Singe, wem Ball gegeben?

Im dritten und erfreulicherweise letzten Teil meiner kleinen Bulletin-Serie „Sport und Musik“ richte ich mein Ohr in den Süden. Empfindsame Leser sollten die ersten Absätze überspringen. Erst dort, wo Winterthur erwähnt wird, erreicht das Niveau wieder Werte über Null.

Hätte es vor 250 Jahren den Grand Prix Eurovision geben, wären 12 Punkte in Serie ans Mozart-Land gegangen. Diese Qualitäten haben sich die Rot-Weiß-Roten bis heute erhalten. Von Ambros über Naked Lunch bis zu den Sofa Surfers: Öschis beweisen in zahlreichen Genres, wie sie den Ton wohltuend zum Klingen bringen können. Allerdings verkehrt sich das Österreichische Talent ins Gegenteil, wenn sich Fußballschaffende ins Tonstudio trauen. Obwohl das Land rigide Sittenwächter kennt, steht keiner an der Studiotür, um Toni Polster den Einlass zu verbieten. Vermutlich nahm die Misere in Köln ihren Anfang. Die fabulösen Thekenschlampen hatten ihr „Toni, lass es polstern“einigermaßen „trashig“ gestaltet. Gewiß: Der 1.FC hatte ihm danach mit Geldstrafe und Abmahnung gedroht, aber Polster ließ sich weder von juristischen noch von musikalischen Kleinigkeiten beirren und machte unbekümmert weiter. Auch seine Audienz beim Kaiser konnte sich noch sehen lassen. Was allerdings seine eigene, schlampenfreie CD-Produktion betrifft, kann ich nur sagen, dass ich im ganzen Netz keinen wirklich vollständigen Titel gefunden habe. "12 Meistertitel" lautete einer seiner Veröffentlichungen. So meisterlich können sie nicht gewesen sein. Im Netz wird ja jeder Mist dokumentiert. Von Polsters Sangeskünsten finde ich fast nur 30-Sekunden-Ausschnitte. Vermutlich weil es das ansonsten trashfreudige Netz nicht länger als 30 Sekunden ertragen konnte. Wenigstens hat Polster nicht den Anspruch erhoben, die Welt damit zu verbessern.

Dass es noch viel schlimmer geht, das beweist ein anderer Österreicher, sorry, Halb-Österreicher. Frenkie Schinkels. Schinkels, geborener Holländer, kam als Spieler, kickte jahrelang für die Austria und nahm auch die Staatsbürgerschaft an. Hätte man damals schon gewusst, dass er singen würde, man hätte ihn wahrscheinlich sofort zurück geschickt. Möglicherweise an den Internationalen Gerichtshof nach Den Haag, dort wo viele Verbrechen an der Menschlichkeit behandelt werden.

Wer allerdings gedacht hätte, dass sich ein Österreicher damit ein für alle Mal für höhere Ämter disqualifiziert hat, der täuscht sich gewaltig. Im Gegenteil. Kürzlich beschloss der SKN St. Pölten sein Grau-Maus-Image im Mittelfeld der Zweiten Liga abzustreifen. Er verpflichtete Frenkie Schinkels als neuen Sportchef. Dabei störte es den Verein nicht, dass Schinkels beim ersten Heimspiel nicht dabei sein konnte, weil er als Championsleague-Experte bei Puls4 verpflichtet war. Auch seine diversenen Kolumnisten-Jobs störten die ehemalige graue Maus nicht. Schon gar nicht stiess sich der Verein an der bekannten Schinkels-Nähe zu den Freiheitlichen, also dieser obskuren ehemaligen Haider-Partei, von der wir Deutschen froh sind, dass der Kärtner Shitstorm nicht über zu uns rüber schwappt.

In der Tat dürfen wir uns hierzulande glücklich schätzen, dass unsere besten Fußball-Talente weder zum Politisieren noch zum Singen neigen. Wir haben sie anderweitig entsorgt. Olaf Thon beim Frühstücksfernsehen, Mario Basler im sport1-Fantalk und Lothar Matthäus am „Expertentisch“ des sky Top-Spieles der Woche. Gewiss könnten alle drei die Schinkelschen Darbietungen übertreffen. Doch zum Glück findet sich in ganz Deutschland kein Produzent, der eine solche akustische Umweltverschmutzung verantworten mag.

