Duschen mit Betroffenen.

Hamburg am Boden. Dementsprechend schaut das prophetische Bulletin des 30. Spieltags ganz genau nach. Es ist völlig für die Füße.

Fußball-Fans lassen sich merkwürdige Dinge einfallen. In deutschen Stadien soll es vorkommen, dass Spieler mit Münzen, Trommelstöcken und Feuerzeugen beworfen werden. Was merkwürdige Zuschauereinwürfe betrifft, sind die Spanier vorne. Dort wurde ein Spiel wegen eines Regenschirmwurfes abgebrochen, eine lebende Katze aufs Spielfeld geworfen und der Schweinskopf, der den Wechsel von Luiz Figo anprangern sollte, bleibt wohl ewig vorn in meiner persönlichen Hitliste abstruser Wurfgegenstände. Das Hamburger Publikum offenbarte am Samstagabend eine Reaktion, die viele für fataler halten als einen eingeworfenen Schweinskopf: absolute Stille. Praktisch das stummste und damit intensivste Pfeifkonzert aller Zeiten war nach dem Spiel gegen Wolfsburg zu vernehmen. Es geht alles daneben in Hamburg. Erst zieht Sylvie van der Vaart aus. Dann wird der verlorene Gouda-Faktor mit Bert van Marwijk völlig fehlbesetzt, und zum guten Schluss scheint es so, als würde auch die Bundesliga ihren Dienst quittieren. Aber als Stuttgart-Fan halte ich mich zurück mit vorzeitigen Abgesängen. Trotz des Sieges gegen Schalke darf man feststellen, dass nun die letzten 10 Minuten der Saison anbrechen, und da haben sich meine Schwaben noch immer ein paar Kisten eingefangen, kurz vor Schluss.

Vielleicht nutze ich die Gelegenheit, um auf eines der größten Ärgernisse einzugehen, die der moderne Fußball bietet. Es sind nicht die aufgesplitterten Spieltage, die bedingungslose Ausrichtung des Fußballs auf Kommerz oder der ewig ahnungslose Fritz von Thurn und Taxis. Nein, was mich bei jedem Spiel, egal ob Bundesliga oder Kreisklasse stört, sind die scheußlichfarbigen Fußballschuhe, die unsere Kicker allwöchentlich zur Schau stellen. Da lobe ich mir das ungeschriebene Gesetz aus den 70er-Jahren, wonach Fußballschuhe schwarz sein sollten. Ein gutes Beispiel, dass ein Mehr an individueller Auswahl kein Fortschritt sein muss. Wenn die Menschen fehlen, die die gewonnenen Freiheiten mit Sinn und Verstand einsetzen, wird die Individualität zur visuellen Umweltverschmutzung. Schrecklich, aber wahr: Wir müssen froh sein, dass unsere Kicker die Kleidung vom Verein gestellt bekommen. Könnten sie ihre Trikots selbst auswählen, ergäbe dies ein neonfarbenens Horrorkabinett. Auch deshalb ist Fußball ein genialer Sport. Ohne uniforme Trikots funktioniert er nicht.

Das Ding mit den Schuhen ist unter Fußballkolumnisten bereits ein alter Hut. Was bleibt einem auch anders übrig, als sich daran zu gewöhnen. Nur Wenige haben es gewagt, zu erkunden, wie es im Inneren der Treter aussieht. Die Antwort ist vorhersehbar: Noch schlimmer! Studien zufolge leiden etwa 60 % der Bundesligaprofis an Fußpilz. Nagelpilz ist bei 43% aller Profis vorhanden. Hinzu kommen Blutergüsse sowie Deformationen, die bis zur Verstümmelung reichen. Der Fehler liegt im Namen: Fußball. Aber nicht nur der Ball bereitet der Gliedmaße Sorgen. Auch die Bewegungsabläufe, die schnellen Richtungswechsel und vielen Stopps verlangen den zarten Füßchen alles ab. Die kommen ins Schwitzen und machen alles noch schlimmer. Zumal sich die Frage stellt, wo der Schweiß hin soll Schließlich sind die Treter so eng geschnürt, dass schon das Blut Mühe durchzufließen.

Es verwundert keineswegs, dass das Thema Füße im Fußball das letzte Tabu-Thema darstellt. Nachdem die Homosexualität dank Hitzlsperger besprochen werden kann (von der manche Kicker allerdings immer noch meinen, sie sei eine Krankheit, die man heilen könne), fehlt noch die schonungslos Wahrheit im Fußraum. Beide Themen haben eines gemeinsam: Unter den Duschen wird’s erst richtig „schwierig“. So drückte sich zumindest sky-Experte Jens Lehmann aus, als er darauf angesprochen wurde, wie er reagiert hätte, wenn er über Hitzlspergers sexuelle Orientierung Bescheid gewusst hätte. „Komisch“, wäre das gewesen, so Lehmann, „man duscht ja schließlich immer zusammen.“ Lehmann redete bei seinen Einlassungen derart wirres Zeug, dass auch dem letzten Liberalen klar wurde, dass es Schwule im Fußball schwer haben würden. Philipp Köster vom Magazin 11Freunde fasste die Einlassungen Lehmanns unter der Überschrift „Duschen mit Betroffenen“ zusammen. Es ist meine Lieblingsüberschrift des Jahres. Grimme- und Pulitzerpreis mindestens. Darum gerne von mir kopiert.

