Russisches Roulette

Nach dem bewaffneten Showdown bei PAOK Thessaloniki gehen in der griechischen Super League die Lichter aus. Der Investoren-Fußball in Griechenland leistet seinen Offenbarungseid.

Die Griechen haben in ihrer viele Jahrtausende alten Geschichte schon allerhand erlebt. Und das meiste von dem, was wir heute in Europa als kulturelle Errungenschaften betrachten, haben wir nur den Griechen zu verdanken. Fußball gehört bewiesenermaßen nicht dazu. Wer nicht gerade griechische Wurzeln hat oder verwandschaftliche Beziehungen auf dem Peleponnes unterhält, kann vermutlich höchstens drei der sechzehn Vereine der griechischen Super League benennen. Einer der drei bei uns halbwegs bekannten Vereine ist PAOK Thessaloniki auch kurz Saloniki genannt. Hinzu kommen noch AEK und Panathinaikos Athen. Und PAOK ist vermutlich der einzige Verein im Uefa-Land, bei dem das Auswärtige Amt in Berlin mit einer Reisewarnung reagiert, wenn er einem Bundesligisten im internationalen Wettbewerb zugelost wird.

Zu Recht. Im Touba-Stadion fliegen einem bei jedem Spiel allerhand Pyro-Geschosse und anderes um die Ohren. Die dazugehörigen Youtube-Videos lassen die Pyro-Fraktion der hiesigen Ultras vermutlich sehnsuchtsvoll staunen. Ist aber gefährlich dort. Selbst der Club-Präsident Savvidis weiß das. Er geht schließlich nur bewaffnet ins Stadion wie wir seit dem letzten Wochenende wissen. Mit einer Hand an der Pistole im Gürtelholster, stürmte er beim Spitzenspiel gegen AEK Athen kurz vor Schluss auf dem Platz, um mit dem Schiedsrichter Tacheles zu reden. Was war passiert? Der Schiri hatte kurz zuvor ein Tor für PAOK wegen einer Abseitsstellung nicht gegeben. Und da man mit Revolverhelden besser keine Diskussionen anfängt, brach er das Spiel kurzerhand ab und flüchtete mit seinen Linienrichtern in die Katakomben des Stadions.

Was man sich schlimmer kaum vorstellen kann, wurde dann noch dadurch getoppt, dass der Schiedsrichter zwei Stunden später seine Entscheidung zurücknahm und Saloniki das Tor doch noch zuerkannte. Danach sollten die Mannschaften für die restliche Nachspielzeit wieder auf den Platz, was AEK Athen verständlicherweise ablehnte. Das Spiel wurde daraufhin für PAOK gewertet, weil ja schließlich die Athener sich geweigert hatten weiterzuspielen (angesichts der Bedrohung durch Schusswaffen). Man möchte ja gar nicht wissen, mit welchen Folterinstrumenten den Schiedsrichtern in den PAOK-Katakomben gedroht wurde, ihre Abseitsentscheidung gefälligst nochmals zu überdenken. Der Hades lässt grüßen. Was jedoch wissenswert wäre ist, ob überhaupt und, wenn ja, welche Regeln beim griechischen Fußballverband für den Spielbetrieb in der höchsten Liga gelten. Ein zwei Pyro-Aktionen in einem Bundesliga-Spiel schlagen für den gastgebenden Club gleich mit ein paar Tausend Euro Geldstrafe zu Buche und das Betreten des Stadions mit einem Taschenmesser gilt fast als Kapitalverbrechen.

