Fußball-Zeitreise #30Jahre

An diesem Wochenende kreuzen Mönchen-Gladbach und Schalke die Klingen. Die Fohlen gegen die Knappen, das war auch vor 30 Jahren schon ein Klassiker.
Ja, die Fohlen. Da fragt sich doch so mancher junge Sportsfreund heute, wie ein Fußballverein zu so einem tierisch coolen Etikett gekommen ist. Fahren die Schalke-Fans heute zum Borussia-Park, machen sie sich darüber lustig und nennen die Spielstätte gern mal abschätzig den Pony-Hof. Die meisten wissen ja heute gar nicht mehr, wie und warum die Gladbacher zu dem possierlichen Namen 'Fohlen' gekommen sind. Also aufgepasst. Dazu kam es vor mehr als 50 Jahren,1965, als die Trainer-Legende Hennes Weisweiler mit einer vergleichsweise sehr jungen Mannschaft im Durchschnittsalter von nicht mal 22 Jahren und erfrischendem Konter-Fußball in der Regionalliga auf sich aufmerksam machte. Einen gewissen Wilhelm August Hurtmann, Reporter für die Rheinische Post, erinnerte der Hurra-Fußball am Bökelberg an ungestüm daher galoppierende, junge Fohlen. Und weil damals solche Metaphern in Sportberichten noch nicht so peinlich waren wie heute, hatten die Gladbacher ihren Namen weg. So war das. Alles klar!
Die Aufstiegsrunde zur Bundesliga war 1965 die reinste Fohlenschau und eines der allerjüngsten Fohlen, Jupp Heynckes, hatte als 20-Jähriger mit seinen Toren einen großen Anteil am folgenden Aufstieg. Und 1987 dann, vor exakt 30 Jahren, war das Fohlen Jupp schon längst zum Leithengst auf dem Pony-Hof an Bökelberg geworden. Seit 1979 war er dort nämlich schon als Trainer erfolgreich. Das Heimspiel gegen den FC Schalke 04 im Mai 1987 war aber bereits eines der letzten für ihn auf dem Bökelberg, bevor er dann den Ackergäulen in München die hohe Schule der Spanischen Reiterei einbimste. Und zwar so erfolgreich, dass die Spanier ihn danach gleich als Don Jupp nach Bilbao lotsten. Rolf Schafstall, Schalkes Trainer 1987, hatte den Jupp bestimmt in eher nicht so guter Erinnerung. Bei der Aufstiegsrunde 1965 stand er nämlich in der Abwehr, als er mit SSV Reutlingen auf dem Bökelberg mit 7-0 unterging und Heynckes dabei gleich dreimal einnetzte. Aber zurück zum Spiel und einigen der Protagonisten, die auch heute noch Rang und Namen im Fußballgeschäft haben.
Sieht man mal von dem bösen Schimpfwort 'Schachtaffen' ab, assoziiert man den FC-Schalke 04 ja nur selten mit dem Tierreich. Das war auch schon 1987 so, obwohl der Trainer Schafstall hieß und Spieler wie Täuber und Kleppinger dabei waren. Mit Schafen, Tauben und altersschwachen Hauspferden, auch Klepper genannt, wollten die Schalker damals nichts zu tun haben. Viel zu harmlos, sie hatten ja Jürgen Wegmann im Team, genannt die Kobra! Den Spitznamen verdankte er einem Satz in einem Interview, in dem er behauptete, er sei giftiger als die giftigste Schlange. Na ja.
Mit 'Ja, gut', würde heutzutage ein vergleichbarer Satz im Torschützen-Interview beginnen aber dann mit irgendetwas langweilig in Worte Gestanztem enden. Zu mehr reicht die Fantasie heute nicht. Die Zeiten, in denen Torhüter noch wendige Katzen waren oder Stürmer giftig wie Kobras und anderswo sogar Zebra-Herden über den Platz galoppierten, die sind lange vorbei. Wegmann wechselte noch im gleichen Jahr zu - war ja eh klar - den Bayern und stellte auch dort seine Giftigkeit unter Beweis. Die Kobra konnte Gegenspieler tatsächlich in den Wahnsinn treiben. Als Wegmann kurz darauf im allerersten Finale des DFB-Supercups für die Bayern gegen Hamburg kurz vor Schluss den 2-1-Siegtreffer und sein zweites Tor in diesem Spiel schoss, hat ihn HSV-Torwart Uli Stein sicherheitshalber und kurzerhand entnervt mit der Faust K.O. geschlagen. Hat aber nichts genützt. Der Stein flog vom Platz und die Kobra stand wieder auf. Da war ganz schön was los, in den Achtzigern.
