Kutte und gut.

Willkommen auf einem fußballromantischen Ausflug, heute getarnt als prophetisches Bulletin des 26. Spieltags.

Als Stuttgart-Fan neigt man in dieser Saison zur Nostalgie. Bereits ein einfacher Heimsieg wie an diesem Wochenende kann sowas auslösen. Man muss schon lange in der Erinnerung kramen, um raus zu bekommen, wann wir letzten Heim-Dreier einfuhren. Es muss damals gewesen sein, als es noch keine Ultras gab, und die Hardcore-Fans in der Wahl der Kleidung noch einig: Eine Kutte mußte es sein, damals als der VfB noch konkurrenzfähig war. Ich erinnere nur noch verschwommen meine erste Stadionbesuche. Aber so eine Kutte, eine mit vielen Aufnähern am besten, das war schon ein respektabler Auftritt. Und ich weiß noch, wie ich in der dichten Mercedesstraße aus dem Stadion ging, an der Hand des Vaters, und trotzdem fast stolperte am nächsten Randstein. Das zog die übliche Ermahnung des Erziehungsberechtigten nach sich, ich soll doch gefälligst aufpassen, wo ich hin laufe. Aber ich konnte ihm ja nicht sagen, dass es nur daran lag, dass ich noch nicht alle Aufnäher studiert hatte, die auf der Kutte zu entdecken waren, die vor mir lief. „Tod und Hass dem FCB“ - um die Feinheiten des Aufnähers genau zu studieren, dafür kann man einen Randsteinstolperer hinnehmen, finde ich. Sagen konnte ich deshalb nicht, schließlich musste ich ja aufpassen, dass sich die Kutte nicht rumdrehte. Und da ich es so genau nicht wissen wollte - nicht wissen wollte, welche Aufnäher vorne drauf sind, hab ich einfach still den kleinen Rüffel hingenommen. Ohne Hinweis auf jedes Kuttenstudium.

Prophet Frank Eppler hat mich in den letzten Wochen wieder dem Thema Kutten näher gebracht. Aus seiner wertvollen Foto-Schatulle hat der die beiden Aufnahmen herausgekramt, die ich gerne an dieser Stelle einfüge. Ohne Worte, oder?

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So heil war die Siebziger Jahre Fußballwelt gar nicht, und die Achtziger gleich zweimal nicht. In den Siebziger hatten wir Bundesligaskandal, in den Achtziger kamen links neben den Kutten die Hooligans dazu – und das ist nach wie vor eine Scheiss-Klientel, die niemand im Stadion sehen möchte. Trotzdem wirken die Kutten, die man heute im Stadion sieht, wie aus der Zeit gepurzelt. Und immer, wenn ich sie sehe, wird mir fußballromantisch, und ich denke, gute alte Zeit, als das Neckarstadion noch nicht überdacht, der Stehblock in der Cannstatter Kurve weit weg vom Geschehen und wenn wir Null zu Vier gegen den VfL Bochum verloren haben, dann hat's auch noch in Strömen gepisst. Ich weiß nicht, was daran toll gewesen sein soll, aber Fußball-Romantik ist ja auch nichts, was man logisch erklären könnte.

Kutten also. Ich habe gerade tief in meiner alten 11Freunde-Sammlung unten gegraben und tatsächlich: Da taucht es auf, das Heft#9, welches den Themenschwerpunkt Ultras vs. Kutten hatte. Die Subline: „Der Dauerstreit um die Macht in den Kurven“. So schrieb man 2001, als man noch zwei Fanlager genau trennen konnte. Der Dauerstreit ist inzwischen mehr oder weniger entschieden. Fast in jedem Stadion hält sich ein Haufen Altvordere. Man muss froh sein, wenn es nur Kutten sind. Oft sind die riesigen Aufnäher weniger harmlos, von der Ferne mutet alles irgendwie rechtsdumpf an. Aber das Problem haben die Ultras auch. Trotzdem haben die Ultras zahlenmäßig den „Dauerstreit“ schon lange für sich entschieden. Und Kutten, ich meine die schönen Jeans-Kutten mit Bömmeln, Girlanden und Krimskrams dran, sind seltener geworden. Aber natürlich gibt es sie noch, die Vollblut-Exemplare, die nicht nur mit Kutte glänzen, sondern mit allerlei Schals und Behang an Hals, Handgelenken und jeder Körperstelle, an der man etwas festmachen kann.

Der 11Freunde-Schwerpunkt portraitierte damals die Kutten aus Schalke, und stellte schon damals fest, das andere Kurven von Ultras dominiert werden, während man auf Schalke ganz traditionell geblieben war. Als ich vor Jahresfrist einst auf Schalke zu Gast war, hatte ich den Eindruck, dass auf der Arena immernoch die größte Kuttendichte der Republik herrscht. Das Schalke-Paradox. Das Stadion eine Turnhalle, kein Lüftchen geht, nirgends, alles modernst und komfortabelst, nur die Kutten haben überlebt. Vielleicht hat die fußballsterile Atmosphäre eine konservierende Wirkung. Übrigens: Die schönsten Kutten fand ich persönlich in Aue. Der Klub der Steiger aus dem Erzgebirge ist ja mit Schalke befanfreundet. Aus kuttem Grund!

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Wer noch ein wenig ausführlicher in der Nostalgie baden will, dem sei folgende wunderbare Site empfohlen. www.fanclubaufnäher.de Darin finden sich unter anderem sechs Aufnäher von Wormatia Worms und zehn Aufnäher von Bayern Hof. Wie geil ist das denn? Bevor sich die Propheten allerdings dem großen Nostalgiesturm aussetzen, möchte ich kurz den üblichen Blick auf die prophetische Tabelle riskieren.

Dort steht wieder Marvin Burmester ganz vorne. Er löste den Ur-Propheten Andreas Wilkens ab, der am letzten Spieltag noch ganz vorne stand, was ich nicht unerwähnt lassen will. Als neuen Zweiten freue ich mit dem Propheten Matthias Berzel. Für ihn freue ich mich besonders. Seine Saison ist nicht die Leichteste. Er hat einen Paderborner Stammbaum, ist aber schon lange in Stuttgart heimisch. Zwei Gründe zum Mitleiden. Aber auch Tabellenplatz zwei in unserem kleinen Wettbewerb. Doch ich könnte schreiben, was ich an jedem Spieltag schreibe, und weil es richtig ist, schreibe ich es auch: Alles dicht zusammen, da vorne. Auch diesmal Nur zwei Punkte zwischen Platz 1 und Platz 6. Nach Matthias Berzel reihen sich Timo Vetter, Andreas Wilkens, Rudolf Büchner und Georg Graß punktgleich mit dem Zweiten. Da geht noch was, nach meiner Überzeugung sind alle Chancen noch intakt, mindestens bis tief hinunter ins zweite Tableau, so vermute ich, haben alle noch plausibel Möglichkeiten die Erste-Propheten-Tasse auf den Schreibtisch zu stellen.

Und hier noch die Schmankerl:

- How to choose your Bundesliga Klub, vielen Dank fürs Weiterleiten an den Propehten René Lork, das hat schon drei Jahre auf dem Buckel, ist aber immernoch bemerkenswert

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Eine dringende prophetische Reisewarnung ergeht für Serbien

Wer länger Zeit hat, auch was Nostalgisches: der Leipziger Fußball aus Sicht der frühen 90er. Perle.

Und seit langer Zeit mal wieder was Gutes von Ben Redelings. Er erinnert an Saarbrücken unter Peter Neurerer. Wichtige Nostalgie. Lesenswert.