Demotivationsbulletin

Gewinnen ist Handwerk. Verlieren fördert den Charakter. Im Demotivationsbulletin des 8. Bundesligaspieltags kümmere ich mich um das, was bleibt - und empfehle mit Niederlagen zu gewinnen.

Zu gewinnen ist der Grundgedanke unseres geliebten Spiels. Zu gewinnen war früher unser kindlicher Antrieb auf dem Bolzplatz. Der Wunsch zu gewinnen hat uns Energie gegeben, hinter der Kugel her zu rennen. Der Wunsch zu gewinnen, zieht uns im Novemberwetter ins Stadion, wo wir die Spiele der Vereine anschauen, für die unser Herz schlägt. Verlieren ist dagegen ist nur so mittel. Ganz und gar nicht knorcke ist das Gefühl, wenn man als zweiter Sieger vom Platz oder von den Tribünen schleicht. Die Frage, ob wir gute oder schlechte Verlierer abgeben, wird selten besprochen. Nein, wir wollen nicht über das Verlieren reden. Die Angst, das Verlieren herbeizureden wiegt zu schwer. Das sagen auch die Trainer: „Wir schauen nach vorn ,wir glauben an uns, wir wissen um unsere Stärke“ und andere Plattitüden des auswechselbaren Motiviationssprechs. Schon klar: Die Spieler fürchten um den Stammplatz, die Trainer und ihren Job und wir Fans um die gute Laune. Höchste Zeit für eine Hymne ans Verlieren.

Bei der Arbeit an meinem Buch „Heimspiele Baden-Württemberg“ bin ich darauf gekommen, dass der Kunst des Verlierens zu wenig Beachtung geschenkt wird. Die schöneren Geschichten waren die von den Togolesen, die bei der WM 2006 im Allgäu Gast waren, über den FC Auwald und das Endspiel der Gurkentruppen im Jahr 1970 oder von Emmendingen 03, die in der Regionalliga Süd 1964/65 nur drei Unentschieden und einen Sieg am vorletzten Spieltag holten, und eben darum im aktuellen Sportstudio eingeladen waren. Wo ich die Gelegenheit hatte, mit den stolzen Verlieren zu sprechen, war ich stets mehr beeindruckt als bei von den üblichen Heldengeschichten. Mit dem Spielführer von Emmendingen 03 unterhielt ich mich deutlich angeregter als mit Hansi Müller.

Im Verlieren zeigt sich der Charakter. Gutes Verlieren fordert die menschliche Stärke mehr als gutes Gewinnen. Gutes Gewinnen ist Handwerk. Gutes Verlieren ist Kunst. Apropos… Was wäre die Kunst ohne Verluste? Wir hätten keinen Blues. Mehr als die Hälfte der Songtexte der modernen Popkultur wären nicht geschrieben worden, wenn nicht der Frust verschiedener Niederlagen Antrieb und Inspiration geliefert hätte. Sven Regener von Element of Crime stellte jüngst fest: „Die langweiligen Gewinner-Geschichten will keiner hören.“ Regener schreibt Lieder von wundervoller Melancholie und großem Erkenntniswert. Zum Beispiel über Delmenhorst. Als Sieger sind seine Figuren noch nie vom Platz gegangen. In der Literatur ist es ähnlich. Von Werther, über Kafka bis Haas: Alles keine strahlenden Gewinner.

Als Sportbuchautor hatte ich ähnliche Probleme. Was willst du denn über Aufstiegsfeiern schreiben? Alle erzählen dir dasselbe: Man hat gefeiert. War überglücklich. Trank auch mal einen über den Durst. Feierte durch. Da gab es kein Halten mehr. Ließ es krachen. Und so weiter und so fort. Meisterfeiern in Großaspach unterscheiden sich nicht von Aufstiegsfeiern in Darmstadt, Gütersloh oder Wanne-Eickel. Alles keine Momente, aus denen man literarische Tiefe gewinnen kann. Die Feiern von Saisonsiegern sind nichts, was man wirklich erzählen mag. Die Gewinner kann man getrost vergessen. Den Verlierern - also den guten Verlierern - gehört die Ewigkeit.

Holger Gertz von der Süddeutschen Zeitung bestätigt diese Erkenntnis. Er hat jüngst ein unbedingt empfehlenswertes Buch über Verlierer vorgelegt. „Der Verlierer ist spannender als der Gewinner. Er muss darüber nachdenken, was die Niederlage mit ihm macht. Und er ist uns näher, wir erkennen uns leichter in ihm wieder als im strahlenden Sieger." Das stellt Gertz schon im Klappentext fest. Seine Geschichten über das Verlieren beginnt er mit Boris Becker, er schreibt vom verlorenen Finale dahoam der Bayern und hat viele weitere Verlierer aufgespürt, die uns in der Niederlage sympathischer werden als im Heldentum. Boris Becker ein Verlierer? Nun, Gertz bringt es wundervoll auf den Punkt: „Becker ist heilig gesprochen worden, da war er noch ein halbes Kind. Der Papst ist heilig gesprochen worden, da war er schon tot, was natürlich der bessere Zeitpunkt ist, man hält dem Erwartungsdruck leichter stand.“ Meine Leseempfehlung: Holger Gertz, „Das Spiel ist aus“, Geschichten über das Verlieren.

Als ultimativer Demotivator hat sich allerdings ein Anderer einen Namen gemacht: der geniale Nico Semsrott. Im schwarzen Kapuzenpulli betritt er die Bühne. Scheinbar ein Nerd. In Wahrheit ein funkensprühender Sensenmann. Mit AfDs und ihren anonymen Sympathisanten macht er kurzen Prozess. Das beste Weiterbildungsseminar, das ich in den letzten zwanzig Jahren besuchte, ist das Semsrottsche Demotivationseminar. Immer wenn er aus Versehen auf der Bühne lachen musste, spendete er zur Strafe 5 Euro an die junge Union. Die Lage war ernst. Aber der Abend war eh schon verloren. Erleuchtet ging ich nach Hause. Meine Begleiterin kam nicht umhin, eine kleine Ladung von Semsrott’s Unglückskeksen mit nach Hause zu nehmen. Mit einigen Sinnsprüchen, die man nach dem Naschen erhält, will ich mein Plädoyer fürs Verlieren beenden. Verlieren ist doch zu schön. Vorausgesetzt man ist ein guter Charakter und weiß, wie es geht.

- Das Licht am Ende des Tunnels kann auch ein Zug sein.
- Beginne den Tag mit einem Lächeln, dann hast Du’s hinter dir.
- Freude ist nur ein Mangel an Information.
- Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber sie stirbt.
- Alle sagten es geht nicht. Dann kam einer, der wußte das nicht, hat’s versucht, und es ging nicht.

Zu einigen guten Momenten von Nico Semsrott geht's hier. Mit einer persönlichen Empfehlung von mir.

Wem die Demotivation zu viel wurde, für den geht's hier zum Motivationsseminar mit Ewald Lienen.

Übrigens: Die Propheten sind in punkto Niederlagen absolut vorbildlich, wenn man davon ausgeht, dass nur der erste Platz wirklich als Sieger bezeichnet werden kann. Wieder einmal beweist sich die charakterliche Überlegenheit der prophetischen Gemeinschaft.