Geschmackssache.

Hochspannung im Zieleinlauf der Liga der Propheten. Die Spitze ist dicht zusammengerückt. Nuancen entscheiden über die Meisterschaft. Trotzdem stelle ich mich der Frage, warum wir in Kürze einen österreichischen Verein in der Bundesliga erdulden müssen.

Der allgemeinen Bulletinkritik wird sicherlich nicht entgangen sein, dass in den letzten Spieltagsbesprechungen häufig kulinarische Themen aufgegriffen wurden. Ich schrieb über geworfene Schweinsköpfe und über in Eimern abgefüllten Quittenschnaps. Ab drei kann man von einer Serie sprechen, finde ich, zumal in den letzten Tagen vieles im Fußball zu einer Geschmackssache verkommt. Hätte Uli Hoeneß, der verurteilte Steuersünder, am Freitagabend nicht besser den Mund gehalten, anstatt als verurteilter Steuersünder wieder die mediale Moralkeule zu schwingen? Geschmackssache. Sollte man es Bundesliga-Dino HSV wünschen, mit seiner Murmeltruppe in der Liga zu bleiben, oder ist es nicht ein Zeichen der Solidarität, wenn er erfährt, wie es in unteren Ligaklassen zugeht? Geschmackssache. Ist ein taumelnder HSV nicht immer noch besser als Paderborn, das ich schon aus sprechchor-phonetischen Gründen („Pa - da – boarn! Pa – da – boarn!“) für einen problematischen Bundesligisten halte. Aber auch hier bleiben die Antworten im Bereich der Geschmackssachen. Möglicherweise sind die Ostwestfalen besser als die einsilbigen Fürther. Bilden Sie mal einen Sprechchor aus Fürth! „Fürth!“... Ja, da kommt man nicht weit. Da braucht man schon den Fusionsclub aus Vestenbergsgreuth oder das Kleeblatt, um etwas halbwegs Vernünftiges aus den grünweißen Kehlen zu brüllen.

Aber zurück zum Kulinarischen. Kaum hatte ich vor einigen Tagen eine Liste an merkwürdigen Wurfgegenständen aufgestellt, kommt schon ein bisher unbekanntes Flugobjekt auf den Rasen, in diesem Fall auf die Trainerbank geflogen. Die Fans von PAOK Saloniki bereicherten die Speisekarte am letzten Wochenende mit einer nordgriechischen Spezialität: Vergammelte Anchovis hatten sich in Wagenladungen über die Trainerbank von Olympiakos ergossen, so ist in serösen Zeitungen zu lesen. Vergammelte Anchovis! Da wundert man sich, wie man angesichts der aktuellen Krise etwas verkommen lassen kann, das andernorts als Delikatesse serviert, einen prächtigen Ertrag versprochen hätte. Hierzulande wirft man mit fauligen Eiern, wenn man es ganz böse meint. Aber Anchovis? Offen gestanden, mir war nicht bewusst, dass die so stinken. Wenn man sie in Salz einlegt, halten sie doch eine gefühlte Ewigkeit. Mag sein, dass Nordgriechenland an Salzmangel leidet.

