Kirschbäume im Herbst.

Bloß keine Witze mit Namen, das ist billig, geradezu schäbig, sagen die Journalisten. Allerdings würde das prophetischen Bulletin des 12. Spieltags nie behaupten, es handle sich um Journalismus. Und gratis kommt es sowieso.

Als ich kürzlich, am Rande einer Tagung mit dem Propheten Michael Zirn fachsimpelte, waren wir uns einig, dass das Wechseln des Torhüters ein Thema wäre, welches man im Bulletin beleuchten sollte. Tatsächlich trauert auch Prophet Zirn den Zeiten nach, als die Lage auf der Linie noch übersichtlich war. Maier stand im Bayern-Tor, Kleff bei den Gladbachern. Der Schalker Torhüter hieß Nigbur – und zwar schon immer (obwohl er nicht singen kann). Braunschweig? Franke. Hamburg? Kargus. Bremen? Burdenski. Stuttgart? Genau: Roleder, der erste Prophet unserer Premierensaison. Der Torhüter diente gleichzeitig als Identifikationsfigur. Nebenbei galt als gesichert, dass man dem Torhüter durch unausgesprochene Einsatzgarantie ein Extra als Sicherheit auf die Linie geben könne. In dieser Situation konnte der Ersatzmann warten, bis er alt und grau wurde. Junghans, Hain, Sude, Funk oder Stars durften es nicht eilig haben – oder sie mussten den Verein wechseln.

Seither hat sich vieles verändert auf dem Rasen. Das Tempo ungefähr verdreifacht. Die Laufleistung der Feldspieler ebenfalls. Weniger Stürmer stehen auf dem Feld. Alle pressen. Die Verteidiger orientieren sich am Ball – und nicht mehr am Mann. Auch das Torwartspiel hat sich verändert, gerade in den letzten Jahren mit hohem Tempo. In vielen Situationen spielt der Torwart den letzten Ausputzer hinter der Kette. Ach ja, und beim Rückspiel darf er den Ball nicht mehr aufnehmen. Die Einführung dieser Regel war sicherlich ein Segen für das Spiel. Vieles hat sich verändert seit den Zeiten von Bernd Franke und Wolfgang Kleff. Nur eines ist geblieben: Es gibt genau einen Torhüter, und der steht im Tor.

Es bleibt rätselhaft, warum immer mehr Trainer unter der Saison die Torhüterposition wechseln. Die Presse freut’s. Sie erhält ein Thema mehr, das man mittwochs oder donnerstags wiederkäuen kann. Aber sonst? Was bringt’s denn? Einer der spektakulärsten Torhüterwechsel und vielleicht der Ur-Wechsel der modernen Zeitrechnung ist möglicherweise der auf Schalke. Mirko Slomka sah damals, dass er Neuer für Rost bringen musste. Auch wenn es in der Mitte der Saison war, die Maßnahme war richtig – und vermutlich stilbildend. Mittlerweile wechseln Trainer gerne, wenn der Verein im Keller steht, obwohl es oft nicht um den Torwart geht. Beispiele? Bremen. Als Rafael Wolf für Sebastian Mielitz ins Tor kam, fing er gleich mal 14 Stück in drei Partien. Vorausgegangen war eine lange Mielitz-Diskussion. Viele, die meinten, sich auszukennen, bemängelten an Mielitz fehlendes Charisma und mangelnde Abwehrorganisation. Vermutlich handelt es sich bei Mielitz tatsächlich um einen durchschnittlichen Bundesligatorhüter. Bei Wolf allerdings auch. Gestern daddelte er noch selbst einen rein. Die Bremer unter den Propheten mögen diese Causa möglicherweise treffender einschätzen, als ich es vom Süden aus vermag.

