Mittelmaß.

Normalerweise regt man sich über falsche Pfiffe des Schiedsrichters auf. In Dortmund ist das anders. Angesichts vereinzelter Pfiffe der Zuschauer frage ich mich: Was darf man pfeifen? Und was ist eigentlich so schlecht an mittelmäßigen Leistungen?

Skandal in Dortmund. Die Mannschaft qualifiziert sich für das Achtelfinale der Championsleague. Dortmund ist nun unter den letzten Acht von Europa. Alles klangvolle Namen. Mit viel Tradition. Oder neureich. Oder beides. Und mittendrin der BVB. Nicht neureich. Mit ordentlicher Tradition. Und überwiegend gutem Spiel. Zugegeben, das 1:2 gegen St. Petersburg war nicht der Klopp’schen Weisheit letzter Schluß. Aber qualifiziert ist qualifiziert. Leverkusen und Schalke, die sich beide im Achtelfinale maximal blamiert haben, würden sich freuen. Und was machen die Zuschauer auf den Mittelklasse-Plätzen des Westfalen-Stadions? Sie benehmen sich entsprechend mittelklassig und pfeifen die Mannschaft aus. Natürlich waren es nur einzelne, aber sie waren zumindest so deutlich zu hören, dass sich Kevin Großkreutz, Sebastian Kehl und Jürgen Klopp mächtig ärgerten. Großkreutz lobte dabei die Ultras, deren Teil er ja wäre, wenn er nicht so gut kicken könnte, und auf dem Platz dringender gebraucht würde. Er lobt sie zu Recht, weil sie „immer bedingungslos hinter der Mannschaft stehen würden“. Gut gebrüllt, Kevin. Der gute Kloppo muss wohl einen dicken Hals aufgrund der Pfiffe gehabt haben. Zu allem Unglück trifft er einige Minuten später am ZDF-Tresen auf den mittelmäßigsten aller TV-Experten Olli Kahn. Da kann einem schon mal die Galle hochgehen. Erst die Zuschauer, dann noch Kahn. Harte Zeiten für Championsleaague-Viertelfinalisten.

„Ooooch, was für ein schlechtes Spiel denn?“, fragen die Zuschauer in Bremen, Hamburg, Stuttgart und Nürnberg, die schon seit Saisonbeginn unterdurchschnittliche Kost serviert bekommen, und sich über eine mittelmäßige Leistung ihrer Mannschaften euphorisch freuen würden. „Oooch, wie bitte, ihr seid in der zweiten Halbzeit ausgepfiffen worden?“, fragen sich die Spieler aus Bremen, Hamburg, Stuttgart und Nürnberg, die es inzwischen gewohnt sind, dass sie nach dem ersten Fehlpass in der dritten Minute spüren, wie die Stimmung auf den Rängen ins Negative kippt. Und tatsächlich ist es ein Skandal, wie sich die Dortmunder ins Achtelfinale gemurmelt haben. Aber so unterschiedlich sind die Gemütslagen: In Dortmund pfiffen den Mittelklasse-Zuschauer. Auf Schalke begannen die Fans schon beim Stande von 1:4 zu feiern, noch bevor sie von Real zwei weitere Euphoriebomben ins Netz gelegt bekamen.

Qualifiziertere Kritik kam von Christian Seifert, dem Chef der DFL, der anmahnte, dass nur zwei deutsche Vertreter unter den letzten 16 Mannschaften in den europäischen Wettbewerben wohl etwas dürftig wären – vor allem angesichts des teilweise enormen Etatvorsprungs der deutschen Vereine. So schnell kann’s also gehen. Kaum feierte die Fußball-Nation, dass alle vier Starter in der Championsleague die Gruppenphase überstanden, fliegen zwei davon mit Pauken und Kastagnetten aus dem Wettbewerb. Übrig bleiben aus der Liga nur die üblichen Verdächtigen, also eigentlich nur Dortmund, denn die Bayern spielen ja in einer eigenen Liga. Und schon sieht das Feld der deutschen Starter dürftig aus.

