Fruchtlos und scheu.

Es war zu befürchten: Ich kann nicht anders, als ein paar Zeilen zum neuen Motto meines Vereines zu schreiben. Eigentlich wollte ich es ignorieren. Das ist im Rahmen des prophetischen Spieltagsbulletin Nr. 2 gründlich mißlungen.
Am Sonntag war’s etwas traurig. Zwei Null-zu-Null hintereinander. Man hat schon Spannenderes gesehen in der Liga. Apropos, was macht eigentlich Juan Arango? Nun... Das, was er auch schon in Gladbach getan hat. Er trifft. Egal, wie weit weg die Kiste auch steht.
Und weil ich gerade beim Link-Service bin, empfehle ich noch dies. Auch dann, wenn das Szenario bekannt ist. Kurz vor dem Elfmeterschießen der Championsleague-Qualifikation Ludogorez Raszgrad gegen Steaua Bukarest (bulgarischer gegen rumänischer Meister) wird der bulgarische Torwart wegen Notbremse des Feldes verwiesen. Ein Feldspieler muss ins Tor, eben auch für das Elfmeterschießen. Der Feldspieler, der ins bulgarische Tor geht, ist übrigens Rumäne. Der Kommentar ist schottisch. Grad gut.
Was ich noch los werden wollte, praktisch als Nachbemerkung zum letzten Bulletin: Xavi Alonso hat auch schon mal in Eibar gespielt. Ja, ja, die Außenseiter auf dem Vormarsch. Die Jungs von Sport inside waren beim Saisonauftakt dabei: Das Märchen von Eibar. Definitiv sehenswert.
Das leitet zum Samstag über. Da war mehr los, fürwahr. Kurz zusammengefasst: Neulinge triumphieren bei Traditionsvereine. In Hamburg und Stuttgart hat sich in der Sommerpause nichts bewegt. Zumindest nichts, was man auf dem Platz als Veränderung ablesen könnte. Besonderes Pech hatte mein Freund Jochen Großmann. Ich traf ihn nach dem Spiel beim Abmarsch. Er hatte seine Tochter dabei. Erstes Stadionerlebnis. Wieder ein junger VfB-Fan weniger.
Man muss zugeben, dass mein Verein alles tut, um die Fans zu vergraulen. Nicht nur auf dem Platz, daran hat man sich ja bereits gewöhnt. Nein, auch im Marketing stellt man sich an wie der letzte tiefsächsische Schützenverein. „Furchtlos und treu“, lautet der neue Slogan, den sich die Brustberingten gegeben haben. Jetzt versteh' ich gelegentlich ein bis zwei Dinge aus dem Bereich Marketing. Und genau darum vergällt es mir die Sympathie zu meinem Verein. „Furchtlos und treu“, ist also der neue Claim, der die Marke VfB Stuttgart noch besser profilieren soll. Als Konzeptioner einer Werbeagentur kann ich nicht anders, als es einen großen Bullshit zu nennen. Wann werden die Verantwortlichen endlich begreifen, dass ein Verein nicht wie eine Marke funktioniert?
Zugegeben, die vermeintlichen Experten meines Fahrkarten-Schützenvereines hatten sich das neue Motto bei den Ultras abgeschaut. Der Schuß württembergische Tradition erschien ihnen gerade recht zu kommen, weil sie demnächst etwas total Untraditionelles unternehmen, nämlich die Ausgliederung des Fußballs in eine AG. Um es den braven Vereinsheinis recht zu machen, brauchte der lahme Neckarkahn mit dem roten Ring ein wenig Gewicht auf rechts. „Furchtlos und treu“, musste es also sein. Und ich merke: Mir widersteht, mich zu einem Verein zu bekennen, der derart martialisch und billig versucht, seine Fans hinter sich zu scharen. Tut mir leid, VfB, aus dem Alter bin ich raus. Gewiß, man könnte mir vorhalten, dass ich nur neidisch bin. Das neue Corporate Design inklusive Claim stammt eben nicht von Karius, sondern von einer Werbeagentur, die sich Panama nennt. Das Corporate Design ist übrigens ganz ordentlich. Der Text komplett daneben.
Ich erinnere mich an Werder Bremen am Beginn der letzten Saison. Da hatten die Fans plötzlich ein verständliches Problem bekommen - mit dem Hühnchenschlachter auf dem Trikot. Zu meinen Bremer Freunden möchte ich sagen. „Furchtlos und treu“, macht zwar die Situation in den Niedersächsischen Hühnerfarmen nicht besser. Aber man darf doch feststellen: Werder bekommt wenigstens Geld dafür. Der VfB brockt sich dieses Problem völlig unentgeltlich ein. Werder Bremen ist bisher nicht in der Liste der kriselnden Traditionsvereine. Sie schaffen es, nach Rückstand nochmal zurückzukommen. HSV und VfB erblassen wir Neid. Vorläufig.