Torhüterwechsel alleine in dieser Saison: Drobny für Adler. Kirschbaum für Ulreich. Wiedwald für Trapp gildet nicht, da sich Trapp verletzt hatte. Vor allem die Kirschbaum-Maßnahme war hochumstritten. Der Stuttgarter Trainer Veh brachte es auf den Punkt, als er zugab, dass er mit dem Torhüterwechsel auch ein Zeichen setzen wollte? Was ist denn das für ein Zeichen? Ein Zeichen, dass auch hochverdiente Spieler ohne Grund mit einem Bankplatz bestraft werden können – auch wenn der Stellvertreter höchstens Bundesligadurchschnitt darstellt? Nee, da fand Prophet Helmut Roleder unter der Woche in einem deutschen Leitmedium die richtigen Worte: „Wenn man die Rangordnung so belassen hätte, wäre der Leistungsstand der beiden Torhüter ausreichend gewesen, um der Mannschaft den Rücken zu stärken.“ Und weiter: „Ich halte Ulreich aufgrund seiner Erfahrung für den besseren, auch wenn er sicherlich Defizite u. a. im Spielaufbau hat. Ich hätte den Tausch nicht vollzogen. Aber in der Hoffnung, dass Kirschbaum seine volle Leistungsstärke abrufen wird, würde ich ihn bis zur Winterpause im Tor lassen und dann neu überlegen.“ Soweit Prophet Roleder. Persönlich halte ich den Wechsel für einen Akt der schieren Verzweifelung. Eine komplett sinnlose Demontage eines verdienten Spielers. Und dann Kirschbaum. Der heißt schon so, wie soll man denn als Kirschbaum bitte ein dynamisches Torwartspiel entfalten? Aber im Ernst: In den ersten drei Spielen glänzte Kirschbaum mit gravierenden Fehlern. Das 2:0 von Leverkusen war ein Abschlaggeschenk. Das 4:3 von Frankfurt hätte ich sogar mit einer versteiften Hüfte gehalten. Und das 1:0 von Wolfsburg war bequem haltbar, wenn man sich nur entschlossener hingegangen wäre. Auch darum steht Stuttgart verdient am Tabellenende. Als hätte der VfB nicht schon genug Probleme, bastelt er sich auch noch eines im Tor. Wo andere einen Bus ins Tor stellen, stand bei uns ein Kirschbaum. Wenns wenigstens eine Schrankwand aus Kirsche gewesen wäre....

Gegen Augsburg war Kirschbaum verletzt. Angeblich. Ulriech hat glänzend gehalten. War doch klar. Genau so schlimm verletzt soll auch Vedad Ibisevic sein. Man kann ja vieles aussetzen am Lampenverein. Aber diese taktischen Verletzungen werden schon sehr sinnvoll eingesetzt. Niemand wird demontiert. Und der Fehler wird trotzdem repariert. Wie man es richtig macht, das sieht man übrigens in Freiburg und Mainz. Da wurde vor der Saison ein Torhüterduell ausgerufen, und dann fällten Streich und Hjulmand eine Entscheidung. Und weil sie gute Trainer sind, gewiß auch mit einem guten Team im Hintergrund scheint es bis zum heutigen Spieltag so zu sein, dass es die richtige Entscheidung war. Karius trägt nicht nur einen extrem attraktiven Namen (Kirschbaum [&] Partner, Streuobstwiese??), er debutierte auch kürzlich in der U20. Der Freiburger Roman Bürki ist inzwischen klare Nummer 2 der Schweiz. Im Grunde hat er nur das Pech, dass er mit dem Gladbacher Yann Sommer einen Riesen vor der Nase hat.

In der Prophetentabelle zeigt sich die Situation für 105 Propheten ähnlich wie die des Roman Bürki. Im Grunde sind die Leistungen glänzend. Aber vorne steht ein Riese. Prophet Wolfgang Ehret scheint im Moment die Tabellenspitze nicht mehr abgeben zu wollen. Er führt mit 104 Punkten vor dem stark aufkommenden Andreas Wilkens, einer der wenigen, der die Lage am ultimativen Tabellenende richtig eingeschätzt hatte. Tabellenletzter VfB, zu Saisonbeginn erschien dies eine mutige Prophezeiung zu sein. Im Moment ist es bloße Selbstverständlichkeit. Prophet Wilkens, der eigentliche Erfinder dieser Plattform führt auf Platz 2 das Verfolgerfeld an. Nach zwei Spielzeiten in der Defensive spielt Viktory Wilkens eine sehr auffällige Saison. Man darf gespannt sein, wie es weiter geht. In seinem Windschatten gewinnt auch der Vize-Prophet der Premieren-Saison Marvin Burmester drei Plätze. Den größten Sprung innerhalb der Spitzengruppe verzeichnet Prophet Hagen Gutekunst. Ihn bezeichnete ich vor gar nicht all zu langer Zeit als Geheimfavoriten. Und da ich mich heute den einfachen Namenserklärungen verschrieben habe, stellt ich fest, dass er auch in dieser Hinsicht glänzend aufgestellt ist. Trotzdem räume ich gerne ein, dass die Journalisten, die sich entschlossen gegen Wortspiele mit Nachnamen verbitten, sicherlich auf der moralisch richtigen Seite des Lebens befinden. Und wer sich nicht an die ungeschriebenen Gesetze hält, wird vom Schicksal bestraft. Die Propheten-Tabelle wird's schon richten. Da gibt es nur einen, der an diesem Spieltag satte 38 Plätze in die Knie geht. Ach...

PS. Apropos Torhüter. Hier ein Ablenkungsmanöver von Guido Schröter, dem zeichnenden St. Pauli-Fan

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PPS: Das mit dem "Akt der schieren Verzweiflung" formulierte ich, bevor ich vom Rücktritt des Trainers Veh erfuhr.