Heite grob ma Tote aus

Voodoo Jürgens "Heite grab ma Tote aus" bitte voll auf laut. Das prophetische Bulletin des 24. Bundesligasspieltags schaut in die Abgründe von Wien. Aber mit Schmäh.

Ich kann an Fußball auch mal einschlafen. Während der Championsleague passiert mir das häufig. So aufregend ist das prunkvolle Gekicke meistens nicht. Da werden die Lider häufig schwer. Außerdem führte am Mittwochabend Dortmund bereits ziemlich hoch. Spannend war’s nicht mehr. Ich gähnte bereits mehrmals. Nur zur Kontrolle zappte ich zum anderen Livespiel rüber, wo Barca mit 3:1 führte, also utopische drei Tore für Weiterkommen benötigte. Es lief bereits die 81. Minute. Ich bin VfB-Fan, ich hab’s nicht so mit Fußballwunder. Auch das Spiel im Camp Nou war gelaufen. Bevor ich auf dem Sofa einschlief, schleppte ich meine trägen Glieder dorthin, wo man die Nacht bequemer verbringen kann als vor der Endlosschlaufe der Experten-Nachbesprechung. Wer Legenden sehen will, darf sowieso keine Championsleague schauen.

Am Wochenende zuvor war ich bei der Legendensuche in Wien extrem fündig geworden. Schon lange freute ich mich auf diesen Ausflug. Mit dem Propheten Hannes Krauß-Ceasar teile ich die Sympathie für den ersten Wiener Club, den First Vienna Cricket and Football Club von 1894. Das liegt auch an seinem Stadion Hohen Warte, einer Naturarena, die fast so alt ist wie der Club und noch heute das Flair der Fußball-Gründerzeit verströmt. „Altehrwürdig Hilfsausdruck“, würde der Österreichische Krimi-Autor Wolf Haas an dieser Stelle formulieren. Am Abend vor meiner Groundbesichtigung checkte ich nochmal den aktuellen Tabellenplatz der Vienna, die aktuell in der dritten österreichischen Liga spielt. Nee, jetzt echt… ? Genau an diesem Tag, dem 2. März 2017, meldete die stolze Vienna von 1894 Insolvenz. Ein Horrorszenario. Das ausgerechnet eintritt, wenn ich in Wien bin. So ein Zufall. Doch völlig abseits meiner Befindlichkeiten, geht es ums Ganze: Wenn die Vienna am Abgrund steht, ist auch die Hohe Warte in Gefahr, das größte Naturstadion Europas.

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„Am Zentralfriedhof ist Stimmung…“. An der Hohen Warte übrigens auch. Kenner des österreichischen Fußballs sind ausnahmslos Melancholiker. In der ehemaligen K.u.K-Monarchie träumt man ewig von alter Größe. Kein Wunder. An jeder Ecke der Innenstadt, in jeder Gasse, an jedem Platz wird man durch die prunkvollen Häuser an die guten, alten Zeiten erinnert. Im Fußball verhält sich das ähnlich. In den 30er-Jahren verzauberte Österreich die ganze Welt mit seinem Wunderteam. Mindestens Europa. In diesem Punkt sind sich die Historiker ausnahmsweise einig: das Wunderteam ist keine Legende. Es ist Tatsache, dass Österreich mit Abstand beste Team seiner Epoche stellte. Obwohl Österreich natürlich nie Weltmeister wurde. Aber das wäre schon damals nicht österreichisch gewesen. Richtiger Schmäh ist, wenn der große Sieg ausbleibt. Als Heimstätte des Wunderteams galt die Hohe Warte im noblen 19. Bezirk.

Mit der Straßenbahn geht’s raus an den historischen Ort, Ausstieg am Mineralbad Döbling. Rechts Villen, links ein Park zum Genießen. Viel schöner kann man nicht wohnen. Nicht in Wien, nicht sonstwo auf der Welt. Wer nach Beweisen sucht, dass Fußball in seinem Ursprung kein Arbeitersport war, wird hier fündig. Über einen Fußweg gehen wir rüber zum Stadion. Allerdings müssen wir erst eine Stadionrunde drehen, immer am gut bewehrten Stadionzaun entlang. Von unten geht’s rein, rechts an der Haupttribüne vorbei und rüber auf die imposante Naturtribüne. Wir erklimmen wieder die Höhenmeter, die wir vorhin verloren hatten. Oben sind angekommen sind wir erstmal außer Atem. Ich muss erstmal Luft holen, bevor ich die Kamera ruhig halten kann. Von ganz oben genieße ich den betörenden Blick über die Stadt. Mehrere Zehnmillionen Euro könnte man erzielen, würde man diese zauberhafte Aussicht als Baugrund ausweisen. Die Gefahr ist greifbar.

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Runde 85.000 Zuschauer passten zu den Zeiten des Wunderteams in die Arena. Noch immer erscheinen jährlich mehrere hymnische Chroniken, in denen die Virtuosität der damaligen österreichischen Nationalmannschaft besungen wird. Auch wenn die Vienna in der Hohen Warte auflief, durfte man auf Fußballfeste hoffen. 1931 wurden die Blaugelben Meister und qualifizierten sich für den Mitropa-Cup, einen frühen Vorläufer des Europacups. Im Finale wurde die AS Rom mit 3:2 in Zürich und 3:1 im Rückspiel auf der Hohen Warte besiegt. Während ich von der imposanten Naturtribüne auf ins leere Runde schaue, spielt die Vienna beim Tabellenführer der dritten österreichischen Liga beim SC Ritzing. Aber der sportliche Aspekt ist nicht mehr als eine Randnotiz. Wichtig ist am grünen Tisch. Die Vorstände des Clubs hoffen, dass die Gläubiger zustimmen und eine 30—Prozent-Quote annehmen. Aktuell fehlen einige hunderttausend Euro. Die Spieler haben schon einige Monate kein Geld gesehen. Die Insolvenz ist die einzige Chance zum Überleben. Die Vienna müsste danach wieder ganz unten anfangen. Der Neuanfang in der Tiefe kennt keine Alternative.

