Quitten. Pyros. Attraktionen.

Das alljährliche Groundhopping führte uns zum "ewigen Derby" nach Belgrad. Darum mißbrauche ich das prophetische Bulletin des 32. Spieltaga zu einem Frontbericht auf dem Partizanstadion. Für die Bulletinverspätung zeichnet eine Quitte verantwortlich.

In den achtziger Jahren las ich gerne die Kolumnensammlungen von Max Goldt. In seinem ersten Band „Quitten für die Menschen zwischen Zittau und Emden“ lenkte er die Aufmerksamkeit auf ein Obst, das im rohen Zustand absolut unverzehrbar ist. Mit einem Umweg über Guave und Kürbis besingt er die Quitte hymnisch und beklagt sich, dass sie im allgemeinen Bewußtsein wenig verankert ist. Und tatsächlich: Würde man eine Umfrage machen, in der man Menschen auf der Straße alle Obstsorten aufzählen ließe, die Quitte würde einen der hinteren Plätze einnehmen. Dagegen setzt Goldt eine ausführliche Lobpreisung dieser großen, etwas schrumpeligen Obstsorte. „Das Aroma der Quitte ist einfach himmlisch, wenn nicht sphärisch, wenn nicht schönen Liedern aus besseren Zeiten gleichend, wenn nicht im Wert den Worten der Bibeln die Hände reichend“, so Goldt, und so geht das einige Absätze lang unter besonderer Berücksichtigung von Quittenmarmelade und Quittengelee. Fast dreißig Jahre nachdem Goldt diese Hymne veröffentlichte, bin ich am Wochenende über eine Unterlassungssünde im Zusammenhang mit seiner Quitten-Kolumne gestolpert. Bei Goldt scheint es nämlich so zu sein, dass man mit Quitten ausschließlich Süßes produzieren sollte. Eine andere kulinarische Verwendung kommt bei ihm nicht vor. Das ist grob fahrlässig. Ab sofort sollte kein Quittenartikel mehr geschrieben werden von einem Autor, der niemals Quittenschnaps probiert hat. Quittenschnaps ist mindestens so wundervoll wie das Quittengelee von der Oma von Max Goldt. Das ist nicht nur meine persönliche Meinung, sie wird bestätigt von den Propheten Kathmann und Frank, die am Wochenende die jährliche Groundhopping-Tour mit mir absolvierten. Wir waren in einem Land, in dem unter dem Fachbegriff "Dalia" ein Quittenschnaps ausgeschenkt wird, der zu wahren Euphorieausbrüchen Anlass gibt. Dabei ist es der Euphorie sicherlich förderlich, dass die Darbietung eines Schnapses in Serbien nicht unterhalb Eimern von 0,5 Zentilitern erfolgt. Sie werden gewöhnlich weit über den Messstrich gefüllt und in einer Selbstverständlichkeit hinter serbische Binden gekippt, die diejenigen unter den Propheten zufrieden stellen würde, die darauf achten, die empfohlenen drei Liter Flüssigkeit am Tag zu sich zu nehmen. Für die Verspätung, mit der ich das Bulletin in dieser Woche formuliere, mache ich ebenfalls die Eimer mit quittigem Inhalt verantwortlich. Um den Ausflug ins Kulinarische abzuschließen, möchte ich die herzhaften Balkanplatten, die scharfen, in Knoblauch eingelegten Peperoni, die wundervolle Fischplatte mit Donau-Zander und Donau-Wels sowie die abschließende Lammplatte ausdrücklich loben. Die Serben habe eine wundervolle Küche. Man sollte allerdings genau wissen, wo sie steht. Sie steht nicht dort, wo die üblichen Speisekarten den Touristen angeboten werden. Man sollte sich besser einheimischen Mafiosis anvertrauen. Sie kennen die versteckten Winkel mit den wundervollen Küchen. Ihr Rat hat sich auf unserer Groundhoppingtour bewährt.