Zumindest in Saloniki sieht man offensichtlich solche Sicherheitsvorkehrungen als Korinthenkackerei und man schaut nicht so genau hin. So wie beim Heimspiel zwei Wochen zuvor gegen Olympiakos Piräus. Dort brachte ein PAOK-Fan eine Registrierkassenrolle mit ins Stadion. Die warf er vor dem Anpfiff dem Olympiakos-Trainer an den Kopf, sodass der blutend in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste. Was ja einer gewissen Komik nicht entbehrt. War es doch Wolfgang Schäubles Forderung zur Abwendung des griechischen Staatsbankrotts, die Griechen sollten im Handel endlich mal anständige Registrierkassen verpflichtend einführen, um das Schwarzgeldproblem zugunsten höherer Steuereinnahmen endlich in den Griff zu kriegen. Wäre das Opfer ein deutscher Trainer gewesen, hätte man das ja vielleicht noch als politischen Protest durchgehen lassen. Aber so? Pure Aggression.

Erst wenn man ein bisschen hinter die Kulissen des griechischen Fußballs schaut, bei PAOK Saloniki insbesondere, offenbaren sich Strukturen, die zumindest ansatzweise erklären, was am letzten Wochenende in Saloniki geschah. Fangen wir mal mit dem Makedonier-Problem an. Thessaloniki ist Hauptstadt der Region Makedonien und die zweitgrößte Stadt Griechenlands. Zugleich ist sie Zentrum des ehemaligen makedonischen Gebietes, das den heutigen Staat Mazedonien beinhaltete und sich bis ins heutige Albanien, Serbien und Bulgarien erstreckte. Die Hellenen, also die Griechen der Antike, haben Makedonien, die Heimat Alexander des Großen, immer als Land der Barbaren gesehen. Einige Weltreiche und viele Kriege später besann man sich in neonationalistischer Laune im 19. Jahrhundert im Norden wieder auf die makedonische Volkstradition. In Griechenland wirkt sich das bis heute in einem Konflikt aus, den die benachteiligten armen "Makedonier" im Norden gegen die sie übervorteilenden, reichen "Hellenen" ausfechten.

Das erklärt zumindest die innige Feindschaft der PAOK-Fans zu den Ligakonkurrenten aus dem Großraum Athen. Drohkulisse mit Pyrodampf und Donnerknall inklusive. Eine weitere innige Feindschaft verbindet PAOK Saloniki übrigens mit dem FC Schalke 04, die zwar etwas anders gelagert ist aber auch auf das Nationalstaatskonstrukt der Makedonier zurückzuführen ist. Die griechischen Makedonier sehen auch die nördlich gelegenen Regionen des ursprünglichen Makedoniens als zu Griechenland zugehörig. Das drückte sich in der vehementen Ablehnung Griechenlands aus, als der neue Staat Mazedonien sich mit seiner Hauptstadt Skopje aus dem jugoslawischen Völkergebilde Anfang der Neunzigerjahre herauslöste. Für die makedonischen Griechen auf den Tribünen bei PAOK Saloniki exisitiert weder dieser Staat noch die dazugehörige mazedonische Flagge. Dass sie es damit ernst meinen, zeigte sich 2013 drastisch in einem Play-Off-Spiel der Champions League beim FC Schalke 04. Die Saloniki-Fans drohten unmissverständlich damit, das Stadion in Schutt und Asche zu legen, falls nicht eine etwa Handtuch-große mazedonische Flagge in der Nordkurve vor Anpfiff verschwinde.

Die Schalke-Fans dachten überhaupt nicht daran, diese Fahne befreundeter Fans des mazedonischen Clubs Vardar Skopje freiwillig herauszurücken. Erst nachdem die Staatsmacht als Hundertschaft mit Pfefferspray und Knüppeln in die Kurve eingerückt waren, gelang es die Fahne um des Friedens willens einzuholen. 89 Verletzte später konnte das Spiel dann endlich beginnen. Es ging übrigens 1-1 aus und Schalke konnte sich erst mit einem 3-2 Sieg iim Rückspiel in Saloniki durchsetzen. Das diese Auswärtsfahrt nach dem Sieg für die Schalke-Fans keine Vergnügungsreise war, kann sich jeder vorstellen. Augenzeugen berichten, dass man dort auf ziemlich viel PAOK-Fans mit zeimlich dicken Eiern traf. Und als im Februar 2017 Schalke in der Euro-League erneut in Saloniki zu Gast war, machten die griechischen Gate-4-Ultras den Schalkern abermals das Leben schwer, flankiert durch allerlei Schikanen der Vereinsführung. So wurde etwa allen Schalke-Fans mit mazedonischem Ausweis der Zugang zum Stadion verwehrt. Das Spiel gewann Schalke souverän mit 3-0, ohne dass der PAOK-Präsident Savvidis mit Waffengewalt eingegriffen hätte.

