Wieso Velenje?

Bereits am zweiten Spieltag tanze ich mit dem prophetischen Bulletin aus der Reihe. Als Entschädigung biete ich an: erstaunliche Eindrücke aus der slowenischen ersten Liga und einen unfreiwilligen Prophetentabellenführer. Jetzt frisch im Portal für besonders grobe Bratwürste.

Manchmal ist es besser, die Spiele seiner Mannschaft zu verpassen. Wegen der Herzklappen. Und dem fußballerischen Liebeskummer. Insofern ist Groundhopping ein Segen. Gegen halb acht am Samstagabend versuchte ich via App einen Zwischenstand aus dem Volksparkstadion zu bekommen. Kein Netz, meldete das Smartphone. Und das war gut so. Ich hätte mich nur über eine Zweieins-Führung des VfB gefreut. So habe ich später von einer Dreizwei-Niederlage erfahren. Und zwar ohne die siegesgewisse Vorfreude, die sich garantiert bei der Nachricht eines positiven Zwischenstands eingeschlichen hätte. Wo bin ich eigentlich? Um es präzise zu sagen: in Velenje. Wegen Fußball. Warum eigentlich?

Mit manchen Propheten verbindet mich die Neigung zu einem seltsamen Zeitvertrieb: dem Groundhopping. In irgendeinem Land ein abseitiges Spiel anschauen: Klasse! Ich behaupte schon lange, dass sich die Seele einer Region, die Mentalität der Menschen und die spezielen Eigenheiten der Bewohner eines Landstriches auf der Tribüne im Fußballstadion ablesen lassen. Um diese steile These zu überprüfen, sind wir also an diesem Wochenende nach Slowenien. Wir wollten sehen, ob sich die Annahmen auch in Velenje bestätigen, beim Spitzenspiel Rudar Velenje gegen FK Maribor. Nee, nicht ironisch gemeint, das mit dem „Spitzenspiel“. Ganz im Ernst: Das Spitzenspiel der ersten slowischen Liga. Maribor nimmt dabei ungefähr die Rolle des FC Bayern ein. Velenje gibt den aussichtsreichen Außenseiter. Klares Spitzenspiel. Und wer vor Ort ist, hat keine Meise. Sondern eine große Hingabe zum einfachen Spiel. Nichts weiter. Es ist keine Krankheit, das Groundhopping. Nur eine Marotte. Und was für eine Schöne. Etwa so schön, wie eine Meise zwitischert.

tl_files/propheten_dark/stories/Blogpics/15 Blog im August/Velenje-2.jpg

Den gastgebenden FK Rudar Velenje darf man sich vorstellen wie FC Erzgebirge Aue. Eine kleine Stadt mit Bergmannstradition im Mittelgebirge. So staubig ist es gar nicht mehr in Velenje. Viele Kohlegruben sind inzwischen geschlossen. An ihre Stelle ist vor allem der Hersteller Gorenje getreten. Wer jetzt an den Füllstand des eigenen Kühlschranks denkt, liegt richtig. Gorenje stellt gute, weiße Haushaltsgeräte her und exportiert sie in die ganze Welt. Der örtliche Fußball kann nicht ganz Schritt halten, aber fast. In die Vorrunde zur Qualifikation der Euroleague hatte es Rudar Velenje schon einige Male geschafft. Rudar heißt übrigens „Bergmann“. Tatsächlich ist Velenje ein Abziehbild von Aue. Mittelgebirge, Bergmannstradition, kleines Stadion – all das Attribute, die man aus dem Erzgebirge kennt. Allerdings scheint Velenje diese Tradition längst hinter sich zu haben. Doch während in Aue noch das Steigerlied gespielt wird, sind die Spuren der bergmännischen Riten für den normalen Groundhopper kaum sichtbar.

Auf der Haupttribüne (andere Tribünen gibt es nicht) trifft sich die anständige Mittelschicht. Prophet Kathmann hatte an der Kassenschlange einen Gutschein zugesteckt bekommen. So kommen wir beide für insgesamt 5 Euro unter die gehobene Mittelschicht Velenjes. Alles ganz nett hier. Die Tribüne sauber rausgeputzt, die Ordner freundlich und die Damen gut geschminkt. Im Ganzen also etwas attraktiver als Aue. Zugegeben. Für den Propheten Kathmann waren die Vorzeichen durchaus erfreulich. Der Fan des SV Werder war noch bester Laune vom Freitagabend. Wie ein Unentscheiden doch Freunde machen kann... Während die Werderfans nach dem Auswärtsremis in Berlin noch eine halbe Stunde nach Spielschluss die ausbleibende Niederlage gefeiert hatten, hatte auch Prophet Kathmann das Vertrauen in seine Mannschaft wieder gewonnen. Lange gefeiert hatten wir allerdings nicht. Velenje hatte gerufen. Komisch, dass offenbar nur wir beide diesen Ruf in Deutschland wahrgenommen hatten. Was hochdotierten ausländischen Besuch betrifft, waren wir die einzigen unter den rund 2000 Zuschauern. Warum eigentlich? Das Spiel hätte mehr verdient gehabt.

