll keine Witze mit Namen machen, auch wenn der Gladbacher Hahn zu seinem Mitspieler Korb spielt. Und auch dann nicht, wenn der Mainzer Johannes Geis einen Fehlpass fabriziert, was der Reporter gern mal als einen Bock von Geis bezeichnet.

Höchste Zeit auch auf die hinteren Plätze zu schauen: Valentin Grimm, der Handballtorhüter unter den Propheten hat sich im Moment auf dem letzten Platz eingenistet. Da steht er an der Kellertreppe auf der untersten Stufe, praktisch griffbereit am Weinregal. Man sollte jedoch nicht übersehen, dass er von oben stark bedrängt wird. Max Christian Graeff, der Prophet der Extreme schickt sich an, seinem selbstgewählten Titel „ScheTaZ“ (Schlechtester Tipper aller Zeiten) endlich gerecht zu werden. In den letzten Spielzeiten turnte er merkwürdigerweise auf den vorderen Plätzen herum, in dieser Saison hat er sich für eine standesgemäße Platzierung entschieden. Und das ist irgendwie auch konsequent. Jüngst entdeckte ich ihn auf youtube, wo er die Erstausgabe einer ziemlich abgehangenen Kochshow bestritt. Und da ist es nur konsequent, wenn er sich auch um den Wein kümmert, den es bei den Propheten für den letzten Platz gibt. Seine Show verlinke ich gerne. Für alle, die schon immer wissen wollten, wie man Reibekuchen auf Pumpernickel fachmännisch aufs Fensterbrett legt.

Zwei Kleinigkeiten zum Schluss:

- Erstens ein persönlicher Nachtrag zum anspruchsvollen Fan: Lieber VfB, ich bin bekennender Teil Deines „anspruchsvollen Umfeldes“. Falls du mir mitteilen möchtest, dass die Krise meines Vereines tatsächlich schuldhaft von mir verursacht wurde, ziehe ich freiwillig die Konsequenzen und werde Stuttgarter-Kickers-Fan. Falls es wirklich der Fall sein sollte, dass die Misere an meiner anspruchvollen Meckerei liegt, bitte ich Dich meine Dauerkarte zu kündigen. Die Mitteilung möge man mir überbringen, während ich mich in der Stadt aufhalte. Keinesfalls möchte ich es erfahren, wenn ich in Dortmund auf Kundentermin bin – oder auf dem Weg dorthin. Danke.

- Zweitens: In meiner persönlichen Shitlist aller Fußballkommentatoren steht Fritz von Thurn und Taxis weit oben. Inzwischen habe ich auf Facebook eine vorbildliche Plattform gefunden, die nach jeder Begegnung, die er kommentiert einen präzisen Arbeitsnachweis erstellt. Er spricht für sich.

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