So sehen Sieger aus

Siegerehrung für den prophetischen Zweitligameister der Saison 16/17: Herzlichen Glückwunsch, Manfred Merz. Ihm zur Ehre das Protokoll unser prunkvollen Tresensitzung im Herzen Stuttgarts.
Manche Propheten mögen schon an der typischen Unschärfte des Portraitbilds erkennen, in welcher feinen Spelunke es aufgenommen wurde. Kein Photoshop-Filter kann eine derart melancholische Trübung erzeugen wie sie gefühlte anderthalb Millionen blaue Gauloises hinbekommen. Etwa so viele wurden in den letzten Jahrzehnten im kleinen Raum des La Concha bei lediglich sporadischer Lüftung gepafft. Ich sitze mit Manfred Merz, dem großartigen Zweitligameister der Saison 16/17 am Tresen des Stuttgarter La Concha, also am Rande dessen, was man in Stuttgart ein Rotlichtviertel nennt. Wir nehmen die beiden Steinkrüge zur Hand, stoßen auf Manfreds sensationelle 108 Punkte an und fachsimpeln, was das Zeug hält. Schließlich sind Propheten unter sich. So viel Expertise war selten - und es grenzt an prophetische Geringschätzung, dass unsere Erkenntnisse von den anderen Gästen achtlos ignoriert werden.
Doch wir sind nicht die Einzigen, die im Inneren des Concha klug daher reden. Hier bekommt jeder Recht, so irgendwie. Schon aus gastronomischem Interesse. Darum ist die Bar am Wilhelmsplatz ein so angenehmer Weichzeichner des Lebens.Wer die Räume betritt, steigt zuerst einige Stufen hinunter. Dort unten verströmt die Kneipe ihren lässig-morbiden Charme - im Winter sogar intensiver, dann stört die aufdringliche Sonne des Wilhelmsplatzes nicht mehr. Volle Konzentration auf die tiefgründigen Gedanken, die man mit Vorliebe auf dem Boden des leeres Kruges entdeckt. Es gab Jahre, da war die Bar unser Wohnzimmer. Die Zeiten sind vorbei. Auch weil Manfred längst Nichtraucher ist - und ich auch, allerdings erst seit kurzem. Wir beide dürfen unser Kneipenhäs danach im Intensivprogramm waschen. Das La Concha bekommst Du kaum aus den Kleidern. Manche ihr ganzes Leben nicht.
Wie immer in der engen Kneipe lernen wir auch an diesem Abend neue Menschen kennen. Ein Gast am Tresen stellt sich als Fan von Werder Bremen vor. Gutes Entree möchte man meinen. Manfred hatte vermutet, ich würde ihn bereits kennen. Ich hatte vermutet, Manfred würde ihn kennen. Wir täuschten uns beide. Unser neuer Nebensitzer trägt eine markante Halskette aus grünen Steinen, wie sie in den Achtzigern en vogue war, meistens unter Menschen, die der absoluten Erkenntnis nahe standen. Oder so taten, weil sie jemanden rumkriegen wollten. Tatsächlich ist der auffällige Schmuck beim unserem Gast der Ausdruck eines Charakters, der ungefähr das Gegenteil von schüchtern darstellt. Unser neuer Tresenkumpel ist kein schneller Redner, jedoch einer mit enormen Nachdruck. Pro Satz benötigt er ungefähr eine halbe Minute. Die dabei entstehenden Pausen zwischen den Worten füllt er mit großer Geste, manischen Augen und dem Anschein, dass der nächste Gedanke, den er formuliert, eine Revolution auslösen könnte. Doch der Schein trügt, jedesmal wenn er aufscheint. Irgendwo in den Pausen des nächsten Halbminutensatz versandet jeder Zusammenhang. Die Revolution bleibt stecken - irgendwo zwischen Großhirn und Zunge. Nach einigen Minuten haben wir das Prinzip begriffen. Liegt's am Bier - oder ist der immer so? Ich frage nicht. Wir wollen ja nicht unhöflich sein, aber.... unsere Krüge sind sowieso leer. Einigermaßen entschlossen verlassen wir den Tresen. Als wir der feinen Spelunke den Rücken kehren, stellt Rüdiger, der Barkeeper, resignierend fest: "Au Mann, der Typ labert mir die Kneipe leer. Ganz alleine."
Zwei Türen weiter betreten wir den Murrhardter Hof. Ebenfalls eine Stuttgarter Institution. Der türkischstämmige Wirt serviert seit Jahrzehnten beste schwäbische Gerichte. Wir können ungestört genießen. Burhan kocht herzallerleckerst. Zwischen Fleischküchle und Nierle habe ich mehrfach die Gelegenheit, Manfred hochleben zu lassen, zumal uns der Kellner freundlicherweise einen nachhaltigen Raki zur Verdauung aufdrängt. Und noch einen. Wer gerade einen Klaren zur Hand hat, der möge diesen wundervollen Abend mit uns beschliessen. Und zwar auf der Stelle. Also bitte: Hoch das kleine Gläschen mit dem klaren Flüssigkeit! Wir stoßen an auf den wundervollen ersten Zweitligapropheten der Saison 16/17. Lieber Manfred Merz: Im Namen der versammelten prophetischen Gemeinde sage ich herzlichen Glückwunsch. Respekt und Anerkennung für Deine phantastische Leistung. Und von mir ganz persönlich: Vielen Dank für den feinen Kneipenbummel.