Vor allem die Euroleague-Bilanz liest sich arg gruselig. Man muss kein Dortmunder Mittelklasse-Zuschauer sein, um das mager zu finden. Tatsächlich ist auffällig, dass die Euroleague-Starter der Vorsaison oft eindrucksvoll abschmieren in der laufenden. Freiburg, Frankfurt und Stuttgart lautete die Startformation in diesem Jahr. Aktuell steht Freiburg auf 14, Stuttgart auf 15 und Frankfurt auf 12. Hört sich nicht nach Crème de la crème der Liga an. Und man kann jetzt nicht sagen, dass sie in der Liga so schlecht sind, weil sie in der Europaliga gespielt hätten. Bei Freiburg möglicherweise, aber ob sie gespielt haben, oder nur einen feinen europäischen Slapstick hingelegt hatten, das liegt im Auge des Betrachters. Stuttgart war hier noch konsequenter. Die sind gleich gegen unterirdisch kickende Kroaten in der Qualifikation rausgeflogen. Wo sie in der Liga gelandet wären, wenn sie auch noch die harten Gruppenspiele der Euro-League hätten absolvieren müssen, will ich als VfB-Fan überhaupt nicht wissen. Auch Frankfurt hatte jetzt nicht wirklich Aufgaben zu bewältigen, die enorm kräftezehrend waren. Aber gut, die Euroleague ist eben eine willkommene Ausrede für schlechte Ligaleistungen. Warum das so ist, das ist mir ein Rätsel. 99% aller aktiven Fußballer finden Spiel allemal besser als Training. Ein feiner Mittwoch-Samstag-Mittwoch-Samstag-Rhythmus sollte doch kein Problem sein, und wenn schon, die Kader sind alle nicht so winzig. Da sollte doch auch ein deutscher Verein mal einen Nachwuchsspieler einwechseln, der besser kicken kann als der Außerverteidiger des Tabellensechszehnten der tschechischen Liga.

Weil mir das alles irgendwie bekannt vorkam, habe ich mal in den letzten Spielzeiten nachgeschaut, wie das war mit den Vorgängern von Frankfurt, Freiburg und Stuttgart. Um die Antwort vorweg zu nehmen: Nicht ganz so krass, aber ähnlich. Letzte Saison waren mit Hannover und Stuttgart zwei Teams in der Euroleague, die in der folgenden Spielzeit nur schlechten Durchschnitt darstellten. In der Saison 11/12 flog Mainz in der ersten Euroleague-Qualifikationsrunde raus und wurde danach auch nur 13. in der Bundesliga. Auch die Überraschungsmannschaft der Vorsaison, Hannover, blieb mit dem 9. Platz in der Liga hinter den Erwartungen zurück. In der Spielzeit 10/11 waren es mal wieder die Stuttgarter, die sich aus unbekanntem Grund für die Euro-League qualifizierten, und danach mit Platz 12. in der Bundesliga arg mittelmäßig abschnitten. Eindrucksvoll schließlich auch die Saison 09/10 der Euroleague. Ich weiß noch genau, wie ich Mitleid mit der Hertha hatte, die im Jahr zuvor fast deutscher Meister geworden wäre, sich einige Monate später dann gegen Heerenveen und Ventspils maximal blamierte. Mein Resumee: Schlechte Euroleague-Leistungen haben hierzulande Tradition. Als DFL würde ich überlegen die Ränge 9 bis 11 in die Euro-League zu schicken. Dann könnten sich die Vorderen auf die Liga konzentrieren – und damit das tun, worauf sich die aktuellen Euroleague-Vertreter immer freuen. Während die DFL wenigstens sicher sein kann, dass sie mittelmäßige Vertreter ins europäische Rennen schickt. Und mittelmäßig ist - wie ich vorher festgestellt habe - immer noch besser als unterirdisch.

Überaus mittelmäßig war auch meine eigene Leistung, was Pflege der Tipp-Tabelle betrifft. Als ich am Sonntagabend die Ergebnisse in die prophetische Wahrheitsmaschine eingab, wollte das Teil den Treffer des VfB nicht schlucken. Vermutlich hatte sie nicht daran geglaubt, dass die Stuttgarter ein Spiel gewinnen können und schaltete auf Auto-Korrektur. Prophet Dada Fuchs hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass am Tabellenende etwas nicht stimmen würde. Ich erzähle das deshalb, weil sich durch das eine VfB-Tor die Tabelle an der Spitze entscheiden verändert hatte. Ohne VfB-Tor führte Prophet Oliver Schneider noch mit 4 Punkten Vorsprung, jetzt sieht es anders aus. So viel also zu allen Gerüchten, es würde sich um eine Plattform handeln, die nach ADAC-Manier die Tabellenplätze auswürfelt. Vielmehr neigt die Plattform dazu, ihren eigenen Initiator zu bescheissen. Ich muss da in Zukunft besser aufpassen. Was mich besonders freut: Prophet Dada Fuchs wurde für seine Geistesgegenwart vom prophetischen Schicksal belohnt. Der rote Prophet des Vorjahres hat sich um 21 Ränge verbessert und trinkt nun auf Platz 21 sein verdientes Bierchen.