Doch zurück zum Bökelberg. Wegmann wurde beim Spiel gegen Gladbach spät eingewechselt und war danach alle andere als giftig und auch sein kurz darauf eingewechselter Knappenkumpel Michael Opitz galt nicht gerade als Torfabrikant. Folgerichtig gewann Gladbach das Spiel souverän mit 3-1, obwohl sich der überragende Wilfried Hannes in der Schalker Abwehr mit aller Macht dagegen wehrte. Hätte man ihn damals in einem Interview für seine gute Leistung gelobt, dann hätte er ganz locker antworten können: Tja, kein Wunder, unter den Blinden ist eben der Einäugige König. Und das ohne zu lügen. Wilfried Hannes hatte nämlich tatsächlich nur ein Auge. Das andere hatte er durch eine Tumorerkrankung schon früh eingebüßt. Da er so ganz ohne räumliches Sehvermögen ausgestattet ist, imponiert seine lange und erfolgreiche Spieler-Karriere umso mehr, die übrigens 1975 bei den Gladbachern begann. Noch heute ist er dem Fußball verbunden und hat als Trainer bei Borussia Freialdenhoven am Niederrhein immer zumindest ein wachsames Auge für die Leistung seiner Mannschaft.
Die Gladbacher Borussen hatten in der Saison 1986/87 einfach ein besseres Gesamtpaket als die Schalker. Sie wurden am Ende Tabellendritter und Schalke belegte nur den 13. Rang. Für die Blauen war das der Anfang eines Niedergangs, der eine Saison später mit dem Abstieg in die 2. Liga enden sollte. Das damalige, gute Abschneiden der Gladbacher hat sehr viel mit dem Trainer Jupp Heynckes zu tun und mit einer Reihe von außergewöhnlichen Spielern. Fangen wir mal mit dem Keeper an. Uwe Kamps! Er hatte in der Saison 86/87 einen Kicker-Notendurchschnitt von fast 2,1. Ganz gewiss kein Fliegenfänger! Im DFB-Pokal-Halbfinale 91/92 gelang ihm das Kunststück, im Elfmeterschießen alle der vier von Bayer geschossenen Elfmeter zu halten. Kamps ist den Borussen bis heute treu geblieben und trainiert die Torhüter. Sein Musterschüler Marc-André Terstegen steht heute bei Barca im Tor. Der kanns, der Kamps!
Dann war da noch ein Uwe. Den Mittelstürmer Uwe Rahn, der damals mit 24 Treffern saisonabschließend bester Schütze der Liga wurde, knapp vor Waldhofs Fritz-'Wo isch mei Kanon?'-Walter, der mit 23 Treffern nur Zweiter wurde. Rahn und Walter. Der Spruch: 'Nicht verwandt und verschwägert mit dem ehemaliger Spieler aus der 54er-Nationalelf' war da oft zu hören. Uwe Rahn schoss sich in diesem Jahr in die Nationalmannschaft, eine Karriere, die Fritz Walter unverständlicherweise verwehrt blieb, obwohl er damals schon eine wesentlich bessere Trefferquote vorzuweisen hatte als Rahn. Uwe Rahn beendete seine Karriere 1995 in Japan bei den Urawa Red Diamonds. Danach galt er lange Zeit als verschollen, was ja bei Profifußballern nicht so häufig vorkommt. Angeblich lebt er mit seiner Familie irgendwo in Italien. Sucht nicht nach ihm. Vermutlich will er einfach nur Ruhe gelassen werden.
