Hymne für die Quotenhure

Herzlichen Glückwunsch der Roten Prophetin der Saison 17/18: Nina Graß

Wie immer in der Liga der Propheten wird der letzte Platz besonders gefeiert. Eben einzigartig, diese Liga! In der Geschichte des Sports sind wenige Wettbewerbe bekannt, bei denen das Schlußlicht rituell besungen wird – und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen mongolischen Schwimmer, einen britischen Skispringer oder eine saudiarabische Slalomläuferin handelt. Bei Giro d'Italia gab es bis in die sechziger Jahre ein rituelles schwarzes Trikot für den Letzten des Gesamtklassements. Aber nachdem ein leiser Kult ums Trikot entstanden war, wurde es abgeschafft. Es gab wohl Fahrer, die es absichtlich aufs Schwarze abgesehen hatten. Sie verbrachten den halben Tag an Caffebars und trudelten erst wenige Sekunden vor Kontrollschluß ein. Bei den Propheten ist eine derart berechnende Vorgehensweise verpöhnt. Unsere roten Propheten sind für gewöhnlich Freunde des Risikos. Sie geben alles, nehmen Herz und Vorhersehung in beide Hände und gehen voll auf Sieg. Alles, nur nicht mausgraues Mittelmaß. Strahlender Triumph oder... naja. Genie und Wahnsinn. Wir feiern beides.

Wahnsinn und Genie

Wie nah die Türen von Siegertreppchen und Kellertreppe beieinander liegen, erkennen wir an unserer wunderbaren Prophetin Nina Graß. Seit langem trägt sie den selbstverliehenen Ehrentitel "Quotenhure", jetzt kommt Auszeichung der Roten Prophetin hinzu. Das ist konsequent. Mit langweiligen, mausgrauen Prophezeiungen landet man eben maximal im Mittelfeld. Wenn man bei den herkömmlichen Wettanbietern mit durchschnittlichen Favoritentipps antritt, reiben sich alle Buchmacher genüsslich die Hände. Mit den öden Bayernaufsiegwettern verdienen sie ihr Geld. Die Statistiker wissen längst: Wenn Du die Außenseiter triffst, machst du die Kohle. Es sind die hohen Quoten, die sich lohnen. Übrigens auch langfristig gesehen. Die Masse wettet die Favoriten. Darum halten die Buchmacher die Favoritenquoten tiefer als es von der Wahrscheinlichkeit her angebracht wäre. Mit den Favoritenwettern machen sie ihren Gewinn. Wenn Bayern mal unentschieden spielt, ploppen bei Tipico die Champagner. Das ist keine höhere Mathematik, sondern alltägliche Abzocke. Otto Normalwetter wird zur Kasse gebeten. Während die Quotenhure milde lächelt. Aber lassen wir die Besserwisserei. Schauen wir auf den bemerkenswerten Palmarés der Roten Prophetin.

Allein beim Blick auf die drei größten Erfolge von Nina Graß werden normale Propheten vor Neid erblassen.

- Wer tippt bei der WM 2014 Costa Rica ins Viertelfinale? Zumal die Ticos in einer Vorrundengruppe mit Uruguay, Italien und England gelost wurden. Mit gewinnendem Lächeln realisierte die Quotenhure einen Multiplikator von runden 120 für 1.
- Wer kommt auf die abseitige Idee, nach hoffnungslosen 0:2-Rückstand des VfB in Dortmund noch einen Pfifferling auf ein Remis zu setzen? Prophetin Graß hatte die Souveränität, den Buchmachern mit einer dreistellig bequoteten Livewette die Nase zu drehen. Mit einem Lächeln. Übrigens an einem Abend, der vielen Propheten noch in Erinnerung geblieben ist. 4:4 der Endstand, und Dortmund verpflichtete Julian Schieber. Unvergessen.
- Und wer bitte traut sich am Sylvester 2011, Blackburn Rovers auf Sieg bei Manchester United zu setzen (für Quote 22), um dann Minuten später Aston Villa auf Sieg bei Chealsea zu spielen (wieder für eine ähnliche Quote)? Beides Volltreffer für unsere Rote Prophetin.

Wette lieber ungewöhnlich

Man wird nicht unbedingt Millionär, doch man wird reichhaltig belohnt mit wundervollen Erfolgen. Natürlich gehört der Titel der Roten Propheten zu diesen schönen Erfolgen. Doch als Ligamanager müssen wir uns fast bei unserer Roten Prophetin entschuldigen. Nämlich dafür, dass unsere Liga keine Quoten kennt. Sie behandelt Favoritentipps genau wie Außenseitertipps. Eigentlich ungerecht. Leider. Wer eine Meisterschaft von Hannover 96 prophezeit, bekommt eben keinen Risikoaufschlag. Die ambitionierten Wetter, zu denen die Quotenhure zweifellos zählt, mögen es bedauern. Nicht zuletzt dafür feiern wir die Letzten mit extralangen Hymnen. Quoten gibt's keine. Aber der Respekt für die Risikopropheten ist allen gewiss. Herzlichen Glückwunsch, maximale Anerkennung und tiefe Verneigung vor Nina Graß. Und jetzt bitte die Hymne einspielen. Danke.