Der Preis für den roten Propheten

Noch 48 Stunden, dann geht die Liga los. Höchste Zeit, endlich einen Preis auszuloben.

Letzter sein ist doof, sagt man. Stimmt aber gar nicht, wenn man in der Liga der Propheten mitspielt. Hier ist es besonders löblich, wenn man die Liga von hinten anführt. Zugegeben, wenn man dort rangiert, liegt die Vermutung nahe, dass die eine oder andere Einschätzung gründlich daneben ging. Ich finde: Kann mal passieren. Wer Letzter ist, soviel ist sicher, hatte vor der Saison das Herz in beide Hände genommen, und beim Prophezeien einige faustdicke Überraschungen eingebaut, die nicht jeder auf dem Zettel hatte. Ich persönlich freue mich über Propheten, die nicht dem allgemeinen Mainstream erliegen. HSV in die Europaleague, Leverkusen ins untere Mittelfeld, Hertha als Tabellenletzter, Bremen in die Championsleague – warum denn nicht?

Ist noch gar nicht lange her – in der Saison 10/11 – da hatte die Liga einen durchaus überraschenden Einlauf. Hinter Dortmund, Leverkusen und Bayern platzierten sich: 4. Hannover, 5. Mainz, 6. Nürnberg, 7. Kaiserslautern. Was man allgemein auf diesen Plätzen erwartet hätte, fand man einen Stock tiefer. Stuttgart und Bremen auf 12 und 13 sind aus heutiger Sicht nicht wirklich überraschend. Aber dann: 14. Schalke, 15. Wolfsburg, 16. Gladbach, 17. Frankfurt. Nur der damalige Achtzehnte, der FC St. Pauli war vorhersehbar. Hätte man diese Saison mit einer Mainstream-Prophezeiung gewonnen? Sicher nicht.

Im Grunde ist Prophezeien neben den ausgetretenen Pfaden eine absolute Sieger-Strategie. Wer Mainstream prophezeit, weiß viele Propheten in direkter Tabellennachbarschaft. Da hängt es kleinen Feinheiten ab, wer vorne ist und wer ein Plätzchen weiter hinten rangiert. Wer Paderborn auf 10 setzt, ist da besser dran. Diese Prophezeiung ist aktuell 8 Plätze vom Mainstream entfernt. Das bedeutet für den risikofreudigen Propheten einen respektablen Vorsprung vor dem anderen. (Vorausgesetzt Paderborn wird auch Zehnter) Genau darum ist der letzte Platz ein Ehrenplatz. Jedenfalls weit weg vom Mainstream. Klasse!

In so fern freue ich mich, für den ehrenvollen Roten Propheten einen besonders wertvollen Preis für den ehrenvollen Roten Propheten auszuloben. Seit Jahren spreche ich im Zusammenhang mit den hinteren Regionen unserer Propheten-Tabelle vom „Weinkeller“ unserer Tipp-Gemeinschaft. Ich finde, das hört sich deutlich feiner an als ein bloßer „Tabellenkeller“. Allerdings musste ich dafür auch Kritik einstecken. „Was bitteschön, ist denn ein Weinkeller ohne Wein?“, so wurde gefragt. Das sage ich entschlossen: „Hmmmm ja, da könnt was dran sein.“

An dieser Stelle als feierlich und mit ordentlich Tamtam: der Ehrenpreis für den Roten Propheten der Saison 14/15.

Ein besonders edler Tropfen
Franz Anton (Selection) Spätburgunder
vom Weingut Franz Keller aus dem Kaiserstuhl

Genau: Von supermegageilen (T’schuldigung für das wein-untypische Adjektiv) Weingut des Präsidenten des SC Freiburg Fritz Keller. Persönlich ausgesucht von Chris Weber, dem Verantwortlichen für den Einkauf im Weingut Franz Keller, den ich bei dieser Gelegenheit herzlich unter den Propheten begrüße. Und wer mir nicht glaubt, dass es ein wahrhaftig, großer Wein ist, dem hetze ich den textenden Sommelier des Weingutes auf den Hals. Der schreibt:

„Unsere Selection wächst in unterschiedlichen Höhenmetern des Kaiserstuhls auf verschiedenen Vulkansteinböden. Strengstens wird auf Ertragsreduzierung geachtet: Traubenteilung, Selektion im Weinberg und sorgfältige Weiterverarbeitung im Keller. Die Rotweinmaische wird wie früher per Hand gestoßen, um die Kerne nicht zu zerdrücken. Der anschließende Ausbau im Holzfass unterstreicht die Mineralität der Weine, typisch für unsere Weine aus dem Kaiserstuhl. Sie sind rebsortentypisch, nachhaltig, unkompliziert und fantastische Essensbegleiter.“

