Der Rote Prophet 14/15: Lee Kienle.

Championsleague-Hymne für den Roten Propheten der Saison 14/15, den unvergleichlichen Impulsiv-Propheten Lee Kienle.

Lassen wir mal den ganzen Pathos beiseite. Übrig bleibt: Fußball. Die mit Abstand supermegabeste Sportart, die die Welt jemals erfunden hatte. Dass die Erde wie ein überdimensionaler Ball aussieht, ist doch kein Zufall. Man fragt sich nur, warum man erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts drauf gekommen ist, auch wirklich Fußball zu spielen auf diesem Planeten, der doch so sehr dafür geeignet ist. Und natürlich hatte sich der Fußball gegen Rugby durchgesetzt. Oder ist die Erde etwa ein Ei? Nee, das Ball ist rund, weil das Spiel die Richtung ändern kann - und die Erde ist rund, weil sich eigentlich alles um den Ball dreht. Wie geil Fußball sein kann, welches Beben er auslösen kann, wie viele Kinderträume selbst noch bei Erwachsenen mitkicken, wenn sie auf dem Bolzplatz gegeneinander antreten, das hat schon im letzten Jahr ein türkischer Werbespot von Mastercard auf den Punkt gebracht.

Aus meiner bescheidenen Werber-Sicht ist es einer der besten der Spot-Ideen, die jemals rund um den Fußball realisiert wurden. Um die türkischen Texttafeln etwas zu ersetzen, hier kurz die ersten Sequenzen des Plots auf deutsch erklärt: Wie viele Kumpels treffen sich auch diese türkischen Freunde regelmäßig in einem Großstadtkäfig um eine gepfegte Kugel laufen zu lassen. Die Freunde haben sogar Leibchen dabei, damit ein wenig Ordnung ins Chaos der spontan aufgestellten Mannschaften kommt. Im Grunde ist alles wie immer, wie jedesmal, wenn man sich zum Kicken trifft. Außerhalb des Käfigs hat offenbar irgendjemand ein kleine Stahlrohrtribüne aufgestellt. Für was die eigentlich gebraucht wird, das weiß keiner. Ist ja auch egal, Hauptsache sie steht nicht auf dem Kunstrasen, da würde sie stören. Was die da draußen aufgebaut haben, ist unerheblich. Vermutlich wird hier am Wochenende ein Fest gefeiert, gewiß nichts, über was man sich länger Gedanken machen sollte. Sonst scheint alles normal beim Kick der Jungs. Was soll auch sein? Alles normal. Alles. Aber nur so lange, bis ein ohrenbetäubender Lärm entsteht. Eine Melodie, die man doch irgendwoher kennt... neee.... echt, jetzt?

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Zugegeben: alles nur Werbung. Aber erstens habe ich bekanntlich nichts dagegen einzuwenden, und zweitens: Hat es in der langen Geschichte von „Verstehen Sie Spaß?“ schon einmal eine solch geniale Sequenz gegeben? Das klare Nein erklärt nicht nur den Tod der großen Samstagabendshow, sondern auch die Faszination des Fußballs. Von diesem Spot angespornt, versuchte ich meiner Rolle als überraschender Siegerehrer gerecht zu werden, und startete meine tour d’honneur mit der Würdigung des wundervollen roten Propheten Lee Kienle. Ich überwältigte ihn in einem italienischen Restaurant und stellte ihm trotz reichhaltiger Weinkarte den begehrtesten aller Preise der Liga der Propheten auf den Tisch: einen Roten aus dem Hause Franz Keller, dem vielleicht renommiertesten Weingut des Kaiserstuhls, das geführt wird vom Sohn Fritz, der gleichzeitig als Präsident des SC Freiburgs allen Fußballfans ein Begriff ist.