So will ich das Bulletin missbrauchen, um unsere Erlebnisse kurz zu protokollieren. Natürlich schauten wir nach Möglichkeit auf die Bundesliga, aber im Wesentlichen waren wir auf Sightseeing eingestellt. Angespornt durch die Derby-Faszination, die wir im letzten Jahr in Griechenland erleben durften, suchten wir uns das vielleicht heißeste Derby Europas aus: Partizan Belgrad gegen Roter Stern. Es fand im Partizan-Stadion statt, welches etwa 35.000 Zuschauer fasst. Mehr als 10.000 Partizan-Fans (dabei ist Fan ein niedlicher Begriff für eine Mischung aus Ultras, Hools und serbischen Frontkämpfern) standen etwa 10.000 Roter-Stern-Kämpfern gegenüber. Die paar neutralen Sitzplätze auf den Geraden waren von scheinbar neutralen Besuchern besetzt, die eine menschliche Pufferzone zwischen den extremen Lagern bildeten. Nach unseren Piräus-Erfahrungen bewegte sich unsere Groundhopper-Delegation diesmal weitgehend fern von den Fans. Unser vorzüglicher Reiseführer hatte über seine Hotel-Connection Logenplätze organsiert. So konnten wir aus sicherer Entfernung das Geschehen in den Kurven und auf dem Platz verfolgen, und freuten uns über einen der wenigen Plätze, auf den man nicht befürchten musste, dass einem von hinten ein brennendes Bengalo in den Kragen gestopft wird.

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Schon die Anreise ans Partizan-Stadion ist ein Erlebnis. Für etwa 35.000 Zuschauer ist ein Sicherheitsapparat von etwa 15.000 Ordnungskräften notwendig. Auf dem Weg von der Innenstadt ins Stadion stehen Sicherheitskräfte, die bis an die Zähne bewaffnet sind an jedem Schaufenster oder jedem Kinderspielplatz, auf dem schwachsinnige Hooligans möglicherweise Unheil anrichten können. Die vollgepanzerten Uniformieren sind in Einheiten von mindestens drei Soldaten unterwegs. Je näher man ans Stadion kommt, um so dichter stehen die Sicherheitskräfte. Ein Gefühl der Sicherheit bekommt man trotzdem nicht. Allerdings vermute ich dringend, dass die hohe Präsenz keine Maßnahme zur Arbeitsauslastung des Zivilschutzes darstellt. Ich bin mir sicher, dass jeder einzelne Beamte bitter notwendig ist, um die Menschen zu disziplinieren. Böller, Rauch und Menschen, die dorthin springen, wo Böller und Rauch herkommen, gab es trotzdem zu sehen. Allerdings nahmen wir die Lage an diesen Brennpunkten nicht persönlich in Augenschein. Es erschien uns vielmehr ratsam, das Weite zu suchen – und zwar in entgegengesetzter Richtung. Geführt von unserem Guide erreichten wir sicher die Loge, von der wir ein großartiges Spiel verfolgen konnten.

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Das Derby stand am fünftletzten Spieltag der serbischen Meisterschaft auf dem Programm. Roter Stern führte mit 6 Punkten Abstand. Dahinter lag der Meister der letzten sechs Jahre, Partizan, stark unter Zugzwang. Partizan musste das Heimspiel gewinnen, und es ging auch gut los für die Schwarz-Weißen. In der zwanzigsten Minute schlug ein Freistoß im Kasten von Roter Stern ein, worauf ein Feuerwerk in der linken Kurve gezündet wurde. Doch die Versuche, sich auf der Führung auszuruhen, gingen schnell schief. Noch in der ersten Halbzeit verhängte der Schiedsrichter zwei Elfmeter gegen Partizan, beide erscheinen uns berechtigt. Und beide wurden vom Torhüter aus der Ecke gefischt. 1:0 Partizan zur Pause. Die Roter-Stern-Fans sangen in der Halbzeit: „Wir wollen nicht ein, wir wollen nicht zwei, wir wollen drei Elfmeter.“ Alles andere, was sie zwischendurch sangen, kann ich nicht wiedergeben. Unser Guide meinte nur, dass Serben einen üblen Wortschatz pflegen würden, und er würde selbst nicht alles verstehen. Ich hielt das für eine Schutzbehauptung unseres anständigen Sachverständigen. Aber sie genügte mir, um nicht nach weiteren Details von Dialekt und Bedeutung zu forschen.

