Für den modernen Fußball

Die Rolle der Architektur wird in der kritischen Betrachtung des Spiels seit Jahrzehnten kaum gewürdigt. Herzlich willkommen im Norden Portugals, in Braga, wo der Fußball in anderem Licht erscheint.

So viel los auf deutschen Plätzen. Werder stürmt nach Europa. Darmstadt will nicht absteigen. Dortmund applaudiert nicht der eigenen Mannschaft, sondern einem Vorstopper des Gegners. Kruse trifft, obwohl er sich zurückhalten wollte, weil er ja schon im Sommer für ein Pokerturnier in Vegas gemeldet hat - und jetzt Gefahr läuft, von Löw für den Confed-Cup nominiert zu werden. Und, ach ja, Bayern wird am Höhepunkt seiner depressiven Phase auch noch Meister. Schon wieder eine lustloseste Meisterschaft aller Zeiten. Bayern überbietet sich selbst an Traurigkeit.

Und was macht der zuständige Bulletinschreiber? Er vergnügt sich fern von alledem am äußersten Rand Europas im Norden Portugals. Aber das gehört zum Groundhopping: Wer den Horizont erkunden will, muss eben auf das verzichten, was vor der heimischen Haustür passiert. Auf die Reise nach Porto und Braga hatte ich mich jahrelang gefreut, will unser Reiseziel doch so wenig zu den Kriterien passen, nach denen normale Fußballtouristen ihre Ziele auswählen. Üblicherweise sucht unsereins die große Fußballtradition, die emotionalen Derbys und die klassischen Stadien. In diesem Jahr suchten wir die spektakuläre Moderne, also das Schreckgespenst aller Fans. Unser Ziel: das städtische Stadion in Braga.

Das ganz andere Stadion wurde zur EM 2004 gebaut. Von der Ferne begeisternd, obwohl und gerade weil es mit allem bricht, was zeitgenössischen Stadionbau ausmacht. Ich empfand das theoretisch als wohltuend, aus der Kameraperspektive. Und freute mich auf die Erkundung vor Ort. Endlich mal wieder ein Stadion, das ich auch als Fernsehzuschauer bei der ersten Einstellung der Führungskamera erkenne. Hinterm rechten Tor Bäume, hinter dem linken ein riesiger Fels. Monumental!

Mittlerweile sehen sie ja alle gleich aus. Sie heißen nach Sponsoren und sind an allen Seiten identisch verbaut. Die Neigung jeder Tribüne folgt einem Standard und die Sicht von allen Plätze konsequent optimiert. Das führt zu einer extrem verwechselbaren Stadionlandschaft, einem Einheitsbrei an Stadionschüsseln - nicht nur ein Deutschland, wo zwischen Mainz und Mönchengladbach, zwischen Hamburg, Leipzig und München alles gleich aussieht. Da wird Groundhopping zum Spaziergang in der Mustersiedlung eines Fertigbauherstellers. Die einzige Varianz besteht in den Außenhüllen. Die Architekten Herzog und de Meuron verzierten die Allianz-Arena mit dieser farbig leuchtenden Fassade. Das Leipziger Stadion wurde ins historischen Zentralstadion reingesetzt. Im Drumrum haben die durchschnittlichen Baugestalter eine letzte Freiheit vorgefunden. Im Kern haben sie resigniert. In ihrem Inneren gleichen sich moderne Stadien wie ein Topf der anderen. Das liegt allerdings nicht, wie vielfach angenommen, am Zwang zur wirtschaftlichen Stadionoptimierung, sondern am fehlenden Mut aller Beteiligten - und vermutlich auch daran, dass große Ideen selten geworden sind unter den Baukünstlern. Allerdings: Wer sich von Architekten die Stimmung vorschreiben lässt, riskiert weltfremde Belehrungen. Hier in Braga ist alles gut gegangen. Es war ja auch nicht irgendein Baumeister, sondern der spätere Pritzker-Preisträger Souto de Moura.

Dass Architektur die Welt verbessert, weiß niemand besser als die Architekten selbst. Die Prominenz der Baukunst steht im zweifelhaften Ruf mehr Künstler zu sein als Dienstleister. Der abgespreizte Finger erklärt uns alle Zusammenhänge. Die blasierte Miene unterstreicht den Nachdruck. Die Welt wird erstmals vollständig durchdrungen. Nicht weniger ist der Anspruch des Baukünstlers. Ganz gewiss gestalten Architekten unsere Umgebung und damit die Welt, in der wir uns bitte wohlzufühlen haben. Oft genug erklären sie uns nicht nur ihren Entwurf, sondern auch die Art und Weise, wie wir bitteschön nach ihren Vorstellung darin zu leben haben. Diese Architekten sind absolute Kotzbrocken. Grundregel: Je bedeutender der Baumeister, desto weniger kümmern sie sich um die Interessen ihrer Auftraggeber. Könnte sein, dass auch Souto de Moura zu diesen oberlehrerhaften Bauschlaumeiern gehört. Dem Fan kann es egal sein. Das Resultat spricht für sich. Übrigens: Es soll Ausnahmen geben. Mit dem Propheten Ziegler haben wir einen dieser Ausnahmen in unserer Mitte.