Tore sahen wir nicht. Trotzdem goutierten wir das mehr als anständige Niveau der Liga, die wir eigentlich als Liga der Dorf- und Murmelklubs vermutet hätten. Gut, der platte Hamburger (die slowenische Variante der Stadionwurst) in der Halbzeit war nicht ganz erstligareif, aber immerhin besser als gedacht. Ich erinnerte mich in diesem Zusammenhang an die legendäre Stadionwurst in Prag. Die drei Bissen, die ich riskierte, verfolgten mich noch eine halbe Woche. Demgegenüber ist der gereichte Imbis in Velenje zu loben. "Durch" war das Fleisch allerdings nicht, nicht mal "medium", das konnte man aber nicht erwarten, bei der Kapazität des Grills, die in ungeschickter Relation stand zur Länge der Warteschlange. Aber die Metzger hatten ihren Job brav erledigt. Genau so, wie es sich gehört, wenn man eine anständige Mittelschicht-Bevölkerung mit Köstlichkeiten versorgt.

tl_files/propheten_dark/stories/Blogpics/15 Blog im August/Velenje-3.jpg

Ach ja, Fußball gab es auch noch. Velenje spielte einen überraschend gepflegten Ball und holte sich ein Null zu Null gegen den großen Favoriten und Serienmeister Maribor. Die anständigen Leute auf der Haupttribüne zollten ihren Helden anständigen Beifall. Die Spieler erschienen zu Autogrammen am Zaun. Sie sprachen mit den Zuschauern, als wäre es ihre Verwandtschaft. Vermutlich war es auch so. Ganz Velenje war zufrieden mit dem Nullnull – und auch bei Maribor gab es keine langen Gesichter. Eigentlich gab es nur ein langes Gesicht an diesem Abend. Ein sehr langes. Das gehört mir – nach dem ich die Nachricht vom Auswärtsspiel des VfB erhalten hatte. Apropos: Was hat Velenje mit dem Neckarstadion gemeinsam? Genau. Die beiden Stadien haben die weltweit einzigen Toiletten, bei denen man während des Austretens eine Spielszene verpasst. Und jetzt sag noch einer, man würde beim Groundhopping nichts entdecken.

tl_files/propheten_dark/stories/Blogpics/15 Blog im August/Velenje-4.jpg

Womit ich wieder mitten im Bundesligageschehen und in der Propheten-Liga angekommen wäre. Ich ahne, dass auch hier ein Mitspieler ziemlich verdutzt aus der Wäsche geschaut hat. Nämlich Max Christian Graeff, der große SchleTaz, der selbsterklärten „Schlechtesten Tipper aller Zeiten.“ Lieber Max Christian, ich hatte schonmal angedroht, Dir den Ehrentitel abzuerkennen, wenn Du dort vorne an der Tabellenspitze die anderen Mitspieler zum Narren hältst. Jetzt ist es soweit. Wer mit 14 Punkten Abstand zum Rest des Feldes führt, mein lieber Max Christian, der kann kein SchleTaZ mehr sein. Oder was würdest Du sagen?

Ich schlage vor, wir ändern den SchleTaz in SchlePraZ. Schlechtester Prophet aller Zeiten. Das ist zwar im Wortsinn immer noch unrichtig. Liegt aber rein phonetisch nah am SchleProtz. Was mir angebracht erscheint angesichts der extrem protzigen Führung, die wir aktuell in der Prophetentabelle sehen. Dir ist schon klar, dass Du an diesem Spieltag einen Rekord für die Ewigkeit aufgestellt hast? 14 Punkte vor dem Verfolgerfeld! Vermutlich ein ewiger Rekordabstand von Platz 1 zu Platz 2. Und wenn du nochmal behauptest, dass du der Schlechteste Tipper aller Zeiten wärst, dann fordere ich dich auf, von dieser köstlichen Prager Wurst zu naschen. Nur um Dir eine Ahnung zu vermitteln, was wirklich schlecht ist. Dieses Bulletin mindestens. Die Wurst allemal. Und ein selbsterklärter Schlechter, der mit Abstand der Beste ist, macht die Sache auch nicht runder. Max Christian - vom SchleTaZ zum FC Bayern der Prophetenliga. Mit dieser Feststellung gebe ich aus Velenje zurück in die angeschlossenen Funkhäuser.