Der Ultra im Maßanzug bin ich

Ein neuer Verein drängt in den Profifußball: Der FC PlayFair! setzt sich dafür ein, bei der Kommerzialisierung das richtige Maß zu finden. Warum der Verein genau in die Zeit passt: das prophetische Playfair-Insiderbulletin des 33. Spieltags.
Das Wesen eines Fußballfans ist keinesfalls die Freude. Es ist das Leid. Und das muss raus. Am besten im Stadion. Mal Kinder außen vor gelassen: Wer fiebert wirklich mit Ronaldo und Messi? Wie viel näher stehen uns vertraute Größen wie Fin Bartels, Aytac Sulu oder Guido Burgstaller? Weil in Ihnen auch das Leid mitschwingt. Weil wir wissen, dass ein Ball vom Fuß springt. Trotzdem fordern wir von unseren persönlichen Helden, dass ihnen nicht unterläuft, was unsereins andauernd passiert, zum Beispiel beste Chancen freistehend zu versemmeln. Das Ballwegspringen, das Versemmeln, das Unzulängliche können wir nachfühlen. Man kann die Empathie in den Stadien während der 90 Minuten greifen: Es drückt sich aus in andauernden Motzen, fortlaufenden Meckern, gar Fluchen, oder wie wir im Schwäbischen sagen: Bruddeln.
Das Primärleid des Fans: die eigene Mannschaft.
Prophet Hannes Krauß-Caesar hat einst das Wort „Meckerstadion“ für die VfB-Tribünen geprägt, was mir so gut gefiel, dass ich ihm beim Bier das Copyright abschwatzte, worauf ich das Meckerstadion später als Überschrift eines Buchkapitels verwendet habe. Es ist ja so viel Wahres dran: Wir Schwaben sind Meister des Bruddelns. Der Eine kann den Ball nicht stoppen... Der Andere ist sein Geld nicht wert... Welchen Trottel haben wir da wieder gekauft - es ist zum Verzweifeln. Andere Klubs – gleiches Bild. Weil der Platz an der Sonne längerfristig an München vergeben ist, bleibt für die Klubs von Ottonormalfans nur Mittelfeld. Dieses beginnt in der aktuellen Bundesliga ab Platz zwei. Oder es geht gleich in die zweite Liga. Alle leiden - außer Bayern. Wohlgemerkt: Es handelt sich dabei um kein Leid im schlimmeren, grundsätzlichen Sinn, sondern vielmehr ein Leid als charakterliche Auszeichnung. Man leidet mit den Schwachen. Man beweist, dass man zu Mitgefühl fähig ist. Man nennt das Identifikation. Darum gehen Fans ins Stadion und reden sich den Mund fusselig über Dinge, die wirklich nur in fußballerischen Sinne wichtig sind.
Vor diesem Hintergrund wird klar, dass Fans von 35 Klubs im Profifußball nasrümpfig werden, wenn es um die Fans des FC Bayern geht: Die Lederhosen haben maximal zweimal im Jahr (beim CL-Aus und beim DFB-Pokal-Aus) etwas zu meckern. Das ist zu wenig. Zu wenig Leiden, um in den Augen der Anderen auf ebenbürtige Höhe zu kommen. Man kann die FCB-Überlegenheit super finden. Aber sie ödet auch an - sogar die eigenen Fans. Darum bleibt die Stimmung in der farbigen Retortenschüssel bescheiden. Wenn Bayern schließlich Meister wird, fehlt jedes Überraschungsmoment. Nächste Woche live zu besichtigen. Die Bierdurschen werden von Erdinger seit Wochen minutiös choreografiert. Aber: Oans, zwoa, dann ist scho g’nug gsuffa. Auf den Wiesen rund um Fröttmaning ist der Räumdienst schon auf 20 Uhr bestellt. Restdeutschland schaut mit Gleichgültigkeit darauf. Bayernfans wird das Fansein abgesprochen. Zwei Niederlagen im Jahr reichen nicht für Mitgefühl. Und Mitgefühl mit Arien Robben wäre ja auch keine menschliche Regung. Wie um diesen Satz final zu untermauern, erzielt der Holländer das 4:5 in Leipzig.
Zum üblichen Leid eines Fußballfans gesellt sich in den letzten Jahren ein zusätzliches: das Leid der Kommerzialisierung, ein Leid zweiten Grades, aber nicht weniger ernst zu nehmen. „Früher haben wir auch nicht gewonnen“, sagt der Fan, „aber da war wenigstens die Bratwurst vom Grill“. Man kann derlei Stimmen als Nostalgie abtun. Aber in Zeiten prall gefüllter Stadien ist das Kommerzialisierungsleid der sichere Vorbote des Niedergangs unseres Fußballs, wie wir ihn kennen. Das hat jetzt eine wissenschaftliche Studie bewiesen, in die ich als Bulletinschreiber mitten reingeraten bin.
Das Sekundärleid des Fans: die Kommerzialisierung des Fußballs.