Nach wenigen Minuten der zweiten Halbzeit konnte Roter Stern ausgleichen, und vieles deutete auf eine Derby-Unentschieden hin, auch eine starke Drangperiode von Partizan blieb aus. Gewiss hatten sie zum Schluss ein wenig Feldvorteile, aber keine zwingenden Möglichkeiten. Und einen Mittelstürmer, bei dem sich der Prophet Frank wunderte, wie ein so wenig talentierter Spieler in so einem wichtigen Derby mitspielen könne. Diese Nummer 9 war eine Mischung aus Günter Delzepich und Pavel Pogrebniak. Dabei hatte er die rüde Spielweise eines ehemaligen Metzgermeisters. Er senste über 90 Minuten alles sauber um, was ihm in den Weg kam. Nur in der 89. Minuten machte Nemanja Kojic eine Ausnahme. Da flog eine Flanke in Richtung Elfmeterpunkt, die nahm er als wundervollen Seitfallzieher und lochte souverän zum 2:1-Sieg von Partizan ein. Wo die tausenden Begalos herkamen, die zum Schluss von beiden Kurven ins Rennen gebracht wurden, bleibt rätselhaft. Wie man die Tonnen an Pyro-Material an den guten Kontrollen vorbei ins Stadion bringt, kann ich nicht erklären. Mehrere Rucksackladungen waren wohl vorrätig. Es war wohl die üppigste Pyroshow Europas. Das Stadion hätte man vom Planten Pluto aus leuchtend erkannt. Doch der Wind stand günstig, so dass auch die dickeste Begalophase keine Spielpause verursachte. Mag sein, dass darum niemand darüber nachdenkt, das Stadion zu überdachen.

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Der Sieg von Partizan spielte uns nur bedingt in die Karten. Unser Heimweg ging über die Seite von Roter Stern und wir befürchteten einiges für unseren Heimweg. Doch überraschenderweise blieb es lange ruhig. Allerdings gebe ich zu, dass ich trotz aller Ruhe eine furchtbare Militanz in der Luft spürte. Die Vermutung sollte nicht allzu falsch sein, dass wir uns mitten unter einen Heer von Frontkämpfer befanden. Gespickt mit einigen Kriegskindern. Schon im Stadion fiel mir auf, dass es fast keine Zuschauer gab, die sich via Schal, Trikot oder anderen Utensilien zu ihren Farben bekannten. Ich verstand schnell, warum. Denn was passiert, wenn man abseits seiner eigenen Gruppe auf dem Heimweg von einer Kompanie des Gegners aufgemischt wird? Unser Guide wies uns an, dass wir auf Nachfrage auf jeden Fall neutrale Zuschauer seien. Er organisierte vorsorglich einen Taxifahrer, der ihm persönlich bekannt ist mit dem Hinweis, ein unbekanntes Taxi sei beim Derby auf keinen Fall ratsam. Als wir den Taxistand suchten, sah ich mehrmals anonyme Rollkommandos mit muskelbepackten Kämpfern an der Spitze. Hinterdem Koloss marschierten in Zweierreihen angetreten, einige Gefolgsleute im breiten Windschatten. Der militärisch Drill war nicht zu übersehen. Die Gewaltbereitschaft drang durch alle Tätowierungen. Im Taxi angekommen simste Prophet Frank gleich eine überlebensbestätigende Nachricht an die Familie. Etwa eine Minute später passierten wir ein parkendes Auto, bei dem ein wilder Mob mit bloßen Fäusten die Scheibe einschlug.

