Ein historischer Moment.

Es war bei der WM 1958. Ein Moment für die Ewigkeit. Rechtzeitig vor dem Saisonfinale will ich ihn allen Propheten zur Kenntnis bringen. Das prophetischen Bulletin des 27. Spieltags bietet den perfekten Rahmen.

Wenn im Fußball ein Pokal überreicht wird, wird er von demjenigen, der ihn zu fassen bekommt, prompt hochgehalten. Immer. Egal ob Weltmeister, Deutscher Meister, Albanischer Meister oder Meister der Kreisklasse. Pokal her - und hoch damit. Offenbar ein angeborener Sportler-Reflex. Machen auch schon die Kinder. Daran hat man sich gewöhnt. Warum auch nicht? Man ist ja stolz auf die Trophäe, also ruhig hoch damit.

Vielfach übersehen wird dabei, dass die Standard-Geste bei Pokalüberreichungen eigentlich komplett unnötig ist. Meistens wurde für die feierliche Zeremonie ein Podest aufgebaut. Oder der Cup wird höchstamtlich auf der Ehrentribüne überreicht. Einige Stunden später treten die Spieler auf einen Rathausbalkon oder eine andere Bühne, wo sie den gewonnenen Pokal den heimischen Fans präsentieren. Und prompt: Pokal in die Höh! Jetzt mal ehrlich, das ist doch überflüssig, oder nicht? In jedem Fall stehen die kickenden Helden so hoch, dass jeder im Publikum den Pokal selbst dann noch erkennt, wenn die Spieler ihn auf Normalhöhe in Händen halten. Aber nein: Kaum bekommen die Sportler einen Pokal in die Hand gegdrückt, wird er reflexartig in die Höhe gereckt. Ellenbogen durchgestreckt, und hoch das Ding, so hoch wie nur möglich. Das passiert mit keinem anderen Gegenstand. Jetzt nehmen wir mal an, wir sitzen zusammen bei einer geschäftlichen Besprechung, und jemand fragt höflich nach einer Tasse Kaffee. Wenn er sie hat, reckt er sie gleich in die Höhe? Selten beobachtete ich ein solches Verhalten. Gut, könnte man einwenden, bei diesem Beispiel fehlt der triumphierende Moment. Also anders, weil Ostern ist. In vielen Familien pflegt man den Brauch, am Ostermontagmorgen einige Eier, Süßigkeiten oder andere Geschenke im Garten zu verstecken. Reckt man diese zum Himmel, wenn man sie gefunden hat? Zugegeben, ich bin nicht der Ostersuchexperte, aber ich sah heute wenige Nachbarn oder Kinder, die sich auf diese Weise über das Geschenk freuten - selbst wenn man bedenkt, dass es doch eine riesige Freude sein sollte, wenn man das Geschenk endlich aus der Grasnarbe rausgeschält hat.

Aber interessant: Warum halten Sportler den Pokal in die Höhe?

Man kann das gestenhistorisch genau belegen. Seit der WM in Schweden! Da bekam der brasilianische Kapitän Bellini den Jules-Rimet-Pokal überreicht. Keiner von beiden war wirklich groß. Weder Bellini, noch der Pokal. Und das Podest, auf dem die Brasilianier standen war auch nicht wirklich hoch. Damit hatten die Fotografen durchaus ihre Probleme. Die richtige Position, um das Bild zu schiessen, war vorne. Schon aus der zweiten Reihe hatte man es schwer, Bellini mit dem Pokal abzulichten. Ein brasilianischer Foto-Reporter rief Bellini also zu, er möge bitte den Pokal hoch halten, damit man ihn besser sehe. Er drückte drauf. Das Bild ging um die Welt. Seit diesem Moment halten alle Sportler in allen Sportarten ihre Trophäen hoch, wenn sie sie erhalten. Nur die ganz schweren Pokale bleiben unten. Man erinnert sich in diesem Zusammenhang an Schalke- Manager Rudi Assauer, der den DFB-Pokal einst vom Bus plumpsen ließ. Hätte er ihn besser unten gelassen. Vermutlich lässt das Schicksal Schalke deshalb keine Meisterschale gewinnen. Einfach zu tapsig, diese Knappen.

Bellini’s Geste ist ein wunderbarer Beitrag zur Jubel-Geschichte im Sport. Man bedenke: die Weltmeisterschaft in Schweden fand 1958 statt. Seither hat sich nichts an dieser Geste verändert. Und das ist auch: Gut so!