Gerade weil ich in diesem Zusammenhang als fruchtlos und parteiisch gelten mag, möchte ich einen Kickers-Fan zu Wort kommen lassen. Joe Bauer, stadtbekannter Kolumnist hat das neue Motto wie folgt kommentiert, mit seiner blauen Brille als wirkungsvollem Meinungsverstärker: „Stuttgart wird von einem Verein repräsentiert, der die Karosserie seines Mannschaftsbusses, sein Briefpapier usw. mit der Zeile "Furchtlos und treu" beschriftet hat. Das fast 200 Jahre alte Motto, ursprünglich vom König von Württemberg benutzt, stand auf den Gürtelschnallen von Soldaten, von 1933 auch auf dem von den Nazis verordneten Wappen Württembergs. Heute ist der Spruch "Furchtlos und treu" bei Neonazi-Horden als Name und Parole beliebt. Der VfB-Slogan ist ein Fressen für rechtsextreme Ultras, die in die Fan-Blocks drängen. Marketing-Dreck. Abgesehen von der historischen/politischen Dimension: Jeder Schützenverein aus der tiefsten Provinz würde sich heute mit dieser dumpfbackigen Parole blamieren. Wenn der Präsident eines Erstligaclubs aus der Hauptstadt eines Bundeslandes so etwas nicht begreift, ist er fehl am Platz. Er sollte zurücktreten. Erstens aus Ahnungslosigkeit, zweitens aus Unfähigkeit: Es geht anscheinend über seinen Horizont, seine Pflichten als Repräsentant eines Fußballclubs und einer Stadt zu erkennen. Die VfB-Bosse zeigen sich als kulturlose Dorftrampel. Eine Schande für die ganze Stadt. Sei's drum. Ich weiß, wie sie beim VfB ihr "Traditionsbewusstsein" rechtfertigen werden: Nur weil die Nazis Brot essen, dürfen wir kein Brot essen? Doch. Fresst die Dummheit löffelweise.“
Soweit Joe Bauer.
Jetzt wieder ich. Wenn ich auf die prophetische Tabelle blicke, finde ich deutlich Erfreulicheres, auch historisch/politisch gesehen. Unser neuer Tabellenführer ist der Hamburger Daniel Röns, ein bekennender St-Pauli-Fan, der übrigens gar nicht so aussieht, wie sein Profilbild vermuten lässt. Als Profilbild hat er seine Ikone, den vorstoppenden Kettenraucher Walter Frosch gewählt. Forsch galt als Arbeiter unter den Fußballern. Ob er gut kicken konnte, sei dahingestellt. Aber er war ein Kämpfer vor dem Herrn, soviel ist sicher. Damit wurde er zu einem Teil der Pauli-Identität. Übrigens, auch St. Pauli hat einen „inoffiziellen“ Claim. Unter den Merchandisingartikeln steht gerne mal „Not established since 1909“. Ich kenne keinen, der sich mal darüber beschwert hätte. So macht man’s, lieber VfB. Einen Claim im Fußball führt man durch die Hintertür ein. Erstmal auf ein paar Merchandise-Firlefanz-Dingens. So kann man sehen, ob sich's verkauft. Ob der Spruch akzeptiert wird. Lange bevor man einen halbgaren Schwachsinn mit großem Tamtam unter das Wappen knallt. So geht Marketing. Mit Fingerspitzengefühl statt Brecheisen. Hier funktioniert eben der Verein eben anders als eine Marke. Ein Fußballverein wird von allen, die ihn mögen, als Gemeinschaft empfunden, der ein Teil ihrer eigenen Persönlichkeit darstellt. Das nennt man Identifikation. Sie ist beim Fußballverein in weit höherem Maße gegeben als bei einer Marke, die im Supermarktregal steht. Darum funktioniert eine Positionierung von oben herab im Fußballverein selten. Ganz anders bei St. Pauli. Deren Freibeuter-Image war kein Werk von positionierenden Marketing-Fuzzis. Es entstand aus den Fans heraus. Die Verantwortlichen versuchen es trotz Kommerz und Erfolg zu bewahren. Das ruft zwar oft Diskussionen hervor. Die St.-Paulianer sind ein diskutierfreudiges Volk. Aber im Großen und Ganzen funkioniert es. Ganz ohne spätwürttembergischen Holzhammer.
Trotzdem ist man auf St. Pauli zutiefst geschichtsbewußt. Darum bin ich ebenfalls auf das Museum neidisch. Es hat einen besonderen Gag: Auf St.Pauli kommt man für 35,- Euro an eine lebenslängliche Dauerkarte. Allerdings darf man nicht viel Platz wegnehmen. Ein paar Quadratmillimeter müssen schon reichen. In einem Millerntormodell im Maßstab 1:100 können sich die Fans als winzig kleine Figur selbst auf die Tribüne setzen lassen. Das ist Klasse. Ich überlege täglich, ob ich mir den Jux nicht gönnen sollte. Ich hoffe, die Paulianer hätten nichts dagegen. Doch ich möchte nicht schließen, ohne zu erwähnen, dass auch St-Pauli-Fans eine gewisse Leidensfähigkeit mitbringen müssen. Im Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, werden sie von der SpVgg Fürth nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen. Riecht verdächtig nach Trainerentlassung. Aber vielleicht ist an der Kasse im REWE Supermarkt von Holger Stanislawski noch ein Arbeitsplatz frei. Wie lange dauert es eigentlich bis der Stani wieder auf Pauli anfängt, Daniel Röns?
Abschließen möchte ich mit einem besonderen Gruß an Prophetin Dagmar Floßdorf. Ihr und allen anderen Köln-Fans gratuliere ich herzlich zum hoch verdienten Auswärtssieg. Sie hat den Spieltag auf ihrem facebook-Profil mit einem Schwenk durch das RheinEnergieStadion eingeleitet. In Vorfreude auf den Auswärtssieg war die Kölner Hynme zu hören. Ein feiner Film. Besonders gefreut habe ich mich über den Post, den wohl eine entferne Bekannte unter dem Film vom Stadion hinterlassen hatte. Die Ränge im Stadion erschienen komplett in rot und weiß. So wie es halt aussieht, wenn alle die Pappen hochheben, die sie auf den Sitzen vorfinden. Der Post lautet also wie folgt: "Sorry, ich als absoluter Nicht-Fussballer ..... werden die Leute nach ihren farbigen Klamotten sortiert auf die Tribünen gelassen und darf man nur ruut un wieeß tragen?" Da hat sogar ein VfB-Fan Grund zu schmunzeln.