Roter Stern ist die Mannschaft für ganz Serbien, man kann es mit Bayern München vergleichen. Partizan dagegen ist die Mannschaft, die vor allem in der Hauptstadt Belgrad unterstützt wird. Um im Vergleich zu bleiben: 60 München. Nur dass 60 München die letzten 6 Jahre Meister geworden ist in Serbien. Die Zustände im serbischen Fußball sind keinesfalls lustig. Neben dem Gewaltproblem gibt es ein Budgetproblem. Viele umliegende Ligen haben finanzkräftigere Teams. Ich sprach mit einem Experten, der nächste Woche seinen serbischen Freund besucht, der sich als Sponsor für ein Team der slowakischen Liga engagiert. Er sprach davon, dass diese Liga weit besser organisiert sei, weit attraktiver für die Spieler ist. In der Tat müssen Partizan und Roter Stern ihre Spieler regelmäßig durchwechseln. Der Dortmunder Jojic, Ex-Partinzan, ist der letzte Abgang. Ein vielversprechender Spieler, so der Experte, „sehr trainingsfleißig für serbischen Verhältnisse.“ Jede Liga, außer der albanischen, scheint attraktiver. Dafür ist die Halbwelt in voller Stärke vertreten. Der Experte, ein geborener Kroate übrigens, gab zu, dass er vor einigen Jahren Ergebnisse deutscher Liga mit 100%iger Sicherheit hätte voraussagen können. Er sprach von einem „Metzger“. Ich brauchte einige Augenblicke um zum allgemeinen Verständnis hinzuzufügen. „Du meinst Hoyzer, oder?“ Einen anderen Tipp, allerdings frei von 100%iger Sicherheit, möchte ich weitergeben: Die serbische Nationalmannschaft. Sehr gute Einzelspieler – und jetzt auch ein Trainer, dem von meinem Experten eine große Fachkenntnis attestiert wurde. Es könnte sich bei den Serben um Nation handeln, die was das Nationalteam betrifft vor der fußballerischen Wiederauferstehung steht. Übrigens trifft das auch auf die allgemeine Lage in Serbien zu. Viele Einheimischen, mit denen wir sprachen, bestätigten, dass sich in den letzten Monaten sichtbare Fortschritte ergeben hätten. Es scheint, als können die Folgen der jahrelangen Isolation überwunden werden. Dem nicht-militärischen Teil Serbiens möchte man die Daumen drücken.

Abschließend ein Blick auf die prophetische Tabelle. Ich suche zuerst nach den groundhoppenden Propheten Cyrus Kathmann und Kristian Frank. Allerdings muss ich zugeben, dass man schon bis aufs dritte Tableau klicken muss, um sie zu finden. Ich bin gespannt, ob die frisch geschlossenen Verbindungen zur serbokroatischen Mafia die Beiden in der nächsten Saison auf bessere Plätze emporbringen werden. An der Spitze zeigt sich ein unverändertes Bild. Der bulletinschreibende Prophet bleibt an der Spitze. Möglicherweise sind meine guten Verbindungen zum Programmierer doch werthaltiger als alle anderen Connections. Ich hoffe allerdings sehr, dass meine Tabellenführung die Plattform nicht langfristig in punkto Glaubwürdigkeit schädigt. Andererseits sollte ich nicht vor der Kurve lenken, wie man so schön sagt. Es sind noch zwei Spieltage zu absolvieren – und vor allem bei den Mannschaften, die gerade den Nichtabstieg feiern konnten, lädt noch manche Punktgleichheit ein, eine veritable Verschiebung in der Prophetenliga zu verursachen. Es bleibt spannend. In Serbien und in der prophetischen Liga.

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