Ganz anders beim Torjubel. „Für den Quatsch bin ich zu alt“, kommentierte Marcel Reif als die Dortmunder Reus und Aubameyang ihre Batmen-Masken aufsetzten. Dafür setzte es mächtig Schelte. Und ich frage auch hier: Warum eigentlich? Ehrlich gesagt: Mir würden nichts fehlen, wenn die Fußballer ihre Jubel-Inszenierungen einfach sein lassen würden. Ersatzlos. Jetzt möchte ich nicht alles reguliert wissen, trotzdem fehlt schon lange ein Jubel-Knigge. Einer, der nicht niedergeschrieben werden muss, einer, der dem normalen Menschenver- und anstand entspringt. Lange vorbei sind die schönen Zeiten der Siebziger Jahre. Wenn die Müllers und Netzers ins Tor trafen, sprangen sie davon, sprangen in die Luft, und bei großen Toren drehten sie sogar eine Pirouette. Die Landung war dabei durchaus kritisch, aber mir ist kein Fall bekannt, bei dem sich ein Jubler den Knöchel verdrehte. Was seither alles in Mode gekommen ist, spottet jeder Beschreibung. Eine Aufzählung ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

- Heung Min Son: Das Herzlein.
- Schürrle, Holty, Szalai bei Mainz: Die Rock Boy-Group
- Diego: Der Schnuller
- Stefan Kuntz: Die Säge
- Jürgen Klinsmann: Der Diver
- Miroslav Klose: Der Salto
- Bruno Labbadia: Der Pistolero
- Luca Toni: Der Ohrschrauber
- Anthony Ujah: Der Bock
- Giovane Elber: Der Teppichroller
- Oliver Kahn: Der Eckfahnenlover
- (weißichnichtmehr): Die Schuhputzer

Dazu erlaube ich mir eine persönliche Einschätzung: Variationen sind erlaubt, aber spätestens beim zweiten oder dritten Mal wird’s doch arg langweilig. Gar nicht gehen Inszenierungen, die vorher eingeübt, vorbereitet oder abgesprochen wurden. Das erscheint doch arg bemüht. Und spielt somit klar in den Bereich des Uncoolen. Was mich mal interessieren würde: Eine Liste der ungezeigten Torgesten. Also der Gesten, die ein Spieler oder eine Mannschaft eingeübt hatten, aber mangels Treffer nie gezeigt werden konnte. Genau hierin liegt nämlich das Problem. In der Arroganz der designierten Torschützen, die den Jubel schon vorbereiten, obwohl das Tor noch gar nicht erzielt ist. Gerne würde ich nach dem Spiel eine Unterhemden-Visite einführen. Jeder Spieler, der etwas Kindisches drauf stehen hat, bekommt für den Rest der Saison kein Unterleibchen mehr ausgehändigt. Eine empfindliche Strafe, wie ich vermute, weil diese modernen Trikots stinken und scheuern, dass die Brustwarzen aufplatzen.

Loben und preisen möchte ich dageben den Kapitän der Brasilianer bei der WM 58. Er schuf etwas von zeitloser Schönheit. Eine Geste, die seit einem halben Jahrhundert Bestand hat. Ich verneige mich tief vor derart ewigwährender Stilsicherheit.

Liegt natürlich die Frage nahe: Wer wird den Pokal der Prohetenliga am Ende der Saison in den Himmel recken? Im Moment deutet vieles auf Marvin Burmester hin. Er war über die ganze Saison hinweg der Prophet mit der größten Konstanz an der Tabellenspitze. Häufig auf Platz 1 - und wenn nicht, fiel er nicht weit ins Mittelfeld zurück, und zwar ganz egal, was im Moment in der Bundesligatabelle passierte. Jetzt nach dem 27. Spieltag führt er mit 122 Punkten, womit er 4 Punkte vor dem punktgleichen Propheten Matthias Berzel und Rudolf Büchner liegt. Natürlich will ich an dieser Stelle keine voreiligen Lorbeeren streuen. Trotzdem würde ich meinen: Marvin Burmester ist nicht gerade der kleinste von Statur. Ich nehme mir vor, sollte es soweit kommen, dass ich ihm den prophetischen Pokal außerhalb geschlossener Räume überreichen werde. Würde er ihn reflexartig hoch recken, könnte doch all zu schnell auffällig werden, dass der Pokal aus wertvollem, aber zerbrechlichen Keramik gefertig wurde. Andererseits: Mit Marvin Burmester würde zum ersten Mal in der prophetischen Liga einer aufzeigen, der so erleuchtet ist, dass er eine zweite Tasse in seinen Trophäenschrank sortieren könnte. Prophet Burmester besitzt also durchaus Erfahrung im Umgang mit Pokalen. Ich gebe zu: Das zu wissen, finde ich ungemein beruhigend.

Und hier noch der aktuelle Link zu diesem Thema: Ein völlig genialer Werbespot aus England. Endlich wird ein Kreisklasse-Tor professionell analysiert. Großes Kino. Und wie jubelt man in der Kreisklasse? Weltklasse! Vorbildlich.

Vorsicht bei Sportwetten. Nicht aufgrund geschobener Spiele. Die Frage ist vielmehr: Fand das Spiel überhaupt statt? Eine Herausforderung für manche Groundhopper.

Und hier noch mein aktuellerLiebling. Die Jungs des Portals "Mutti, der Libero" sehr gaga. Definitiv großes Kino.

Zum Schluß noch eine Lebenshilfe für alle Schweizer. Wie drück ich mich um den Militärdienst? Fußball-Fans haben es einfacher.