Käpt'n Ennatz #Propheten-Hall of Fame

Der MSV Duisburg ist gerade auf dem besten Wege, in die 2. Bundesliga aufzusteigen. Grund genug, mal an Bernard Dietz zu erinnern, das beste Zebra aller Zeiten...
Letzte Woche gab John Terry vom Chelsea FC bekannt, dass er seine Karriere im Sommer beenden wird. Die vorauseilenden Lobeshymnen in der Presse erklärten den 36-jährigen 'Natural born leader' zum 'Kapitän aller Kapitäne' und Ancelotti mutmaßte gar, er sei bereits 'mit der Kapitänsbinde auf die Welt gekommen'. Diese Lobhudelei mag angemessen sein, wenn man als Qualifikation für den Kapitän aller Kapitäne ein großes Arschloch-Potenzial zugrunde legt. Und das hat er definitiv, was sein ehemaliger Nationalmannschaftskollege Wayne Bridge bestätigen wird, dem der verheiratete Terry 2010 mal seine Freundin, ein französisches Unterwäsche-Model, ausgespannt hatte. It was terrific! - je nach Sichtweise. Es gäbe noch vieles aufzuzählen, aber allein das reicht schon locker aus, um John Terry als Kapitän aller Kapitäne zu disqualifizieren.
Und außerdem ist dieser Titel ja bereits für alle Zeiten vergeben, und zwar an Bernard Dietz, genannt Ennatz. Der war als aktiver Fußballspieler und vor allem als Spielführer immer so etwas wie ein Musterbeispiel für Integrität und menschliche Größe. Und das ist er heute noch! Dietz war Kapitän in einer Zeit, als das Amt im Fußball noch etwas galt, der Spielführer ein Vorbild zu sein hatte und die Binde nicht an den erstbesten Vollidioten mit der größten Klappe vergeben wurde, der als 'Aggressive Leader' Arschlochqualitäten zumindest effenberg'schen Ausmaßes mitbringen musste. 1973 bekam Bernard Dietz vom MSV-Trainer Willibert Kremer die Binde erstmals überreicht und er trug sie danach mit einer ganz kurzen Unterbrechung für die Zebras durchgängig bis zum Jahr 1982, als unverzichtbarer Spieler und große Stütze des Vereins. 1978 ernannte Jupp Derwall, der nach der Schmach von Cordoba bei der WM das Traineramt von Helmut Schön übernommen hatte, den Linksverteidiger auch als Nationalspieler zunächst zum stellvertretenden Kapitän, und schließlich, nach Sepp Maiers Karriere-Aus, zum ersten Mannschaftskapitän.
Sein erstes Länderspiel mit der Binde am Arm bestritt Dietz im Dezember 1978 im Freundschaftsspiel gegen die Niederlande in Düsseldorf, als Sepp Maier mal nicht spielen konnte. Als das feststand, rief er gleich seine Frau an: 'Pack Mutter ein, ich bin Kapitän!' Mutti war dabei, Ennatz siegte 3-1 und auf der Heimfahrt fragte er sie, wie sie es fand. 'Es war interessant, aber die vielen Leute...', antwortete die damals über 70-Jährige, die an diesem Tag ihren Sohn zum allerersten und zum letzten Male im Stadion gesehen hatte. Sie bevorzugte das Fernsehen im Wohnzimmer. Richtig stolz war Mutter Dietz dann sicherlich, als die Deutschen mit ihrem bereits 32-jährigen Käpt'n Ennatz 1980 Europameister wurden. Dietz hielt als Kapitän dabei als erster die Trophäe in Händen. Ein großer Tag für ihn, wie er es in aller Bescheidenheit kommentierte: ' Kaum zu glauben, da stand der kleine Arbeiter aus dem Ruhrpott plötzlich ganz oben und war Europameister'.
Als neuntes Kind einer Bergmannfamilie kam Bernard Dietz im März 1948 in Bockum-Hövel auf die Welt. Dort hatte man dem Straßenfußballer auch seinen Spitznamen Enatz oder Enatzken verpasst, eine Variante des plattdeutschen Benatzken, Natzken oder Natz, als Diminutiv für den Vornamen Bernhard. Seit 2012 trägt das Maskottchen des Meidricher Spielvereins von 1902 in Duisburg auch den Namen Ennatz und der echte Ennatz sitzt seither in den Führungsgremien des Vereins. "Der Malocher" wurde er oft im Wedau-Stadion genannt, das heute ungetümerweise den Namen Schauinsland-Reisen-Arena trägt, zumindest auf dem Papier. Von 1970 bis 1982 hielt der gelernte Schlosser als Malocher seine Knochen für den Verein hin und fehlte fast nie. Blau machen gab es für ihn nicht. Fast nie verletzt, absolvierte Dietz für den MSV und zum Karriereende für den FC Schalke 04 insgesamt 495 Spiele in der 1. Bundesliga und schoss 76 Tore. Damit ist er vermutlich der treffsicherste Verteidiger der gesamten Bundesliga-Geschichte. Und der fairste aller Zeiten dazu. In 16 Bundesliga-Jahren bekam er nämlich keine einzige rote Karte und insgesamt nur 12 gelbe Karten. Kaum zu glauben.
