Die Universallösung

Kaum zu glauben, aber wahr. Die Freitagabendpartie Wolfsburg gegen Augsburg löst alle Probleme, die der moderne Fußball verursacht. Wie das funktioniert: jetzt im prophetischen Bulletin des 30. Bundesligaspieltags.

Ja, ich gebe es zu. Ich hatte am Freitagabend schon bessere Ideen. Aber die Woche war erfüllt, am Abend zuvor ging ich bereits Gassi in die Kneipe. Man muss sich auch täglich an die Spitze aller Kulturgenußmenschen setzen, um anderntags beredt über das gestrige Zwölftonmusik-Konzert zu schwärmen. Schließlich steht zu Hause ein wundervolles Sofa bereit - extra einrichtet im magnetischen Mittelpunkt des heimischen Ruhepols. Und praktisch platziert, weil man vom Sofa einen feinen Blick auf den Bildschirm hat. Ach ja, ist ja Bundesliga. Wolfsburg gegen Augsburg. Abstiegskracher. Vielleicht sollte ich mal einen Blick riskieren. Für Anspruchsvolleres bin ich eh zu platt.

Das schlechteste Bundesligaspiel aller Zeiten

Mein Freitagabendphlegma wurde empfindlich bestraft. Die Begegnung hatte so viele lichte Momente wie ein kompletter AfD-Parteitag. Auf dem berühmten Chancenzettel, den die Reporter führen: Kein Eintrag. Nichts. Endlich mal wieder ein Null zu Null, das den Spielverlauf vollständig widerspiegelte. Vollauf verdient für beide Mannschaften. Null zu Null. Null gegen Null. Alles null. Für fachkundige Propheten stand das Ergebnis schon in der ersten Minute fest. Der Wolfsburger Trainer Bruno Labbadia ist längst berüchtigt für inspirationsfreien Ergebnisfußball. Sein Augsburger Kollege Manuel Baum musste mit einer spielerischen Krise der Nullsiebener umgehen. Beide hatten nichts gegen ein Unentschieden. Beide hatten die Tabelle im Blick und wußten, dass ein Punkt okay wäre. Keiner spielte auf Sieg. Das Spiel war spannend wie ein süditalienisches Derby, bei dem die Mafiosi das Resultat vorher gedealt hatten. Doppelnull mit Ankündigung. Irgendwann in der zweiten Halbzeit fiel ich in einen segensreichen Schlummer. An diesem Abend würde mich kein Torjubel stören. Gute Nacht Fußball.

Anderntags grämte ich mich ein wenig über den verplemperten Freitagabend. Doch mir blieb nicht viel Zeit. Samstagnachmittag stand Stuttgart gegen Hannover auf dem Programm. Mein Stadionbesuch entpuppte sich allerdings zügig als kleine Schwester des schlechtesten Bundesligaspiels aller Zeiten. Ich überlegte, ob hinter alledem ein System steckte. Es dauerte Stunden, bis ich es erkannte. Heute bin ich mir sicher: Wolfsburg gegen Augsburg kann die Lösung aller Fußballfragen sein, die die Fans aktuell beschäftigen.

Viele Probleme, die der moderne Fußball mit sich bringt, wurden in unseren Bulletins schon diskutiert, unter anderem die 50+1-Regel, die Traditionslosigkeit des heutigen Fußballbetriebs, hypermoderne Spielsysteme und der damit verbundene Taktiksprech, die Zufälligkeit ungerechter Spielergebnisse, und, und, und. Alles dies wird mit einer einzigen Partie in Wohlgefallen aufgelöst: Wolfsburg gegen Augsburg! Falls sich ein Chinese oder ein Scheich via Mehrheitsbeteiligung in Augsburg einkaufen wollte: Man müsste ihm nur die Aufzeichnung dieses Spieles zur Verfügung stellen. So masochistisch können keine Investoren sein.

Auch der affige Taktiksprech hat sich erledigt. Über die gesamten neunzig Minuten Wolfsburg-Augsburg war kein Spiel zu erkennen, das man hätte analysieren können. Prophet und Spiegel-Fanexperte Christian Prechtl hat vor kurzem festgestellt, dass man die Stuttgarter Spieler am effektivsten mit Dreiwortsätzen aufs Match vorbereitet. Für Wolfsburg und Augsburg gilt selbes. Fußball ist ein einfaches Spiel. "Wenn wir hinten kein Tor kassieren", sagte Labbadia zu seinen Spielern, "können wir das Spiel nicht verlieren". Das konnten trotz Überlänge alle verstehen. "Und vorne hilft der liebe Gott", dachte sich Labbadia. Aber was wäre das auch für ein Gott, wenn er bei Labbadias Kabinenansprachen zuhören würde?

Wie ging noch gleich das erste Länderspiel aus?

Fans, die auf Fußballtradition wert legen, sei gesagt: So ein Null zu null ist ein extrem traditionelles Ergebnis. Der Fußball von Geburt an arm an Toren. Schon das erste Länderspiel der Geschichte, das in den internationalen Holzschnitten verzeichnet ist, ging selbstverständlich null zu null aus. 4.000 Zuschauer hatten sich im West of Scotland Cricket Ground in Glasgow eingefunden um das erste Länderspiel zwischen Schottland und England nach den neuen einheitlichen Association-Regeln zu erleben. Doch der Besuch blieb eine Enttäuschung. Trotz acht Stürmern auf der englischen und sechs Stürmer auf der schottischen Seite: Null zu null. Heute würde man vielleicht sagen, die Zuschauer gingen nach Hause mit einem extrem wolfsburgaugsburischen Gefühl. Doch auch dem Vergleich mit den oft verklärten Siebziger Jahren hält die Partie in Wolfsburg spielend stand. Auch bei Bochum gegen Duisburg herrschte gerne Torflaute. Der einzige Unterschied: Auf den damaligen Werbebanden standen Stiebel Eltron, Jägermeister, Volksfürsorge oder Bluna. In Wolfsburg ist dort nur die Zuliefererliste von VW aufgeführt - oder diejenigen, die es werden wollen. Einzige Ausnahme: Rinti Kennerfleisch. Der VW-Bestechung unverdächtig.

Der Fußball wird zunehmend zum Event? Jeden Abend kommt nur Fußball? Andere Sportarten finden zu wenig Beachtung? Doping im Fußball? Fanausschreitungen? Nun, würden Wolfsburg gegen Augsburg häufiger gegeneinander spielen, hätten sich all diese Probleme mit einem Schlag erledigt. Rückblickend betrachtet darf ich sagen: Wolfsburg gegen Augsburg ist die Universallösung aller Fußballfragen - und ich war dabei. Und falls jemand an dieser Lösung zweifelt: ich kann es bezeugen. Mein Schlummer ist der Beweis. Es funktioniert. Was allerdings den nächsten Freitagabend betrifft, will ich mal schauen, ob nicht irgendwo ein Zwölftonmusik-Konzert gegeben wird. Die Wahrscheinlichkeit, dort ein Fußballspiel zu sehen, ist sicherlich höher als in Wolfsburg.