Unter Ostgroten

Wiederauferstehung in Uerdingen? Die unendliche Geschichte der Grotenburg schreibt gerade zahlreiche spannende Kapitel. Der ungewisse Zwischenstand im prophetischen Bulletin des 7. Spieltags der Regionalliga West.

Konter von Gladbach II aus der eigenen Hälfte. Simakala erhält den Pass in den Lauf. Auf seinem Weg zum Tor muss er nur noch einen überwinden: Uerdingens Christopher Schorch. Simakala will rechts vorbei legen, links vorbei laufen. Aus vollen Lauf. Der Innenverteidiger hat etwa drei Hundertstelsekunden Zeit. Er entscheidet sich für rechts. Bumm. Der Crash kennt keine Sieger. Beide am Boden. Birne ramponiert - mindestens. Pony Simakala steht bald wieder. Bei Schorch sieht es nach Totalschaden aus. Ein Betreuer signalisiert die Auswechslung.

Christopher Schorch...

Dessen Leben wäre allein ein Buch wert - und Schorch ist erst 28. Schorch wurde in einer sachsen-anhaltinischen Plattenbausiedlung groß. Seine beiden herausragenden Eigenschaften: Zappelphilipp und Kickertalent. Beim Halleschen FC erkannte man seine Qualitäten, aber auch bei der Hertha. Alles ging sehr schnell. Auch bei der Hertha - vor allem als Real Madrid anklopfte. Kurze Zeit später zieht er in die Cuidad Real, das moderne Dauertrainingslager der Königlichen. Plötzlich hat er ein 350-Quadratmeter-Apartment mit Swimmingpool, Sauna und Solarium. Als er einen Audi Q7 vor die Tür gestellt bekommt, antwortet er, dass er erstmal den Führerschein machen müsse. Ende 2008 spielt Christopher Schorch als Chef der Abwehr beim FC Real Madrid Castilla, dem jungen, weißen Ballett in der Segunda Division. Er gilt als nächstes „German Wunderkind“, als Nachfolger von Christoph Metzelder, ist in Kürze für die erste Mannschaft eingeplant. Doch dann wirft ihn eine Verletzung aus dem vorgezeichneten Karriereweg. Nichts Großes. Schorch muss nur einige Wochen pausieren. Aber er sollte danach nicht mehr in die Mannschaft kommen. In den folgenden Jahren sinkt sein Marktwert von 4 Mio. auf 200.000 Euro. Die weiteren Stationen: 1.FC Köln, Energie Cottbus, VfL Bochum (2. Mannschaft), MSV Duisburg, Energie Cottbus, FSV Frankfurt, KFC Uerdingen. Einmal Championsleague und zurück.

KFC Uerdingen...

tl_files/propheten_dark/stories/17_9 Blog im September/uerdingen-3.jpgDarüber sind schon manche Bücher geschrieben worden. Uerdingen ist ein Symbol des gepflegten Achtziger-Jahre -Fußballs. Bei 11Freunde wird das Rückspiel im UEFA-Cup gegen Dynamo Dresden zum „besten Spiel aller Zeiten“ erklärt. Uerdingen gewinnt 7:3 nach 1:3 Rückstand und macht die Hinspielniederlage wieder wett. Beim Wunder der Grotenburg wirken mit: Vollack, Herget, Dämgen, Funkel, Buttgereit, Bommer, Raschid, Feilzer, nochmal Funkel, Gudmundsson und Schäfer. Eine Aufstellung wie ein Gedicht. Die Legende Wunder von Grotenburg hat einen eigenen Wiki-Eintrag. Über die politischen Konsequenzen in Dresden wurde auch ein Buch geschrieben. Bald nach dem Wunder waren die goldenen Zeiten in Uerdingen vorüber. Hauptsponsor Bayer konzentrierte sich auf sein Engagement in Leverkusen. Zehn Jahre später fand sich Uerdingen in der Oberliga Nordrhein wieder.