Doch von exotischen Schauplätzen zurück zu heimischen Geschmacksverirrungen. Als Prophet der Zukunft verpflichtet, blicke ich an diesem Wochenende mit Sorge in die zweite Liga. Ich begreife mich nicht als radikalen Traditionalisten, und ich finde trotz langjähriger Tradition hat sich ein Verein wie der FSV Frankfurt oder der SV Sandhausen nicht unbedingt als Publikumsmagnet qualifiziert. Was jetzt jedoch aus Österreich mit dem Umweg über Leipzig in die zweite Liga kommt, geht gar nicht. Es geht hier nicht um das Formaljuristische. Die neun Mitglieder des Vereines, die damit verbundene Umgehung der 50+1-Regel, die offensichtliche Werbe-Benamsung, die frappierende Ähnlichkeit des RB-Wappens mit der Marke – all das sind offensichtliche Verletzungen aller bestehenden Liga-Regeln und sollten eigentlich zur sofortigen Rück-Versetzung nach Österreich führen. Um was es wirklich geht, ist die Absicht. Der Verein ist nicht gegründet worden, um Fußball zu spielen. Es gibt ihn, weil jemand Dosen verkaufen will. Der Verein ist ein so offensichtlicher Werbeträger, dass selbst Leverkusen und Wolfsburg noch als Retter einer verlorenen guten, alten Zeit erscheinen. Der Verein ist ein Marketinginstrument und stellt dies absichtlich so offensiv in den Vordergrund, dass seine Erscheinungsform als Fußballmannschaft in den Hintergrund tritt. „Man muss kein Prophet sein, um vorhersagen zu können, dass Uli Hoeneß wieder ins höchste Amt des FC Bayern zurückkehren wird“, sagte das ewige Pickelgesicht mit Namen Rummenigge gestern. Ich sage: „Man muss kein Prophet sein, dass Österreich demnächst in der Bundesliga spielen wird.“ Ich bitte schon jetzt um Verständnis, dass ich eine gewisse, gebotene Neutralität im Rahmen dieses Bulletins nicht erfüllen werde. Meine angeborene Bayern-Abneigung versuche ich schon nach Möglichkeit zu kaschieren. Zugegeben, es gelingt nicht immer. Im Falle von Rasensport Leipzig („Ra – sen – sport! Ra – sen – sport!“) werde ich mir erst gar keine Mühe geben.

Vermutlich ist mein innerer Widerstand gegen die Dosenplörre aus Fuschl so stark, weil ich beim Gedanken an den übersüßen Synthetikmist einen Würgereiz verspüre. Inzwischen besitzt ja mancher Hustensaft eine originäre Kräuternote, die ich durchaus schätze und als kulinarische Entschädigung für die leichte Erkältung betrachte. Das ist funktional food, wie ich es mir lobe. Leckere Kräuter, die mir weiter helfen. Aber diese Bullenschei... Nee. Funktional Food ist das auch. Es wirkt, das will ich gar nicht bestreiten. Doch wenn ich nicht Bulletins schreiben würde, würd ich glatt vermuten, dass diejenigen, denen das schmeckt, keine guten Menschen sein können. Wieso gründet keiner die überfällige Kampagne „Rettet die Gummibärchen!“ Es wäre notwendig vor dem Hintergrund, dass sie in Österreich massenhaft umgebracht, in Zuckerwasser ertränkt werden.

Nein. Derlei Geschmacksverirrungen kann ich nicht unterstützen. Ich boykottiere die Plörre schon seit Jahren, und ich werde auch im Rahmen dieses Bulletins im Zusammenhang mit Österreichisch-Leipzig kein Blatt vor den Mund nehmen. Lieber esse ich vergammelte Anchovis als einmal eine klibbersüsse Dose in die Hand zu nehmen. Und nie wieder werde ich die abgefüllte Menschheitsverdummung im Zusammenhang eines Bulletins erwähnen, welches Fragen des guten Geschmacks zu besprechen scheint. Ich bitte meine Leser um Entschuldigung. Als Zeichen meines Versuches zur Besserung biete ich an, mich um die wirklich wichtigen Dinge zu kümmern.