Unsere Groundhopper-Delegation, zu der unter anderem die Propheten Kathmann, Frank und Krauss gehören, nähert sich Bragas städtischen Stadion von oben. „Städtisches Stadion“, ein herrlicher Name für das hypermoderne Monument. Zuerst umkurven wir einen schroffen Felsen, um dann gefühlte 300 Meter in die Tiefe zu blicken, wo wir verdutzt feststellen, dass Parkplatz und Stadiondach irgendwie dasselbe sind. Seine Fortsetzung findet diese verblüffende Ebene in Stahlseilen, die die gegenübergesetzten Tribünen miteinander verbinden. Auf diesen Seilen liegen beide Dächer auf. Ohne Träger hängen sie in der Luft. Eine kühne Konstruktion! Ach ja, Fußball wird auch gespielt. Sporting Braga empfängt Sporting Lissabon. Obwohl wir von der falschen Seite kommen, lässt uns der Ordner in den Sicherheitssektor. Treppab steigen wir hinunter auf den Boden der Tatsachen. Dazu durchqueren wir die Felswand auf einem Aussichtsweg, bestaunen die monumentalen Dachrinnen und genießen eine Perspektive auf einen Sportplatz, wie man sie sonst nur aus dem Hubschrauber erleben kann. Höhenskeptische Propheten bleiben am Geländer. Der Weg ist schwindelerregend.

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Bei genauem Hinsehen entdecken wir weitere Feinheiten. Ich wunderte mich lange Zeit, wie wohl die Tribüne erschlossen wurde, die in die Felsseite hineingebaut wurde. Erst bei genauerem Hinsehen offenbart sich ein langes Tunnelsystem, das die Zuschauer unter dem Spielfeld auf die andere Seite hindurch führt. Als nicht weniger spektakulär empfand ich die Abendsonne, die durch die offene Seite aufs Spielfeld fiel. Wirklich: Man sieht das Spiel in anderem Licht.

Der Architektur liegt ein aktueller Aspekt zu Grunde. Indem alle das Spiel von seitlichen Tribünen verfolgen, muss niemand auf einen billigen Platz der Hintertortribüne. Natürich widerspricht das jeder traditionellen Betrachtungsweise. Die Fans in der Kurve - in Braga gibt es keinen einzigen. Nur ein Ordner wacht darüber, dass vom Spazierweg quer durch die Felsen niemand gratis zuschaut. Sonst sind vor dem Spiel und dem Spielfeld alle gleich. Wie im britischen Unterhaus sitzen sich die Fraktionen demokratisch gegenüber. Keine Ahnung, ob auch Souto de Moura die Fairness und Gleichbehandlung aller Zuschauer im Blick hatte.

 

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Besonders skeptisch verfolge ich die Stimmung. Man kennt das von Feten: die Besten finden in der Küche statt - und nicht in der Kunstgalerie. Jetzt könnte man vermuten, dass auch in Bragas aufgebrochenem Hexenkessel die richtige Fußballstimmung nicht entstehen will. Aber weit gefehlt: Durch das riesige Stadiondach ist die Akustik vom Allerfeinsten. Die beiden monumentalen Tribünen bilden einen Rahmen, der ehrfurchteinflößender ist als jede monotone Großarena. Spätestens als die Heimfraktion die ersten Bengalen an den Start bringt, sind mit dem roten Nebel auch meine Stimmungsbedenken verflogen. Wenn man unbedingt etwas kritisieren will, dann vielleicht die eisige Temperatur. Aber an der Architektur kann es nicht liegen. Tags zuvor fror ein Teil unserer Groundhopperdelegation auf den schattigen Tribünen des Stadions do Bessa von Boavista Porto, einer hermetisch geschlossenen Arena mit eher konventioneller Parkhausarchitektur.

Ach ja, der Fußball: Sporting Braga, das 2011 noch im Europaleaguefinale stand, spielt heuer nicht die beste Saison der Vereinsgeschichte. Der fünfte Platz in der Liga ist eigentlich einen Platz schwächer als die gesteckten Ziele. Braga ist die vierte Kraft der portugiesischen Liga, hinter dem FC Porto, Benfica und eben Sporting de Portugal, dem heutigen Gegner. Deren Spieler sind alle recht klein gewachsen. Nur einer ragt empor: Bas Dost - und der erzielte in der zweiten Halbzeit einen Hattrick. Sporting de Portugal gewann fast vorhersehbar mit 2:3. Die Liga in Portugal ist weitaus langweiliger als die deutsche. Die ersten Drei stehen fest. Dahinter kommt Braga. Oder eben aus Versehen Guimaraes.

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Von denen auf der Heimtribüne schlich die Groundhopperfraktion vielleicht am glücklichsten nach Hause. Deprimiert waren wir nur leicht, natürlich drückten wir den Heimfans, deren Ultras vor unserer Nase feierten, kräftig die Daumen. Doch heller als das Feuerwerk, das ohne warnende Durchsagen hingenommen wurde, war unsere Erleuchtung nach dem Spiel. Tatsächlich ist dieses einzigartige Stadion ein eindrucksvoller Beweis dafür, wie gute Architektur die Perspektive auf die Dinge grundlegend verändert. Indem das Spiel den Bezug zur Umgebung behält, wird der Fußball ein anderer. Kreisklasse hinter den Toren. Weltklasse zwischen den Tribünen. Warum der Stadionbau überall auf der Welt ein anderer, langweiliger, durchschnittlicher ist, versteht im wundervollen Steinbruch von Braga kein Mensch. Für den modernen Fußball. Gegen die Allianz-Arena und andere UFOs.