„Duschen mit Betroffenen“ ist leider auch die passgenaue Überschrift für die Füße. Fuß- und Nagelpilze finden auf Böden und Fußmatten optimale Lebensbedingungen. Sie springen mit Freude auf die raponierten, teilweise aufgeschürften Sohlen und feiern eine wahre Vermehrungsorgie. Würde Jens Lehmann die Sache mit dem Mikroskop untersuchen, er wäre schockiert über die Moralvorstellungen unter Pilzen. Was da unter der Dusche abgeht! Da werden römische Orgien gefeiert. Jeder mit jedem bis die Sporen fliegen. Und nachher gehen die Fußballer heim, als ob nicht gewesen wäre. Dabei haben tragen sie den sporigen Nachwuchs in Milliarden unter den Sohlen nach Hause. Ein unzüchtiger Skandal.

Und wenn schon einer Mal zur Fußpflege geht, wird alles nur noch schlimmer: Im Jahr 2009 hat sich Christian Lell, damals bei den Bayern, einer Fußpflege unterzogen. Wie das orthopädische Fachportal sport1 vermeldet, zog er sich dabei eine Nagelbettentzündung und musste „bis auf Weiteres passen“. Ja, klar. Die Nagelbettentzündung kommt sicherlich von der Fußpflege. Ich bin ja auch immer erst krank geschrieben, wenn beim vom Arzt war.

Mal völlig unabhängig davon, wie man zur Fußpflege steht, sei allen aktiven und ehemaligen Fußballern geraten, im Sommer auf offenes Schuhwerk zu verzichten. In der letzten Woche fand ich dazu eine Info-Grafik im Netz, die den Ratschlag aus modischer Sicht bestätigt.

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Bevor ich allerdings als Möchtegern-Stylingspapst gelte, gestehe ich besser gleich als nachher, dass das Motivbild dieses Bulletins tatsächlich meine eigenen Adiletten abbildet. Dieses modische Schwerverbrechen muss ich schonungslos eingestehen. Mag zu meiner Verteidigung noch vorzubringen sein, dass ich die Dinger nur innerhalb geschlossener Eigenräume trage. Aber es mag schon vorgekommen sein, dass mich ein Nachbar auf dem Weg zum Briefkasten in den schlimmen Latschen entdeckt hat. Trotzdem bleibt es bei dem Ratschlag, den ich wie kein zweiter Ex-Kicker beherzige. Mag der Sommer noch so heiß ein, die Schuhe bleiben geschlossen. Bei Auswärtsspielen. Bei Ex-Kickern, die sowieso der merkwürdigen Schuhfarben verdächtig sind, sollte das als einfache Grundregel auf Verständnis stoßen. Schuhe blieben unbunt und verschlossen. Punkt. So einfach geht guter Style. Ein aktiver Beitrag zum Umweltschutz, den ich mir lobe.

Oh, jetzt bin ich doch länger an den Schuhen kleben geblieben, als ich mir anfangs dachte. Aber egal. Ob mit guter Überleitung oder ohne – die prophetische Tabelle will kurz besprochen werden, schließlich sollen die Aufsteiger der Woche gebührend gelobt sein. Oben hat sich nicht viel verändert. Der schändliche Adilettenträger führt mit 6 Punkten Vorsprung gefolgt vom dreiköpfigen Expertengremium, den Propheten Matthias Wimpff, Oliver Schneider und Tobias Hufnagl. Mit noch 3 Spieltagen auf der Uhr wird es langsam eng. Doch die Erfahrungen aus der letzten Spielzeit sind erstaunlich. Da hatte der spätere Vize-Prophet und jetzige Tabellen-29. Marvin Burmester einen Rückstand von mehr als 14 Punkten auf die Tabellenspitze. Aber an den letzten Spieltagen holte er Punkt um Punkt auf, und wurde mit einem knappen Zwei-Punkt-Defizit am Schluss noch Zweiter. Darum würde ich grob schätzen, dass sich mindestens die Propheten auf der ersten Tabellenseite noch Chancen auf die prophetische Meisterschaft ausrechnen können.

Was mich besonders freut: Der Shootingstar der Woche ist unangefochten KarlHeinz Karius. Plötzlich macht er 20 Plätze gut und taucht auf Platz 16 auf. Wenn Prophet Karius so weiter macht, zieht er bereits am nächsten Spieltag an mir vorbei. Eine unsachliche Spekulation? Keinesfalls! Wer Eingabe des eigenen Namens in die Google-Suche auf satte 154.000 Ergebnisse kommt, dem ist alles zuzutrauen. Googletreffertendenz ebenso steigend wie sein Punktstand bei den Propheten. Beim prophetischen Erleuchtungszustand rangiert KarlHeinz Karius sowieso uneinholbar an der Spitze. Allerdings sind seine Vorhersagen selten genau zu überprüfen. Er verpackt sie in inspirierende Aphorismen und entgeht auf diese Wiese jeder statistischen Überprüfbarkeit. Seine Methode mag zwar als schelmischen Trick entlarvt sein, aber man fällt trotzdem gerne darauf rein. Seine kleinen Büchlein sind im Worthupferl-Verlag erschienen und seien jedem Propheten wärmstens ans Herz gelegt. Sie sind allemal unterhaltsamer als ein prophetisches Bulletin, welches von Nagelpilz handelt. Nach diesem Text scheint mir ein Worthupferl als unterhaltsames Gegengift nachgerade ideal.