Der Vize-Prophet 13/14: Oliver Schneider.

Siegerehrung unter Lampen. Eine willkommene Gelegenheit, um Propheten in ganz Deutschland einen Einblick in die schwäbische Seele zu geben. Ja, wir bleiben sehr selbstkritisch, auch uns selbst gegenüber.

„Ein wenig Fachverstand, ganz viel Bauchgefühl und noch viel mehr Glück als alles andere.“ Endlich erhielt ich eine kurze, treffende Zusammenfassung auf die Frage, was man braucht, um eine gute Prophezeiung abzuliefern. Sie stammt von Oliver Schneider, unserem Vize-Propheten der Saison 2013/14. Ich traf mich mit ihm in Stuttgarts Wäldern, genauer gesagt im Krummbachtal. Das liegt vom Innenstadtkessel aus gesehen in westlicher Richtung, auf halber Strecke nach Leonberg. Trotzdem sollte es für jeden Propheten aus der Region eine Reise wert sein. Ich schlug es als würdigen Ort für die Siegerehrung vor, weil ich darauf spekulierte, dass der prophetische Tabellensechzehnte Benny Leibner dos Santos hinter der Bar aufzeigen würde. Seit März betreut der Halb-Brasilianer (Eins zu Siiiiieben) dort die besonders spassigen Getränke und ich hoffte auf spritzige Füllungen des Pokales. Doch leider hatten wir seine Schicht verpasst. Sportlich wie wir sind, hat uns ein sommerliches Radler ebenfalls sehr gemundet.

Dafür konnte der Wirt, Philipp Honstetter, einige Details aus der ersten Reihe beisteuern. Tatsächlich war es so, dass inklusive des Wirts drei eingefleischte Lampen am Tisch des Waldbiergartens leuchteten. „Lampen“ – das ist die verächtliche Bezeichnung von Kickers-Fans für ihre Nachbarn von der anderen Seite des Neckars. Für alle, die jetzt Wahrig’s Wörterbuch der Herkunft nicht zur Hand haben: Es wird vermutet, dass der Ausdruck „Lampen“ von den Hasen kommt, die bekanntlich recht zahlreich auf dem Wasen zugrasenpflegten. Drei Lampen versammelt - da konnte angesichts des 15. Tabellenplatzes des VfB nichts mit blauäugigem Optimismus besprochen werden. So kündigte auch der amtierende Vize-Prophet Oliver Schneider an, dass er seine Wasen-Kicker in der nächsten Saison „so zwischen Platz 13 und 9 einschätzen würde“. Nicht unbedingt ein berauschender Platz für einen Klub, der eigentlich einen höheren Anspruch pflegt. Doch wer will einem amtierenden Vize-Propheten widersprechen? Zumal wenn sich kein Argument aufdrängt.

Mit dem Vize-Propheten verbindet mich persönlich so manches. Auch ist sportlich sehr erfolgreich, als großer TV-Athlet. Auch er hatte damals, in der ersten Saison nach dem Wiederaufstieg, also Mitte der 70er-Jahre, seine fußballerische Seele mit einem roten Brustring geschmückt. So ist das eben, man sucht sich den Verein nicht aus, sagt Nick Hornby, er wird einem gegeben. Im Gegensatz zu mir hatte Oliver Schneider allerdings bald eine Dauerkarte. Bis zur verhängnisvollen Saison, in der unser zweifelhafter Kult-Präsi Mayer-Vorstopper (11Freunde nennt ihn volkstümlich „Trollinger“) einen unverzeihlichen Fehler beging: Er verpflichtete Winnie Schäfer als Trainer. Ein ziemliches Missverständnis war das – für beide Seiten nichts, das als Höhepunkt der Karriere taugt. Also quittierte Oliver Schneider mit seinem gesamten Freundeskreis den Dienst an der Dauerkarte. Bis zum heutigen Tag wurde er dauerhaft nicht rückfällig, nur vereinzelt. Und das, obwohl das schwäbische Fußballkultur-Abo in dieser Saison mit dem alten Wappen auf der Wertvolles vorspiegelnden Plastikkarte besonders schöngeistig ausgefallen ist.

Vielleicht liegt es am edlen Dauerkarten-Design, dass der VfB in dieser Saison einen verwunderlich starken Dauerkarten-Verkauf vermeldet. Die Stuttgarter Nachrichten räsonierten vor kurzem über den Grund. Der klare Befund: „In Stuttgart gehen die Fans nur ins Stadion aufgrund der schönen Erinnerungen.“ Bevor große Wehmut aufkam besprach ich mit dem Vize-Propheten die Zukunft, keinen besseren Experten könnte man dafür finden. Nach seinem Dafürhalten gibt es im Grunde nur eine Lösung, da ist er sich mit dem VfB-Präsidenten Wahler einig: Schneider, Sautter und die anderen Mitglieder müssen sich selbst entmachten. Eine Ausgliederung der Fußballabteilung aus dem VfB Stuttgart e.V., das ergab am Tisch der erleuchteten Lampen plötzlich einen Sinn. Der Betrag von 70 Mio wird am Neckar gehandelt. Dieses Sümmchen könnte man von der Wirtschaft einsammeln, wenn sie sich an der AG beteiligte. Unter Schwaben durchaus ein Argument.

Sogar ein gewichtiges Argument. So lange bis Biergarten-Wirt Philipp Honstetter mit Informationen aus der ersten Reihe aufwartete. Dauerkarteninhaber Honstetter wurde am Vorabend Zeuge der VfB-Mitgliederversammlung. Er erhob Einspruch: „70 Mio.? Viel zu wenig!", stellte er fest, "das haben wir noch in jeder Phase durchgebracht, und zwar völlig ohne langfristigen Erfolg.“ Es ist die Wahrheit. Kein Widerspruch. Die Propheten Schneider und Sautter beschlossen also den kenntnisreichen Biergartenbesitzer unverzüglich für unsere Tippgemeinschaft zu werben. Falls er unserer Einladung Folge leistet, bin ich gespannt auf seine Prognose zum VfB Stuttgart. Blauäugig wird sie keinesfalls ausfallen.

Propheten aus Bremen, Hamburg oder Köln bitte ich den Stuttgart-Schwerpunkt der Siegerehrung zu entschuldigen. Wer sich daran stört, möge in den entscheidenden Passagen des Texte den Ausdruck „VfB Stuttgart“ durch „Werder Bremen“, „Hamburger SV“ oder „Hertha BSC Berlin“ ersetzten. Es kommen manche Bundesligavereine in Frage, ausgenommen Bayern und Paderborn.

So verließen die Lampen den Biergarten der Erkenntnis – mit einem gegenseitigen Versprechen auf den Lippen. Wenn demnächst auf einer Mitgliederversammlung über die Ausgliederung in eine AG abgestimmt werden sollte, würden wir gemeinsam unsere HV-Premiere geben,unter den Mitgliedern aufleuchten und durch besonders hellsichtiges Abstimmungsverhalten auffällig werden.

Kleiner Nachtrag:

Weil sich unser Vize-Prophet Oliver Schneider über kleine schräge Clips freut, möchte ich gerne den Gefallen erweisen. Außerdem hatte ich mich vor kurzem in einem Bulletin mit Olli-Kahn-Rhetorik auseinandergesetzt. Olli Kahn ist plötzlich in Paderborn aufgetaucht. In der Gestalt von Nico Burchert. Sehenswert.