Die wahren Helden

Sie fiebern ihrem Einsatz im Stadion entgegen wie sonst niemand. Sobald sie unter dem Jubel der Zigtausend das Stadion betreten und den Fußballrasen unter ihren Stollen spüren, dann löst sich die Spannung und sie genießen diesen Moment...

Nicht alles, was sich Bundesliga-Vereine zum Thema Marketing und Geld verdienen einfallen lassen, ist schlecht. Dazu gehören die sogenannten Einlaufkinder, die an der Hand der Bundesliga-Spieler in vollständiger Fußballmontur zu Spielbeginn mit aufs Spielfeld laufen dürfen. Einlaufkinder ist ein blödes Wort, das einem kaum über die Lippen kommen mag. Zu viele Assoziationen mit dem Wort Einlauf sind extrem negativ behaftet. Sei es drum, mir fällt so Recht nichts Besseres ein. Der Duden kennt keine Einlaufkinder sondern nur Auflaufkinder, was keinen Deut besser klingt und ganz andere negative Assoziationen weckt, ebenso wie das hin und wieder zu hörende Wort Eskortenkind, wenn auch subtiler. Trotz Duden hat sich das Wort Einlaufkinder im Deutschen allgemein durchgesetzt und das ist allemal maßgebend.

Eine Karriere als Einlaufkind steht in Deutschland erst seit 1994, also seit gut 22 Jahren, auf den Wunschzetteln der allerkleinsten Fußball-Fans. Angeblich hatte der ehemalige Werder-Manager Willi Lemke diesen Usus irgendwo in Brasilien gesehen und nach Bremen exportiert. Richtig durchgesetzt hat sich diese besondere Form der frühkindlichen Fan-Förderung aber offensichtlich erst nach und nach, was 2006 und gut 10 Jahre später, durch die Aufnahme des oben erwähnten Auflaufkindes in den Deutschen Sprachschatz durch die Duden-Redaktion, ganz gut dokumentiert ist. Ich kann mich als alternder Mensch, zumal kinderlos, nicht sehr gut in die Gedankenwelt der heutigen Mini-Fußballfans hineinversetzen, aber ich denke doch, dass es sehr wohl zu ihren größten Wunschträumen gehören könnte, einmal als Einlaufkind bei ihrem Lieblingsverein dabei zu sein. Und wenn man sich das Prozedere mit den kleinen Buben und Mädchen zu Spielbeginn einmal genau anschaut, bestätigt sich das. So stolz und glücklich wie sie da stehen mit ihren roten Bäckchen und zu ihren Helden aufschauen. Da geht einem doch das Herz auf. In diesem Moment werden Träume wahr und die Begeisterung für einen Verein auf ewig zementiert. Sie sind die wahren Helden des Spieltags. Wer das nicht mitfühlen kann, hat ein Herz aus Stein.

Leider ist so eine Karriere als Einlaufkind je nach Wunschverein nicht so leicht einzuschlagen. Hat sich ein Kind in den Kopf gesetzt, diese gleich ganz oben, bei der Nationalmannschaft und einer Weltmeisterschaft zu beginnen, scheint es gar unmöglich. Bei der letzten WM und EM hatte da MacDonalds den Daumen drauf. Nur umfangreiche Bewerbungsunterlagen möglichst samt eigenem Bewerbungsvideo waren erfolgversprechend. Da müsste man vermutlich weniger beibringen, wenn man sich bei dem Fastfood-Konzern um einen Posten in der Chef-Etage bewirbt. Man sollte zudem im Alter zwischen 6 und 10 Jahren sein, nicht größer als 1,48 Meter und muss eine Versicherung der Eltern beifügen, dass man "schulsporttauglich" ist. Letzteres bedeutet durch die Blume nichts anderes als: "Bitte nicht zu fett!" Es passt eben nicht in die McDonalds-Marketing-Welt, dass es auch dicke Kinder gibt. Nein, nein, auf keinen Fall. Als letzte Hürde für die Kinder bleibt das Einverständnis der Eltern. Wenn die alle sieben Sinne beisammen haben und sehen, welche Daten sie von sich und ihrem Kind dafür preis geben müssen, erblicken sie hinter dem Ganzen garantiert eine gigantische, weltweit operierende Datensammel-Krake und reden ihren Kindern diese Einlaufgeschichte hoffentlich gleich wieder aus.