Soweit der Werbetext. Bei der Gelegenheit möchte ich den Propheten wärmstens ans Herz legen, das neue Weingut am Kaiserstuhl zu besuchen. Genau genommen ist es nicht nur einen Besuch wert, sondern einen ganzen Urlaub. Mindestens. Für den Anfang reichen ein paar Stunden, als Einstiegsdroge. Für ein erstes Reinschnuppern. Aber Vorsicht! Man muss ein wenig danach suchen. Der postmoderne Sichtbetonbau hat sich in seiner Architektur völlig in die Kaiserstühler Terrassenlandschaft eingekuschelt. Von oben betrachtet sieht man es kaum, die Gründächer bilden eine gute Tarnung. Der Hühnerstall auf dem Dach perfektioniert die architektonische Mimikry. Fritz Keller hat mit seinen Planern eines der ausgereiftesten Weingüter der Welt hingestellt. Kein Protzbau, ein Zweckbau. Aber gerade das fasziniert. Trotzdem verkneife ich mir an dieser Stelle das eingebildete Architektur- und Weingeschwätz. Auch der Bau glänzt mit Zurückhaltung und setzt ganz auf Substanz. Dem will ich gerne folgen – und kurz von meinem kleinen Besuchsfehler erzählen.

Bei meinem Gastspiel hatte ich nicht nur das Vergnügen, die Architektur zu bestaunen, sondern bekam auch einige Erläuterungen vom Chef persönlich. Ich gebe zu: Eigentlich war ich ja wegen des Fußballs zu Gast. Aber das Gebäude ist so beeindruckend konsequent, und der Wein so köstlich, dass ich es gar nicht geschafft habe, beim Thema zu bleiben. Nach meinem Interview hat mich Prophet Chris Weber fachkundig durch das neue Weingut geführt. Meist stand ich nur mit offenem Mund rum, bin gar nicht mehr aus dem Staunen raus gekommen. Gegangen bin ich allerdings ohne kulinarischen Genuss. Es war ein kompletter Planungsfehler. Am vorigen Abend war ich im Walfisch verhockt, einer Freiburger Kneipe, in der die Zeit aufs Angenehmste stehen geblieben ist - und zwar eine Minute nach dem sich die Sex Pistols in nichts aufgelöst hatten. Eine feiner Ort der Subkultur. Ich hielt es für meine heilige Pflicht dort noch ein wenig länger zu recherchieren. Ein normales Zubettgehen wurde dementsprechend unmöglich. Journalistische Pflicht, möchte ich fast sagen, noch ein wenig zu verweilen. Natürlich gehörte es zum guten Ton, die Jägermeister-Runden keinesfalls zu verneinen, man muss sich den Eingeborenen anpassen, finde ich. Da gehört auch dazu, dass man sich den Gepflogenheiten der Kneipe anpasst. Ich meine mich zu erinnern, dass ich vor der letzte Runde die weiße Fahne gehisst hatte, aber so genau erinnere ich es nicht. Es war eh zu spät. Auf jeden Fall weiß ich noch, dass mir am nächsten Morgen nicht nach weiteren Getränken mit Prozentzeichen auf dem Etikett war. Welch ein Planungsfehler! Jägi bechern, wenn man am nächsten Morgen im Weingut zu Gast ist. Ich gelobe Besserung, lieber Prophet Chris Weber. Wenn ich das nächste Mal am Kaiserstuhl bin, erscheine ich nüchtern. In den Walfisch geh ich danach.

Die anderen Mitbringsel aus dem Weingut sind bereits höchstpersönlich verkostet. Mein Urteil: Hmmm! Mein persönlicher Go Miau vergibt glatte 20 Kochmützen und mindestes 8 Sterne (hicks). Aber was zählt schon das Urteil eines Bulletinschreibers, wenn die gesamte Weinfachpresse das Lob in Fässern ausschüttet... Das gute Fläschchen für den roten Propheten befindet sich sicher in meinem kleinen Weinkeller, bei optimaler Temperatur selbstverständlich. Ich werde wohl einige Mühe haben, den guten Franz Anton eine liebe, lange Saison lang am Leben zu lassen.