Niveauwechsel. Am Montag war ich in Winterthur zu Gast. Ich sah ein überaus feines Zweitliga-Derby zwischen dem FCW und dem FC Schaffhausen. Um die Stimmung einzuordnen, schreibe ich mal den Satz, den man dort gar nicht gerne hört: Winterthur gilt als das schweizerische St. Pauli. Ich will aber gleichzeitig anfügen, dass die Atmosphäre auf der Schützenwiese etwa dem St. Pauli von vor 20 Jahren entspricht. Keinesfalls schlechter. Ich verfolgte das Spiel von einem provisorischen Tribünenaufbau aus mehreren Euro-Paletten, die oberhalb der Stehkurve angebracht wurde. Die Stehkurve ist in der ganzen Schweiz bekannt: Sie trägt den Namen „Bierkurve“ – und das ist kein Marketing-Gag. Absoluten Fußballromantikern, denen das Freibeuter-Image am Millerntor bereits als zu aufgesetzt erscheint, sei der FC Winti ans Herz gelegt. Eine überschaubarer Verein mit überschaubarer Szene, aber unendlich viel Herz für den Fußball und unkonventionellen Ideen. Hinter der Bierkurve präsentiert eine kleine Galerie subversive Fußball-Kunst, genannt Salon Erika – und das schon seit mehr als 10 Jahren.

Dort, hinter der Bierkurve, erlebte ich vor zwei Jahren die bisher beste Verbindung von Sport und Musik: ein Halbzeit-Life-Konzert der Sharecroppers. American Roots sind nicht unbedingt meine bevorzugte Stilrichtung, aber ich gebe zu, so improvisiert und überraschend, waren die Croppers mit ihrer wilden Mischung genau das, was eine Halbzeitpause in Winterthur braucht. Es wäre am Montag das Tüpfelchen auf dem i gewesen, aber die Croppers waren offensichtlich verhindert. Dafür sah ich ein 3:2-Sieg der Wintis. Allein der Sieg-Treffer zum Endstand war definitiv das Eintrittsgeld wert. Ausschnitte aus dem wunderbaren Match findet man hier. Für alle, die genau hinsehen: Beim Jubel nach dem 2:2 in der Bierkurve - genau neben der Bullaugentür - steht ein ungläubiger Zuschauer aus Deutschland.

Zu Wichtigerem: Zwei Fans der TSG Hoffenheim unter den ersten Drei in der Propheten-Tabelle. Das hätte man in dieser Konsequenz sicherlich vor der Saison nicht erwartet. Aber es entspricht den Tatsachen. Hoffenheim ist aktuell Bundesligavierter und da sehen diejeningen gut aus, die das Kraichgau in vordere Regionen getippt haben. Wolfgang Ehret hat das getan, er landet mit seiner TSG-Prophezeitung in Moment auf dem Punkt. Auch Frank Müske hat seine Kraichgau-Brasilianer auf einem vorderen Platz sortiert, nämlich dem Sechsten. Seine Belohnung: Tabellendritter nach der Hälfte der Vorrunde.

Auf Platz 1 allerdings freue ich mich über eine faustdicke Überraschung. Wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, lieber Rudolf Büchner: Damit war nach dem achten Spieltag auf keinen Fall zu rechnen. Der Glubb auf Platz 1. In persona Rudolf Büchner, meinem geschätzten Texter-Kollegen . Manch fränkische Lebensweisheit habe ich von ihm gelernt („Der Glubb is a Depp“). Prophet Büchner verbessert sich um 20 Plätze und erobert sich erstmals in seiner prophetischen Karriere den ersten Platz. Rudolf, das sollte dich doch zum neuen Trainer qualifizieren, oder? Nach dem 0:3 in Darmstadt geht garantiert wieder die Diskussion um Valerien Ismael los. Da ist ein Screeshot der aktuellen, absolut unbestechlichen Propheten-Tabelle eine Referenz, an der die Club-Verantwortlichen nicht vorbei können. Der Klub hat in seiner Geschichte schon manche, etwas fachfremde Koryphäen auf seine Trainerbank beordert. Ich meine: Du bist damit ein heißer Kandidat auf den Schleudersitz beim Klub. Und bitte stimme mir zu: Wir Werbetexter können doch alles! Natürlich alles außer Musik, das überlassen wir denen, die es besser können.

PS. Und hier noch die Ergebnisse aus der zweiten Liga Italiens.