Die Grotenburg ...

tl_files/propheten_dark/stories/17_9 Blog im September/uerdingen-5.jpgFür Groundhopper ist die Grotenburg-Kampfbahn… (Verzeihung: das Grotenburg-Stadion) allemal ein Ausflug wert. Das Stadion fasst runde 25.000 Zuschauer - und sieht noch genau so aus wie man es in Erinnerung hat. Beim Spiel der Regionalliga West finden sich genau 2.034 Zuschauer ein, davon runde 300 Ultras. Die Stehkurve ist leer. Aber die Ostgroten leben noch, so steht es auf dem Banner am Zaun. Die Ultras sind längst auf die Seite der Hauptribüne umgezogen, der Akustik wegen. Kein VIP-Bereich versaut die Grasnarben-Atmo. Die Bratwurst vom örtlichen Fachbetrieb schmeckt Eins A. Auf dem Punkt gebraten, die Pelle knusprig mit Kruste. Ein Nachmittag für Fußballfeinschmecker. Nach den Regenschauern war sogar der Platz so tief wie ihn Herget und Raschid damals hinterliessen. Ich setze mich zwischen zwei niederrheinische Experten, Routiniers beim Hoffen und Bangen mit dem KFC. Die Mannschaft ist frisch aufgestiegen - und bereits wieder auf Platz 1. Die Stimmung ist bestens - nach Jahren der Depression. In den letzten Jahren hatte „der Grieche“ den Klub durch maßgebliches Präsidentensponsoring am Leben gehalten. Agissilaos "Lakis" Kourkoudialos. In seine Ära fielen zwei Abstiege, zwei Aufstiege, 17 Trainerentlassungen und eine präsidiale Selbsteinwechslung. Dabei verschoss er einen Elfmeter höchstselbst. Vor kurzem hat sich der Grieche zurückgezogen. Ein neuer Präsi ist da: der Russe. Uerdingen ist Tabellenführer.

Mein Platz auf der Haupttribüne ist ideal. Ich freue mich über die Christopher Schorch, den KFC Uerdingen und die Grotenburg-Ka… Stadion. Die Vorfreude aufs Bulletinieren stellt sich bereits auf der Tribüne ein. Alte Reporterfloskeln kommen in den Sinn, während Schorch und Simakala auf „tiefem Geläuf“ der „Grotenburg“ behandelt werden. Bald wird der Schiedsrichter zum „Pausentee“ bitten. Aber zuerst muss Schorch wieder aufstehen. Er kommt wieder zu sich. Macht weiter. Damit liefert er mir ein feine Metapher zum würdigen Abschluss des Bulletins. Motto: „Geschichten, die nur der Fußball schreibt.“ Schorch steht wieder auf. Uerdingen steht wieder auf. Die Grotenburg steht wieder auf. Und ich war dabei. Gegen Gladbach zwei. Die Ponys erzielen zwar noch den Ausgleich. Aber egal. Uerdingen bleibt Tabellenführer.

Mikhail Ponomarev

tl_files/propheten_dark/stories/17_9 Blog im September/uerdingen.jpg„Freude ist nur ein Mangel an Information“, weiß ich vom Kabarettisten und Demotivationstrainer Nico Semsrott. Das gilt insbesondere für Fußball-Romantiker. Was abschließend nicht verschwiegen werden sollte, sind folgende Informationen: Neuer Präsident beim KFC Uerdingen 05 ist der russische Geschäftsmann Mikhail Ponomarev. Ponomarev ist Inhaber des größten russischen Beratungsunternehmens in Management Consulting und Informationstechnologien. Energy Consulting beschäftigt rund 900 Mitarbeiter und hat seinen Hauptsitz in Moskau. Ponomarev hatte Anfang September die Ausgliederung des Spielbetriebs in eine GmbH durchgesetzt. Altforderungen von runden zwei Millionen Euro (unter anderem vom vorigen Präsidenten Lakis) verblieben im Hauptverein. „Die zahle ich schon noch“, soll Ponomarev den Mitgliedern versprochen haben, „das müsst ihr mir glauben.“ Die Mitglieder glaubten an sein Ehrenwort und an die Ausgliederung. Sie mit nur zwei Gegenstimmen beschlossen.

Für eine Investigativrecherche in Moskau fehlt mir leider manches, unter anderem Erfahrung, Sprachkenntnis, Trinkfestigkeit und Muskelkraft. Trotzdem möchte ich meiner prophetischen Ahnung an dieser Stelle Ausdruck verleihen: Die traumhaften Zustände in Uerdingen könnten schnell zum Alptraum werden. Entsprechende Erfahrungen kennt der FC Wil 1900 (mit georgischen Investoren) oder die First Vienna 1894 (mit den Herren Krestic und ihrer kasachischen Geldwäschefirma namens Care Energy). In beiden Fällen wurden Vereine dazu benutzt, schlampig ergaunerte Summen wieder in Umlauf zu bekommen.

Wir werden erleben, wie die Geschichte in Uerdingen weitergeht. Als Außenstehender stelle ich fest, dass ich nichts über Mikhail Ponomarev und seine Energy Consulting weiß. Fußballromantik ist nur ein Mangel an Information.