Der ansonsten absolut erstklassige Oliver Schneider rangiert nun auf Platz 2. Es hat sich ja manches getan in der Bundesligatabelle, aber seine neun Volltreffer sind von den dortigen Verschiebungen unbeeindruckt stehen geblieben. Ich wunderte mich schon letztes Mal über die erstaunliche Anzahl, jetzt wundere ich mich noch mehr: Wie kann es denn sein, dass sich in der Bundesliga acht Platzierungen verändern, aber offenbar kein einzige Volltrefferplatzierung des Propheten Schneider? Nun, es gibt im Grunde nur eine Erklärung: Es muss sich um eine überaus belastbare Spitzen-Prophezeiung handeln. Andererseits erinnere mich an die messerscharfe Analyse des viertplatzierten Propheten Hans-Jürgen Bosch, der neulich die These wagte, dass die gutplatzierten Prophezeiungen mit wenigen Volltreffern eine stabilere Performance versprechen würden als die Prophezeiungen mit vielen Volltreffern. Da mag etwas wahres dran sein. Schließlich liegt es in der Natur des Volltreffers, dass man ihn nicht besser treffen kann. Während alle andere Prophezeiungen dem Volltreffer insofern perspektivisch überlegen sind, als dass sie sich noch zum Positiven entwickeln können. Ein veritabler Trost für alle volltreffer-armen Propheten! Ich hätte der brillanten Analyse gerne ohne Einschränkung zugestimmt. Aber Oliver Schneider scheint sie aktuell zu widerlegen. Er schafft es neun Volltreffer über einen gesamten Spieltag zu retten. Wenn er das bis Saisonende bebehält, dürfte gegen seine Prophezeiung kein Kraut gewachsen sein.

Was mich noch mehr wundert, bewegt sich auf Platz 11. Es ist Prophet Falko Kopp, der eine bisher unauffällige Rolle bei den Propheten spielte. Er ist aktuell der einzige, der in seinem Portrait eine klare Blickrichtung anzeigt. Er schaut deutlich nach oben - und endlich, jetzt, wenn es gilt, weil sich die Saison dem Ende entgegen neigt, jetzt meldet er mit seinem himmelwärts gerichteten Blick die entsprechenden Ansprüche an. Vor zwei Spieltagen war er noch in den Tiefen des Mittelfeldes versteckt, genauer auf Platz 51. Heute erscheint Prophet Kopp schon auf Platz 11 mit satten sieben Volltreffern. Und nachdem mit dem heutigen Spieltag erwiesen scheint, dass acht Volltreffer noch lange nicht das Ende der Fahnenstange bedeuten müssen, sind weitere Verbesserungen beim Propheten Kopp zu erwarten. In seinem Windschatten bleibt auch der Lienzinger Prophet Martin Funk. Was die Beiden verbindet, habe ich zwar nicht rausgefunden, aber ich stelle fest: Beide verbessern sich seit zwei Spieltagen urplötzlich. Martin Funk gewann in der Vorwoche 32 Plätze, jetzt nochmal fünf. Die beiden Senkrechtstarter kommen der Spitze inzwischen bedrohlich nahe. Shootingstar der Woche ist allerdings Michael Zirn auf Platz 26. Er klettert gleich um 31 Ränge. Was ihn mit dem anderen Aufsteigerpropheten Funk verbindet, das kann ich allerdings leicht sagen. Beide leuchten tief königsblau hinter den Augen. Sie haben vermutlich bei der Niederlage gegen Real die richtige Portion Ironie auf ihrer Seite gehabt. Sie haben gedanklich mit den feiernden Fans auf Schalke angestoßen und sind jetzt vom prophetischen Schicksal belohnt worden. Auch das kann den Bremer und Stuttgarter Fans unter den Propheten nicht passieren.