Und weil die Letzten bekanntlich die Ersten sein werden, erkundigte ich mich gleich nach einigen Einschätzungen auf berufenem Munde. In der Tat war es nämlich so: Wenn man Lee Kienles Prophezeiung genauer anschaute, stellte man fest, dass er manches derart brillant vorhergesehen hatte, so dass es schien, er hätte ein drittes Auge, zwei für die Welt und eines für die zukünftige Bundesligatabelle. Er hatte beispielsweise den VfB Stuttgart als Tabellenletzter gesheen (was ja langer Zeit ein Volltreffer war), hatte Augsburg in der oberen Tabellenhälfte eingeloggt (was sich am Schluss fast als zu vorsichtig herausgestellt hatte) und prophezeite Paderborn eine weitere Spielzeit in der Bundesliga (was gewiss nicht so abwegig erschien, wie man es vor der Saison gedacht hatte) Alles überaus vernünftige Ansätze. Damit bewies Kienle ein großes prophetisches Herz, letztenendes lag er allerdings daneben, aber man muss trotzdem sagen: Viel hat nicht gefehlt. Dafür, dass sich seine Reihe vom allgemeinen Mainstream so deutlich unterschied, ist er weit gekommen. Und damit in der Reihe der roten Propheten Dada Fuchs und Michl Luz ein weiterer, verdienter roter Prophet, über den ich mich sehr freue.

Was sagt also der Rote Prophet, was sagt Lee Kienle,zur nächsten Saison? Ich war gespannt, und warf einige Namen über das weiße Tischtuch der Nobel-Pizzeria.

Darmstadt 98: „Was Dirk Schuster dort macht, davor muss man den Hut ziehen. Er hat es immer wieder geschafft, sich eine Klasse höher durchzusetzen und er wird es auch diesmal wieder schaffen. Darmstadt wird mit dem Tabellenende nichts zu tun haben, eher landen sie sogar in der vorderene Tabellenhälfte. Ich traue ihnen sogar eine Euroleague-Platzierung zu.“

Ingolstadt: „Denen ist in der Rückrunde der zweiten Liga etwas die Luft ausgegangen. Das wird auch in der Bundesliga nicht besser. Die steigen wieder ab.“

Hamburger SV: „Ein weiteres Mal werden sie nicht so tief da unten rein kommen. Aber viel besser wird es auch nicht. Mittelfeldplatz. Auf kein Fall mehr.“

Augsburg: „Da wird noch ehrlich gekickt. Der Weinzierl gefällt mir sowieso. Was der für einen Fußball da spielen lässt, das ist schon beachtlich. Ich hab mich sehr für die Augsburger gefreut. Mit der Doppelbelastung wird es jetzt natürlich schwerer, aber in der Liga werden sie trotzdem nicht abstürzen. Dafür ist die Mannschaft zu sehr in sich gefestigt. Es hat ja in dieser Saison auch keine prominenten Abgänge geben. Ich würde sie wieder im vorderen Drittel sehen. TopTen machen sie mindestens."

Dortmund: "Seit Klopp in Dortmund ist, bin ich BVB-Fan. Und jetzt hat mich die Verpflichtung von Tuchel auch sehr gefreut. Das ist für mich gar keine Frage. Der BVB macht mindestens einen Championsleagueplatz, wenn nicht mehr."

Stuttgart: "Früher war ich mal VfB-Fan. Aber seit den Zeiten des Magischen Dreiecks ist das vorbei. Die kotzen mich nur noch an. Was für einen Drecksfußball ist denn das, in den letzten Jahren? So eine gute Jugend, und was passiert da? Nichts passiert. Seit Jahren geht das nun schon so. Ein arrogantes Pack da unten, und nichts dahinter. Der wievielte Neuanfang ist das jetzt? Nee. Ich bin nur mal gespannt, ob das zusammenpasst. Zorniger und Dutt. Von dem Dutt halt ich ja gar nichts, was hat den der bisher hinbekommen? Und jetzt soll der den VfB retten? Ich bin gespannt, und bleibe skeptisch. Aber sagen wir mal so: Eigentlich kann es nur noch besser werden. Unteres Mittelfeld für den VfB würde ich schätzen. Mehr nicht."

Nach den klaren Worten am Tisch des Italieners bin ich also sehr gespannt, wie die neue Prophezeiung unseres Roten Propheten aussehen wird. Die entscheidenen Szenen wird Kienle allerdings selten sehen. Auch das spricht für ihn, den alten Fußballromantiker, den Feinschmecker und Verfechter des schönen Spiels. Kienle verfolgt die Bundesliga konsequent am Radio. „Das Kopfkino, das ich während der Schlusskonferenz erlebe, ist stärker als jede Fernsehübertragung,“ schwärmt Kienle. Recht hat er. Vielleicht muss ich beim nächsten Mal doch mit einem TV-Team überraschen. Und der Championsleague-Hymne. Nur mal so.