Oje, erst meine Besserwisserei in Geschmacksfragen und dann noch Tabellenführer bei den Propheten der Liga - das ergibt kein gutes Karma. Zu meiner Verteidigung möchte ich anführen, dass ich mit 3 Volltreffern einen relativ bescheidenen Wert anbiete. Die Lage an der Tabellenspitze gleicht derjenigen in der letzten Saison. Am Schluss rückt alles eng zusammen. Meine Führung steht am wackeligen Beinen. Es bestätigt sich ein weiteres Mal die Erkenntnis, dass die Liga der Propheten im Mittelfeld enschieden wird. Es war nicht schwer, Bayern die Meisterschaft vorher zu sagen. Dazu mussten manchen unter uns nur über ihren Schatten springen. Die korrekte Position von Hannover 96 zu prophezeien, das macht den Meister der Propheten aus. Und daran scheitert man gerne, bis in die obersten Ränge unserer Tippgemeinschaft. Der Tabellendritte Matthias Wimpff führt Hannover 96 auf Platz 9, er hofft in diesem Sinne auf einen Heimsieg gegen Freiburg und freut sich, wenn die Hannoveraner noch an Hertha und Hoffenheim vorbei ziehen. Es würde seiner prophetischen Tabelle entsprechen und ich vermute, dass Hannover ihn zum Gesamtsieger machen könnte. Prophet Matthias Wimpff liegt nur 2 Punkte hinter dem Tabellenzweiten, den Propheten Oliver Schneider. Er glänzt im Moment mit einer stattlichen Volltrefferzahl von 7. Das bedeutet, er sollte hoffen, dass sich bei den 7 Volltreffern, darunter Hannover, möglichst wenig verändert – und drückt gleichzeitig der Liga die Daumen, dass sich sich nur aus meinen Karten spielt. Ich selbst führe Hannover 96 auf einem 12. Rang, so dass ich den Freiburgern am letzten Spieltag einen Auswärtssieg wünsche. So drücken die mich verfolgenden Propheten sicherlich den Leverkusenern die Daumen. Die habe ich fatal tief auf Platz 6 platziert, was schon gar nicht mehr der Wahrheit entsprechen kann. Bleiben sie auf 4 – oder rücken gar auf drei vor, geschieht das gewiss nicht zu meinen Gunsten.

Bei allen Spekulationen sollte man aber auch auf den prophetischen Tabellenvierten Tobias Hufnagl achten. Er weist zwar nur 3 Volltreffer aus, aber nach dem Theorem des Propheten Hans-Jürgen Bosch, wonach wenig Volltreffer eine stabile Platzierung bedeuten, scheint er auch am letzten Spieltag glänzende Perspektiven zu haben. Wenn ich das Bosch-Theorem weiter denke, bedeutet das: Die 120 Punkte von Tobias Hufnagl stehen wie in Stein gemeißelt. Sollten die Oberen am letzten Spieltag schwächeln, könnte unser prophetischer Herbstmeister den Titel der Saison 2013/14 mit spielerischer Leichtigkeit davon tragen. Doch alle Spekulation über das richtige Spekulieren ist müßig. Am letzten Spieltag wird die Bundesligatabelle noch einmal Verschiebungen erhalten. Mit dem letztjährigen Vize-Meister Marvin Burmester hätte am vorletzten Spieltag keiner gerechnet. Shootingstar Andreas Braun auf Platz 7 zeigt sich 16 Plätze verbessert. Das lässt ahnen, wie kometenhaft die Verschiebungen noch sein können, selbst kurz vor Torschluss der Liga.

Nur eines scheint sicher: Michl Luz begleitet uns fast über die gesamte Saison hinweg als Hüter des Weinkellers der Liga. Auf ihn ist Verlass: Er sichert uns Propheten nach unten ab. Wäre er nicht unten, könnten wir nicht oben sein. Ich will ihn nicht voreilig zum Roten Propheten ausrufen, aber es häufen sich Anzeichen, die darauf hin deuten. 10 Punkte Rückstand bei 3 Volltreffern, das macht deutlich, wie sehr sich Michl Luz um unsere Absicherung nach unten kümmert. Das ist meines Erachtens aller Ehren wert, und wenn nicht den Pokal des Ehrenpropheten, dann auf jeden Fall den Pokal des Roten Propheten. Ich würde mich sogar zu folgendem Versprechen versteigen: Wenn er nicht der kommende Rote Prophet wird, dann schmause ich ein vergammeltes Anchovi und spüle es mit einer Dose Red Bull runter.