Kinder, die es trotzdem schaffen ein McDonalds-Einlaufkind zu werden, müssen hinterher mit einem Makel leben. Sie tragen hinterher nicht das originale National-Trikot in passender Größe als Trophäe nach Hause, sondern eine alberne rot-gelbe Fußball-Uniform, mit der sie sich auf jedem Bolzplatz dieser Welt zum Gespött machen oder dafür gleich Haue bekommen. Da gibt es bessere Karriere-Chancen als Einlaufkind in der Bundesliga. Je nach Lieblingsverein ist das einfacher und attraktiver. Soll es der FC Bayern sein, tendieren die Chancen natürlich gegen Null. Zu viele Bewerber. Kommt ein Vereinswechsel nicht in Frage, dann war's das wohl oder übel. Das Dilemma des Erfolgs-Fans fängt so schon in frühen Kindertagen an und endet später bei den fast aussichtslosen Versuchen ohne Vitamin B an Tickets zu kommen. Bei anderen Vereinen sind die Chancen ungleich größer, aber auch auf niedrigerem Niveau müssen das Kind bzw. die Eltern zuvor beim Wunschverein ein paar Kröten schlucken respektive davon einige auf den Tisch legen.

Viele Vereine haben das Einlaufkinder-Scouting nämlich an Sponsoren ausgelagert. Einige betreiben dabei das von McDonalds vorexerzierte Marketing-Konzept in etwas kundenfreundlicherer Version. Die Kinder bzw. ihre Eltern oder gar ganze Junioren-Fußballmannschaften können sich mit Bewerbungen unter Angabe ihrer Daten direkt bei einem der Sponsoren melden. Das ist beim SC Freiburg und dem HSV etwa die Techniker Krankenkasse, bei Hertha etwa die Deutsche Bahn und bei Schalke der Würstchenfabrikant Böklunder. Bei Gladbach führt die Postbank dieses lukrative Marketing-Geschäft und bietet nebenher auch noch das so genannte Fohlen-Konto an: Wahre Fans zeigen die Farben ihres Vereins, auch auf der Kreditkarte. Es geht halt vor allem ums Geld. Bei Hoffenheim etwa, müssen die Einlaufkinder für etwa 30 Euro im Jahr zunächst mal Mitglied im Hoffi-Club werden. Das ist für die Eltern gerade noch zu verschmerzen. Ob das Tragen des Hoffi-Club-T-Shirts beim Einlaufen und vor allem hinterher zu mehr Street Credibility der Kinder beiträgt als ein McDonalds-Trikot, sei dahin gestellt. Ebenso bei den S-Bahn-Berlin Trikots, in die die Deutsche Bahn gern mal ihre Einlaufkinder steckt. Dagegen sehen die Böklunder-Würstchen-Trikots der Einlauf-Kids auf Schalke schon fast cool aus. Es gibt noch genügend andere, von Sponsoren verunstaltete Trikotvarianten zu beklagen. Warum spendieren die den Kids nicht einfach die regulären Trikots mit ihrem Namen drauf? Das zeigte etwas mehr Respekt für Einlaufkinder.

Aber es geht ja nicht nur um Kommerz und Äußerlichkeiten, sondern um den unvergesslichen Moment. Und wer diesen seinen Kindern bescheren möchte, der tut nur Gutes. Dem Vernehmen nach überlegen geschäftstüchtige Fußball-Marketingabteilungen dieses Prinzip noch weiter auszudehnen. Es sind schon Auslauf-Kinder im Gespräch, welche die Spiele nach dem Spiel beim lockeren Auslaufen im Stadion begleiten dürfen. Eine andere Variante sind die Einlauf-Rentner, als attraktives Angebot für die Senioren auf der Tribüne. Gute Idee! Ein erster Versuch in Schweden ist hier zu bewundern: http://bit.ly/2eOvgRV