Und während seiner Duisburger Zeit zog er nur einmal in Erwägung, den MSV zu verlassen. 1975, am Rande des Pokal-Endspiels gegen Eintracht Frankfurt war er mit Eintracht-Trainer Dietrich Weise bereits über einen Wechsel nach Frankfurt handelseinig, doch wenig später revidierte er seine Entscheidung. Als es in der Zeitung stand, hatten ihn Fans auf dem Parkplatz am Wedau-Stadion unter Tränen gebeten beim MSV zu bleiben. Seine Erklärung lautete später: ' Du kannst den Fans, die mit dem ganzen Herzen am MSV hängen, einen Wechsel nicht antun.' Auch als 1980 Hennes Weisweiler, damals Trainer bei Cosmos New York, ihn versuchte nach Amerika zu lotsen, blieb Käpt'n Ennatz in Duisburg standhaft an Bord. Und doch musste er dann nach 12 Jahren den Verein verlassen. In einem der wenigen Momente der Unbescheidenheit hatte Dietz zuvor einmal behauptet: 'Solange ich beim MSV bin, steigt er nicht ab.' 1982 war es dann doch soweit. Der MSV konnte trotz großer Gegenwehr in dieser Saison die Klasse nicht halten und stieg ab. Bernard Dietz wäre gern geblieben, doch die von argen Finanzsorgen geplagten Vereinsoberen baten ihn des Ablösegeldes wegen trotzdem zu gehen. Schweren Herzens folgte er ihrem Wunsch: 'Eigentlich wäre ich nie gewechselt. Als das klar war, habe ich die Sachen gepackt und geweint.'
Mit 34 Jahren wechselte Käpt'n Ennatz zur Saison 82/83 zum FC Schalke 04, wo er in kürzester Zeit einen ähnlichen Kult-Status wie beim MSV erreichte. Sein erstes Jahr auf Schalke war noch mäßig erfolgreich. Die Knappen stiegen nach der verlorenen Relegation gegen Bayer Uerdingen in die zweite Liga ab. Mit 35 Jahren hatte Bernard Dietz dann im August 1983 sein Debüt in der Zweiten, bei einem 3-0-Heimsieg gegen den SC Charlottenburg. Die Schalker hatten eine gute Truppe. Mit dem starken Walter Junghans im Tor und dem treffsicheren Stürmer Klaus Täuber, der von den Stuttgarter Kickers gekommen war, sowie Hans-Joachim Abel im Sturm und dem jungen Olaf Thon im Mittelfeld. Bernard Dietz sorgte als Libero hinten für Ordnung und der direkte Wiederaufstieg war zu keiner Zeit gefährdet. Das denkwürdigste Spiel der Saison war dabei das Halbfinale im DFB-Pokal gegen Bayern München. Bernhard Dietz traf einmal und der überragende Olaf Thon gleich dreimal ins Schwarze, darunter das Tor zum 6-6-Ausgleich in der letzten Minute der Verlängerung.
Bernard Dietz gegen den FC Bayern, das ist eine ganz besondere Geschichte. Und das hat viel mit einer legendären Begegnung mit den Münchnern in seiner Duisburger Zeit zu tun. Am 5. November 1977 kamen die Bayern mit ihrem Top-Stürmer Karl-Heinz Rummenigge ins Wedau-Stadion, für dessen Bewachung Bernard Dietz eingeteilt war. Doch der dachte gar nicht daran und kurbelte stattdessen das Angriffsspiel der Zebras an. Bereits nach 20 Minuten traf Käpt'n Ennatz dann zum 1-0. Die Bayern drehten jedoch das Spiel bis zur Pause. Es war dann wiederum Dietz der kurz nach Wiederanpfiff für den 2-2-Ausgleich sorgte. Nachdem Gerd Müller dann auf 3-2 für die Bayern erhöhte, wurde es Ennatz zu bunt und er sorgte mit einem Doppelschlag in der 76. und 78. Minute für klare Verhältnisse. Seine Kollegen steuerten danach auch noch zwei Tore bei und der legendäre 6-3-Sieg war perfekt. Als Verteidiger vier Tore in einem Spiel zu erzielen, das ist zuvor und auch danach noch niemandem gelungen. In der Saison wurden die Zebras fortan nur noch MSV Dietzburg genannt und Dietz kommentierte später dazu: ' Hätte die Saison aus 34 Heimspielen gegen die Bayern bestanden, dann wären wir ganz locker Deutscher Meister geworden.'
Sein letztes Bundesliga-Spiel bestritt Bernard Dietz mit 38 Jahren im November 1986 für den FC Schalke 04 bei der 1-2-Niederlage gegen die Borussen aus Gladbach. Wieder mal eine Niederlage, denn auch beim Verlieren hält Dietz einen einsamen Rekord. Er verlor in seiner Bundesligakarriere insgesamt 221 Spiele, das ist bis dato ein unerreichter Wert. Seine Zeit in der Nationalmannschaft fand schon zuvor, nach seinem 53. Länderspiel 1981 ein etwas unrühmliches Ende. Käpt'n Ennatz hatte es gewagt, die Starallüren des in die Nationalelf zurückgekehrten Paul Breitner zu kritisieren und wurde danach von Derwall nicht mehr eingesetzt. Aber für einen aufrechten Menschen wie Bernard Dietz, ist das dann doch vielleicht eher ein rühmliches Ende.