Überhitzt.

Ein Loblied der Innovation. Und wer hat's erfunden? Ein Schweizer. Jetzt gewürdigt im prophetischen Bulletin des 15. Spieltags.

Alles verändert sich. Nur der Fußball nicht. Womöglich besteht darin sein Geheimnis. Eine Spielform, die bereits so perfekt ist, dass man nichts mehr ändern muss. Und trotzdem konnte sich der Fußball immer wieder neu erfinden, immer wieder neue Überraschungen hervorbringen. Aber stets im Rahmen der Regeln, die im Wesentlichen seit 1925 unverändert bestehen. Zugegeben, vor rund zwanzig Jahren hatte man den Torhütern verboten, den Rückpass eines Feldspielers aufzunehmen. Tatsächlich ließ man sich damals zu einer kleinen Regeländerung hinreißen. Aber das war’s schon mit den Veränderungen.

Umso erstaunlicher ist es, wenn die Akteure auf dem Rasen neue Tricks und Finessen zelebrieren. In den letzten zwanzig Jahren geschah dies vor allem auf dem weiten Feld der Taktik. Tikataka zum Beispiel – auch wenn viele Experten das katalanische Kurzpassspiel für eine Wiedergeburt des Schalker Kreisels halten. Revolutionär zelebriert war es trotzdem. Oder Rory Delap, auch so ein Revolutionär. Er spielte am anderen Ende der spieltaktikschen Skala, also gegenüber von Barcelona, dort wo Stoke on Trent liegt. Stoke City ist ja seit Menschengedenken als Kickandrushandgrätschtruppe verschriien. Und Rory Delap erweiterte deren Möglichkeiten beträchtlich, als er die Einwurfflanke kreiierte, aus der Stoke nicht wenige in einen Treffer verwandelte.

Jetzt hat wieder einer einen Trick gefunden, auf den fast 150 Jahre keiner gekommen ist. „Wenn wir schon nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt“, hatte einst Rolli Rüssmann gesagt. Dieser Spruch ist seit Samstag Matsch von gestern. 150 Jahre hat es gedauert, bis Marvin Hitz das bisher Ungedachte zelebrierte - und ich gebe zu, ich habe gedacht, der Typ hat einen kompletten Vogel. Mit halbem Auge schaute ich am Samstagnachmittag die sky-Konfernenz. Irgendwann schreit einer „Elfmeter in Köln“ – da schaut man schon mal hin. „Der ist ja völlig überhitzt“, dachte ich, als die Augsburger das rituelle Elfmeterdiskutieren mit dem Schiri aufführten. Gleich hinter der Spielertraube stand Marvin Hitz und übte dreifachen Rittberger. Merkwürdige Drehungen führte er auf. Scheinbar sinnlos, der Welt entrückt. Wollte er sich fürs John-Cranko-Ballett bewerben? „Als Torhüter musst du doch schon verrückt sein“, dachte ich. Und war baff, als sich Antony Modeste fast auf den Hosenboden setzte, beim Elfmeter.

Dass dieses Elfmeterpunktkaputttreten nicht einreißen sollte, darüber müssen wir unter Platzwarten nicht lange reden. Aber dass Marvin Hitz nach 150 Jahren Fußball unter Zuhilfenahme moderner Rollrasentechnologie einen neuen innovativen Trick erfunden hat – das ist mehr als eine Randnotiz. Hier meine vorläufige Liste der großen Revolutionäre:

- Hochsprung: Fosbury-Flop

- Skispringen: Bokloev V-Technik

- Reck-Turnen: Gienger-Salto

- Handball: Kempa-Trick

- Elfmetertöten: Hitz-Matsch

- Propheten-Liga: Graeff-Führung

Max Christiann Graeff steht tatsächlich mit weitem Abstand an der Spitze unserer kleinen Tipp-Gemeinschaft mit dem wahnsinnigen Vorhersehungsanspruch. Und wieder ist der Abstand enorm! Martin Krieg vermag noch an seinem Rockzipfel zu schnuppern. Aber reichhaltige Duftnoten wird er nicht vernehmen. Zu weit entrückt scheint die Position des Propheten Graeff. Danach folgt eine Fünfergruppe aus wirklich erlesenen, teilweise überaus routinierten Propheten. Matthias Ahrens, der Fischwirt aus Bremen-Schwachhausen führt die Fünfergruppe an. In sein Restaurant Grätenfish wollte ich schon lange mal. Das Einzige, was mich bisher zurückgehalten hat, waren die mehr als sechshundert Kilometer Wegstrecke, die ich für dieses Mahl hätte zurücklegen müssen. Aber der nächste Wirt folgt ja bereits auf Platz 4. Wolfgang Kupfi Rath, der Wirt aus Leonberg folgt auf den Bremer Fisch-Experten. Andreas Braun lobte ich an dieser Stelle schon mehrere Male. Er ist sowas wie der Stammgast im Verfolgerfeld. Dort, wo sich auch Christian Reck eingenistet hat. Ich sehe ihn mit einem Kristallweizen am Tresen der Wirte in unserer Verfolgergruppe. Schließlich komplettiert den Verfolgerstammtisch der Schweizer Prophet Jan Zablonier. Der Kurator des Salon Erika und wundervolle Illustrator Zablonier hatte aus der Entfernung einen wirklich guten Riecher. Ich freu mich schon auf den Februar nächsten Jahres. Dann bin ich bei Prophet Zablonier wieder zu Gast. Und wer sehen will, warum ich mich da so sehr darauf freue, dem empfehle ich den Internet-Auftritt des Salon Erika, der einzigen Kunstgalerie der Welt, die direkt hinter einem Stehblock ihre Gäste empfängt. Jaja, die Schweizer, kommen eben immer wieder auf verrückte Ideen.