Weitere Gladbacher Erfolgsgaranten waren damals Christian Hochstätter, Bernd Krauss und Michael Frontzeck, sowie Uli Borowka. Hochstätter machte danach Karriere als Sportdirektor in Hannover sowie als Spieler-Berater und im Sport-Marketing. Heute ist er als Sportvorstand beim VfL Bochum tätig und im Fußball immer noch sehr präsent. Ende letzten Jahres war er einmal kurz der Wunschkandidat des HSV, aber clever wie er ist, blieb er dann doch lieber in Bochum. Der Deutsch-Österreicher Bernd Krauss hat sich hernach die Trainerkarriere ausgesucht und auch die Gladbacher Borussen selbst sehr erfolgreich einige Jahre trainiert. Als Krönung folgte 1995 der Gewinn des DFB-Pokals. Danach folgte eine wahre Odyssee als Trainer, mit einer vorläufigen letzten und sehr kurzen Tätigkeit an der Endstation in Tunesien. Seitdem gilt er zumindest bei Wikipedia, Transfermarkt etc. ebenfalls als verschollen. Was ja nichts zu bedeuten hat. Hoffentlich geht's ihm gut. Ansonsten gilt für ihn das gleiche wie für Uwe Rahn. In Ruhe lassen!
Dann fehlen da noch die beiden Gladbacher Kettenhunde in der Abwehr, Michael 'Bruce Willis' Frontzeck und der berüchtigte Uli 'Die Axt' Borowka. Die gehörten zu den besten Verteidigern ihrer Zeit und beide schafften es als diese bis in die Nationalmannschaft. Jedoch nur kurze Zeit, weil sehr schnell etwas spielbegabtere Typen gefragt waren, anstatt solch schnörkelloser Abräumer. Michael Frontzeck, dessen Vater Friedhelm viel früher ebenfalls schon für die Gladbacher auf dem Platz stand, legte nach seiner aktiven Zeit eine beachtliche Karriere als Trainer unter anderem auch in Gladbach hin. Seine letzte Station bei Hannover 96 endete 2015 mit einem freiwilligen Rücktritt. Was den Hannoveranern aber auch nicht viel nutzte, denn sie stiegen am Ende der Saison trotzdem sang- und klanglos in die 2. Liga ab.
Uli Borowka war dann nach seiner Gladbacher Zeit in den Achtzigern bei Werder Bremen nicht mehr wegzudenken, mit denen er zwei Meisterschaften und DFB-Pokalsiege feierte und 1991/92 auch den Europapokal der Pokalsieger holte, den es damals ja noch gab. 1997 ging Uli Borowka als erster deutscher Profi noch zu Widzew Lodz in die 1. polnische Liga. 1998 wurde sein Vertrag nicht mehr verlängert. Seine Alkoholkrankheit forderte ihren Tribut. Schon zuvor war Borowka wegen seiner Alkoholeskapaden Dauergast in der Zeitung mit den großen Buchstaben. Die Boulevard-Medien gaben ihm und seiner Karriere im Nachklapp den Rest. Sie mögen es eben, wenn Helden fallen. Viele Jahre hatten sie fleißig an seinem Eisenfuß-Mythos mitgeschrieben, der dem eigentlich sehr sensiblen Kerl und vergleichsweise fairen Spieler alles andere als gerecht wurde. Ähnliches widerfuhr, by the way, gerade Kevin Großkreutz beim VfB Stuttgart. Vor wenigen Wochen war der in den Medien noch der sympathische Inbegriff von Einsatzwille und Identifikation für den Verein. Dann kriegt er nachts in der City von jemandem auf der Straße eine vertafelt, was dort schnell mal passieren kann, und wird sogleich zum Prügelknaben. Und kriegt dann hinterher auch von der Presse, gleich noch mal eines auf die Fresse.
Aber wir waren ja bei Borowka und das Happy-End fehlt noch. Seit 2000 ist er abstinent und er veröffentlichte kurze Zeit später das Buch "Volle Pulle. Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker". Dazu gründete er einen Verein, der die Suchtprävention und Beratung von Süchtigen im Sport zum Thema hat. Alles wieder gut soweit. Danach startete er ein paar wenig erfolgreiche Versuche als Trainer in Berlin und ist seither auch im Sportmarketing tätig. Ach ja, und 2007 war da noch eine nette Episode als Sänger bei der Bremer Punk-Band Dimple Minds. Als Fußballer war er glaube ich definitiv besser, aber hört selbst: http://bit.ly/2mO0zh3