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Der stolze First Vienna Football Club wird seit Jahrzehnten geführt wie Schalke 04 in den Siebzigern und Achtziger Jahren. Investoren kamen. Manche machten mehr Schulden, als sie wirklich Geld in die Kassen spülten. Die Vienna war schon lange ein Skandälchenclub - und manchmal lieferte er einen handfesten Skandal. Noch in den Achtzigern kickte mit Mario Kempes ein echter Weltmeister auf der Hohen Warte. In den Neunzigern war Paul Breitner als Berater bei der Vienna. Es sollte nicht das letzte Großmaul sein, das in Döbling heisse Luft verströmte. Gönner, Mäzene und politisch motivierte Funktionäre erschienen pompös – und gingen im Streit. Doch Insolvenz? Das wäre einmalig in der langen Geschichte des Clubs. Es ist eine typisch Wiener Geschichte. Völlig überraschend war im Herbst der einzige Mäzen und Hauptsponsor des Club verstorben. Martin Kristek gehörte ein deutscher Billigstrom-Anbieter namens Care-Energy. Das Logo ist noch überall auf der Hohen Warte zu sehen, obwohl auch Care-Energy schon seit Monaten insolvent ist. Eine Trauerspiel - oder eine typische Wiener Geschichte. Kann wenigstens die Vienna dem Tod noch von der Schippe springen?

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Aber sicher doch. In Wien sitzt nicht nur die Melchancholie tief unter der Haut, sondern auch die Überzeugung, dass es irgendwie gut ausgeht. Mit „Heite grob ma Tote aus“ hat letztes Jahr der wundervolle Voodoo Jürgens eine Hymne auf die Freude an der Wiederauferstehung geschrieben. Sie könnte auch für die Vienna gelten. Natürlich muss der stolze Verein von 1984 wieder in der letzten Klasse anfangen. Aber nicht wenige glauben daran, dass es endlich ein reinigendes Gewitter ist. In ihrem Kommentar zu Lage loben die Vienna Ultras die Transparenz, mit denen die Vorgänge jetzt bei der Vienna aufgearbeitet werden. Sportlich feierte die Vienna einen furiosen Rückrundenauftakt. Das Auswärtsspiel beim Tabellenführer der Regionalliga SC Ritzing wurde mit 5:0 gewonnen, mit 10. Mann übrigens. Die Zuversicht ist groß, dass die aktuelle Saison geordnet zu Ende gespielt werden kann. Neue Sponsoren werden mit einem nachvollziehbaren Angebot gesucht. Offenbar hat der letzte Sponsor Care-Energy weitere Interessenten abgeschreckt, die jetzt aktiviert werden können. Trotzdem müssen noch riesige Erdmassen bewegt werden, bevor die scheintote First Vienna wieder atmen kann. Und das ist bitter nötig. Geht die Vienna unter, ist auch die Hohe Warte tot. Soviel ist klar. Die Stadt Wien, so erzählt man sich in den verrauchten Kaffeehäusern, würde schon deshalb nichts zur Rettung ihres ersten Fußballclubs beitragen, weil sie in der Folge die Hohe Warte als Baugrund verscherbeln könne. Die Investoren laufen sich bereits warm.

Trotz alledem würde sich niemand wundern, wenn binnen der nächsten fünf oder zehn Jahren die Vienna wieder oben spielt. Möglicherweise gereicht die österreichische Übersichtlichkeit dem Traditionsclub zum Vorteil. Von der Stadtliga bis zum bezahlten Fußball ist der Weg nicht ganz so weit wie in den großen Fußballnationen. An der Heimstätte des Wunderteams arbeitet man bereits am nächsten Fußballwunder. Ich verspreche: Ich werde es genau beobachten. Schließlich glaube ich felsenfest an dieses Wunder. Ich bin ja nicht irgendwer. Ich bin Prophet. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich sag nur ein Stichwort: „Barcelona.“ Als VfB-Fan weiß ich: Wir haben auch schon mal mit 4:0 in Barcelona verloren. Daher kann ich es beurteilen: Gegen Barca kann mal schon mal verlieren. Sogar in der 81. Minute kannst Du noch Buden fangen. Beim Fußball ist sowieso immer alles drin. Grundsätzlich. Da werden sogar Tote wieder lebendig.

PS. Wer spüren will, wie es damals auf der Hohen Warte zuging, sollte sich unbedingt die Original-Reportage von Heribert Meisl anhören. Er gilt übrigens als der Gründervater der emotionalen Radioreportage. Edi Finger jr. und Günter Koch sind im Grunde nur die Kopie. Heribert Meisl ist das Original. Wie schön, dass man ihn via youtube nochmal ausgraben kann: und zwar hier. Wenn ich das höre, krieg ich jedesmal Gänsehaut. Havarie! Bitte hier klicken und genießen.