Entlassen

Warum blieben die Fans bei den jüngsten Entlassungen so verstört zurück? Weil sie sich Menschlichkeit bewahrt haben. Wer sich statt dessen hinter den Mechanismen der Branche versteckt, ist der wahre Verlierer. Eine Analyse im prophetischen Bulletin des 14. Spieltags.

Peter Stöger weg. Jens Keller weg. Sie haben die Mannschaft nicht mehr erreicht. Die Verantwortlichen haben das Vertrauen verloren. Sie wollten neue Impulse setzen. Und so weiter. Köln-Präsi Spinner wiederholte nur das, was er in Hamburg, Stuttgart und anderswo in der letzten Saison gehört hatte. Die Mechanismen der Branche. Gähn.

Die Fans bleiben ratlos auf der Strecke. Stöger ist längst Kult. Die Kölner, die ich kenne, wären lieber mit Stöger in die zweite Liga gegangen, als gemeinsam mit einem anderen Übungsleiter kurz zu hoffen - um dann doch abzusteigen. Ähnlich in Berlin, auch wenn Ex-Trainer Keller so sympathisch erscheint wie sein mukkibudengestählter Oberarm. Dort liegt es am Verein selbst. Union steht im Markenkern für solidarisches Verhalten. In Köpenick halten sie zusammen beim Stadionbau, beim Weihnachtssingen und nach Niederlagen. Auch wenn es sich beim Trainer um einen Angestellten handelt: Eine Entlassung ist immer ein Akt mangelnder Solidarität. Dass zusätzlich eine Portion Schuldzuweisung mitschwingt, macht die Sache noch erbärmlicher.

Wie gut, dass Dinge komplizierter liegen als die Entlasser meinen. So entließen Ingolstadt, Darmstadt, München 60 und Karlsruhe in der letzten Sasison ihre Übungsleiter. Karlsruhe sogar zweimal. Abgestiegen sind sie trotzdem. Dazu kommt ein weiterer logischer Aspekt: Dass ein neuer Trainer erstmal tendenziell gut aussieht, liegt in der Natur der Sache. Meistens wird nach einer Niederlage entlassen. Kann also erstmal nur besser werden. Insofern macht Köln eine Ausnahme. Schon doof, wenn man im Präsidium die eigene Mannschaft schlechter taxiert als sie wirklich spielt. Spieler, die gegen die eigene Mannschaft zocken, kommen auf den Sportwetten-Index. Köln-Präsi Spinner darf Presskonferenzen geben.

Wer mit dem Spiel auf Augenhöhe bleibt, kann sich jede Entlassung sparen. Tatsächlich hängt Fußball mehr vom Zufall ab, als alle wahrhaben wollen. Professor Eike Emrich vom sportwissenschaftlichen Institut der Universität des Saarlands stellt sogar eine Zahl in den Raum: „50 Prozent des Spielausgangs ist reiner Zufall,“ behauptet er. Ihm zu Folge ist Fußball deshalb so populär, weil Training und Resultat maximal entkoppelt sind. Sportwissenschaftler Martin Lames hat Tausende von Bundesligatoren analysiert. Er sagt 40 Prozent aller Tore sind Zufallstore und meint damit unhaltbar abgefälschte Treffer, dämliche Eigentore, Abpraller oder Pfostenschüsse, bei denen der Ball ebensogut ins Toraus hätte prallen können. Fehlentscheidungen des Schiedsrichters sind noch nicht dabei. Auf den 1.FC Köln bezogen liegt die Vermutung nahe: Letzte Saison waren sie überdurchschnittlich glücklich, in dieser Spielzeit schlägt das Pendel zurück. Vor diesem Hintergrund kann man von Trainern nicht erwarten, dass sie die Zufälle abstellen. Nicht mal Guardiola kann das. Er weiß, dass er auf teure Ausnahmespieler angewiesen ist.

Deshalb gehören Trainer unter besonderen Schutz. Eigentlich. Die normalen Trainer, also die Nicht-Guardiolas, hantieren in aller Öffentlichkeit mit einer Materie, die sie nur zum Teil beeinflussen können. Deshalb haben sie viele natürliche Feinde, missgünstige Vorstände, nicht-berücksichtigte Spieler und vielen Tribünenhilfstrainer, die es sowieso immer besserwissen. Gewiss, Mitleid ist unangebracht. Im üblichen Trainersalär ist Schmerzensgeld eingepreist. Trotzdem: Wäre ein Verein ein wirklicher Verein, im Sinne von Verein, von Club, von Union, von Eintracht, würden alle die Sache gemeinsam durchstehen. Und genau das schmerzt den Fan. Die Entlassung macht deutlich, dass nicht alle vereint sind. Bei vielen Klubs ist das konsequent, denn der Spielbetrieb obliegt der ausgegliederten Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Verein ist anderswo. Im Profifußball gelten die "Mechanismen der Branche". Übrigens: Eine Gesellschaft, die den Sport als Branche versteht, hat den tieferen Sinn des Sports nicht verstanden. Schließlich produziert dieser zwangsläufig Sieger und Verlierer. Einst nannte man es Sportmanship. Manchmal gewinnst Du, manchmal nicht. So gesehen sind Entlasser nichts anderes als schlechte Verlierer.

Wo die Menschen schwach sind, ist es eine Überlegung wert, Hilfestellungen zu geben. Es wäre gewiss zu begrüßen, wenn das Geld aus Eintrittspreisen und TV-Millionen sinnvoller eingesetzt werden als für freigestellte Trainer. Für die Jugendarbeit beispielsweise. Dazu folgende Hilfestellung: Eine Regel, die allen Profivereinen untersagt, neue Trainer während der Saison zu verpflichten. Man könnte die Fristen an die geltenden Transferfenster für Spieler koppeln. Wer keinen weiteren Trainer mit A-Schein in den eigenen Reihen hat, muss eben seinen alten behalten. Die traurige Trainerentlasserei würde gewiss nicht zur Gänze aussterben. Aber schon ein paar verschwendete Trainer weniger wären ein Erfolg. Ein ausdrückliches Lob geht abschließend an Peter Stöger. In vorbildlicher Haltung besuchte er eine Charity-Veranstaltung in Köln. Angesichts des geißbockigen Kasperltheaters konnte man den Eindruck gewinnen, er wäre erleichtert. Womit bewiesen wäre: Gute Verlierer sind reicher als alle durchschnittlichen Gewinner.