Mit dem Pistolenmann Savvidis schließt sich der Kreis, mit dem sich die Eskalation beim Spiel am Wochenende gegen AEK Athen rundum erklären lässt. Ivan Savvidis ist zwar auch griechischer Staatsbürger, spricht aber so gut wie kein Griechisch. Er ist nämlich in der ehemaligen Sowjetunion in Georgien lediglich als Nachkomme griechischer Vorfahren geboren. In Rostow am Don absolvierte er sein Studium und machte schnell Karriere in einem staatseigenen Tabakkonzern. Nachdem er dort zum Direktor aufgestiegen war, gelang es ihm im Zuge der Privatisierung beim sogenannten Management-buy-out Anfang der Neunziger die Mehrheit an dem Tabakkonzern zu übernehmen. Dass Savvidis, wie alle anderen russischen Oligarchen auch, nur mit dem Instrument der Korruption an sein märchenhaftes Vermögen gelangte, muss nicht näher beleuchtet werden. 2013 wurde er in der Forbes-Liste als einer der 30 reichsten Russen geführt. Ein Jahr zuvor hatte Savvidis den Verein PAOK Saloniki übernommen. Nebenbei investierte er in der lokalen Industrie. Er kaufte in Thessaloniki ein Luxushotel, Anteile am Hafen, einen Fernsehsender und vieles mehr. Dass war seit der Beginn der griechischen Staatskrise nach 2008 nicht unbedingt kostspielig für ihn. Schon gar nicht, wenn man sich dazu ansieht, welche Rolle Ministerpräsident Alexis Tsipras und die Partei Syriza dabei spielten.

Ivan Savvidis hatte den griechischen Tabakkonzern SEKAP günstig erworben, weil das Management eine hohe Strafzahlung von 19 Millionen Euro drückte, die gegen das Unternehmen zuvor wegen Zigarettenschmuggel verhängt worden war. Die Strafe ignorierte Savvidis geflissentlich, bis die Forderung auf über 35 Millionen Euro angewachsen war. Als er dann vor gar nicht langer Zeit damit drohte, das Unternehmen in Xanthi einfach zu schließen, erließen Tsipras und seine Partei Syriza schnell ein Amnestiegesetz, das Neubesitzer von derlei gegen die Alteigentümer verhängte Bußgelder befreite. Savvidis wirtschaftliche Macht im Nordosten Griechenlands reichte offensichtlich als Druckmittel aus, einen Schiedsrichter in einem Spitzenspiel der Liga zu beeinflussen und ebenso dazu, den überzeugten Sozialisten Tsipras zu einem Pakt mit dem Teufel zu verleiten.

Am Montag hatte Tsipras dann offensichtlich die Nase voll. Die Super League wird bis auf weiteres komplett ausgesetzt und der PAOK-Präsident Savvidis wird per Haftbefehl gesucht. Spardiktat und Korruption hin oder her, was zu viel ist, ist zuviel. Es ist sehr fraglich, ob sich der griechische Fußball davon je wieder erholen wird. Die offene Kampfansage an einen einflussreichen, russischen Oligarchen ist angsichts der wirtschaftlichen Lage in Griechenland etwas gewagt. Wir sollten den Griechen dabei Rückendeckung geben. Also: Trinkt mehr Ouzo!