Hier im Stuttgarter Raum, also in der gefühlten Hochburg des Meckerns, hat sich eine Clique aus formidablen Freunden zusammengefunden, die erstmals das Kommerzialisierungsleid des deutschen Fans gemessen und quantifiziert hat. Claus Vogt, ein Unternehmer aus Böblingen, ist die treibende Kraft hinter dem FC PlayFair! (nur echt mit Ausrufezeichen). Neben ihm sorgt André Bühler, Marketing-Professor an der HfWU Nürtingen-Geislingen und Direktor des Deutschen Instituts für Sportmarketing für die notwendige wissenschaftliche Tiefe. Meine Rolle als Bulletinschreiber bleibt überschaubar. Ich assistiere dem hervorragenden Kommunikator Christian Prechtl bei seiner Pressearbeit. Dieser hat in der letzten Woche ein wahres Feuerwerk abgebrannt. WELT, ZEIT, FAZ, 11FREUNDE, SPON, unzählige Tageszeitungen – alle berichteten von der wissenschaftlichen Studie, die erstmals belegt, dass die Fans die Lust am Profifußball verlieren. 17.330 Leute haben via kicker bei der Befragung mitgemacht. „Situationsanalyse Profifußball“ nennt sich die Untersuchung - und bereits am Pressecho ist abzulesen, dass wir eine Stimmung an die Oberfläche bringen, die zwar längst vorhanden war, aber bisher unterhalb der Wahrnehmungsschwelle vor sich hin brodelte.
Udo Muras überschrieb seinen Artikel in der WELT mit der feinen Headline „Ultras in Maßanzügen“ und ich gestehe, da hat er den FC PlayFair! gut getroffen. Denn einerseits ist uns Fairplayern klar, dass Kommerzialisierung sein muss, sie gehört zum Wesen des Profifußballs. Andererseits sorgt das viele Geld zunehmend dafür, dass sich das Produkt Profifußball selbst zerstört. DLF und DFB sollten alarmiert sein. Darum steht der FC Playfair! für eine Kritik von Ultras in Maßanzügen: Maßvoll und sachlich im Auftreten. Aber ultra-emotional in der Hingabe zum Fußball. Im Moment nehmen wir, der FC Playfair!, einen Anlauf, um eine fundierte Diskussion zu führen. Seit letzter Woche haben wir folgende Anstöße vorzubringen: (Ich zitiere aus der Studie)
- Mehr als die Hälfte aller befragten Fußballfans (51,4%) geben an, sich früher oder später vom Profifußball abzuwenden, sollte sich die Fußballkommerzialisierung weiterhin so entwickeln.
- 55,3 Prozent – und damit mehr als die Hälfte aller befragten Fußballfans – sehen die Bundesliga mittlerweile als langweilig an.
- Sieben von zehn befragten Fußballfans (69,3%) sehen die Grenze der Fußballkommerzialisierung erreicht.
- 72,4 Prozent der befragten Fußballfans sind der Meinung, dass bei der derzeitigen Entwicklung des Profifußballs die Interessen der Fans auf der Strecke bleiben.
- Mehr als Dreiviertel aller befragten Fußballfans (78,4%) haben den Eindruck, dass den Funktionären das Geld wichtiger zu sein scheint als der Fußball an sich.
- 79,6 Prozent aller befragten Fußballfans sehen in der Tatsache, dass es in der Champions League zu viel Geld für immer die gleichen Mannschaften gibt, auch ein Problem für den deutschen Profifußball.
Interessant auch dieses Ergebnis: „84,5 Prozent aller befragten Fußballfans sind nicht der Ansicht, dass der Deutsche Fußballbund trotz aller Beteuerungen der Verbandsspitze für Transparenz steht.“ Zwei Tage nachdem die Studie veröffentlich wurde, entließ die FIFA die Spitzen ihrer aktuellen Ethik-Kommission. DFB-Chef Grindel enthielt sich bei der Abstimmung in Bahrain seiner Stimme. Er wertet die Enthaltung selbst als Protest. Diese Ansicht hat er exklusiv. Eine schärfere Form des Protest dem DFB nicht zuzutrauen. Fußballfans wissen einzuschätzen, aus welchem Gummi die Leute geschnitzt sind, die über die Sportart wachen. Unsere Studie hat dies bewiesen.
Ich freue mich bei den Jungs vom FC Playfair! dabei zu sein - und hoffe, dass unsere kleine Initiative weiterhin in der Lage ist, hohe Wellen zu schlagen. Wir wollen gemeinsam und vereinsübergreifend dafür kämpfen, dass uns unser Primärleid erhalten bleibt. Es darf nicht soweit kommen, dass uns der Profifußball und damit unser Verein egal wird. Ich habe vieles an meinem Verein auszusetzen. Aber es wäre noch doofer, wenn er mir wurscht wäre. Profifußball ist ein Kulturgut. Das Stadionerlebnis gehört zu unserer Gesellschaft wie Familie und Fernsehen, wie Ballett und Bier, wie Oper und Oktoberfest. Man sollte dieses Kulturgut pflegen.
Und schließlich: Wenn uns der Profifußball wurscht wäre, wen würde noch die Liga der Propheten interessieren? Meine Damen und Herren, es geht um höhere Werte, es geht um unsere westliche Werte. Es ist Zeit aufzustehen, gegen die Kommerzialisierung im Allgemeinen und gegen das Geld von Hassan Ismaik im Besonderen. Danke FC PlayFair. Ausrufezeichen.
Abschließender Hinweis: Meine Zeilen sind kein offizielles Statement des FC PlayFair! Der Verein freut sich über Bayern-Fans, die leidensfähig genug sind, sich den Zielen des FC PlayFair! anzuschließen. Gerade dann, wenn ihnen langweilig wird. Auch allen Anderen sei die Seite www.fcplayfair.de ans Herz gelegt (ohne Ausrufezeichen)