Winterpausenmärchen

Nächste Woche verabschieden sich die deutschen Ligen in die Winterpause. Über Fußball, Winter und Wetter, in Zeiten von Rasenheizung und Klimawandel.

Das Wetter ist den Deutschen ihr liebstes Sorgenkind. Mal ist es so, mal ist es anders, aber eigentlich nie richtig und vor allen Dingen ein guter Grund, sich darüber aufzuregen. Das Wetter hat sich gefälligst an die jahreszeitlich dazu passenden Gepflogenheiten zu halten. Im Sommer und zum Urlaub bitteschön heiß und trocken und pünktlich zu Weihnachten hat selbstverständlich Schnee zu liegen, bei knackigem Winterfrost. Doch meistens kommt es anders. Der Wettergott ist launisch. Das Winterwetter steht im Rahmenspielplan vieler Fußballverbände vorsichtshalber und verpflichtend in Form einer Winterspielpause festgeschrieben. Hier und da, vor allem in Skandinavien, macht das sehr viel Sinn. Fußball ist schließlich kein Wintersport, sollte man dort meinen. In Deutschland liegt dagegen bestenfalls Flensburg ein bisschen in skandinavischen Breiten und trotzdem ist diese Pause von etwa 4-6 Wochen, je nach Länderspielplanlage, seit der Saison 1986/87 in ganz Fußball-Deutschland Pflicht, egal ob's wintert oder nicht.

Dann können die Fußballer sich bei weißer Weihnacht mit Familie, Ochs und Esel in der heimelig warmen Stube ausspannen oder auch, wenn's die Versicherungs-Police erlaubt, im wahren Wintersport wetteifern und dabei eilig von verschneiten Hängen rutschen oder auf gefrorenen Seen, höchst elegante Pirouetten drehen. So haben sich die Spielplanplaner das damals vielleicht gedacht. Im Gründungsjahr der Bundesliga waren die Gründer noch nicht so gnädig. Obwohl sie unter dem Eindruck des gerade überstandenen, zweitkältesten Winters seit Jahrhunderten standen. Das war der Winter 1962/1963, der mit einer Mitteltemperatur von -5,5 Grad ganz Deutschland über zwei Monate in Kälte erstarren ließ.

Damals konnte man ja noch nicht wissen, dass dieses Wetterextrem zukünftig ein singuläres Ereignis bleiben sollte und trotzdem wurde nach Plan und ohne mit der Wimper zu zucken im Winter eiskalt durchgespielt. Nichts für Warmduscher, ob auf dem Rasen oder auf den Rängen. Bis 1986. Warum dann plötzlich die Winterpause für zwingend notwendig erachtet wurde, ist zunächst etwas rätselhaft. Am zu harten Winterwetter kann es jedenfalls nicht gelegen haben. Schließlich lagen die mittleren Temperaturen im Winter auch in dieser Zeit schon zuverlässig immer einige Grad über dem Gefrierpunkt. Und in den letzten 20 Jahren immer häufiger sogar sehr weit darüber hinaus.

Die Folgen sind ja offensichtlich. Es wachsen Generationen von Kindern heran, die Schneemänner mit Kohlenaugen und Rübennasen für reine Fantasiegebilde seniler Kinderbuchautoren halten und die auch den Geschichten ihrer Eltern über heldenhafte Schneeballschlachtentaten und Rodelbergabenteuer kaum Glauben schenken wollen. Man muss sich ja nur umschauen. Zum Beispiel im eigenen Keller oder Gartenschuppen. Kaum je benutzte Schneeschaufeln und mit Spinnenweben bedeckte Kinderschlitten stehen im Eck und am häufig zitierten, berühmten Nagel hängen für alle Zeiten die Schlittschuhe, mit ihren rostrot schimmernden Kufen. Und in den Ballschränken der Fußballvereine schrumpeln luftlos und einsam die orangenen Winterfußbälle wie vertrocknete Orangen vor sich hin. Der Bilderbuch-Winter ist abgesehen von wenigen mittel- und hochgebirgigen Lagen in Deutschland eigentlich nicht mehr existent. Das ist so klar wie eine kalte Winternacht: und es liegt am Klimawandel. Auch wenn Donald Trump das für reine Einbildung, Mumpitz und plumpes Wetterfroschgequake hält, die weltweit zum Klimawandel erhobenen Daten der letzten Jahrzehnte sprechen eine deutliche Sprache. Und die akademischen Wetterfrösche nutzen dazu weitaus mehr als die seit 1871, dem berühmten Beginn der Wetteraufzeichnungen, erstellten Niederschriften.

Der Beginn der Wetterbeobachtung fällt zufälligerweise in etwa mit der Etablierung des modernen Association-Fußballs in England und Europa zusammen. Die toughen Briten, haben sich damals beim Fußball einen Teufel ums Wetter geschert und das bis heute beibehalten. Der Grund liegt vielleicht darin, dass Football in seinen frühen Anfängen tatsächlich noch ein Wintersport war. Mit einer Saison, die etwa der Karnevals- und Faschingssaison der hiesigen Jecken und Narren entspricht, also von Ende November bis Ostern. Der Shrove Tuesday, also der Fastnachtsdienstag, war Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts noch der wichtigste und dazu der letzte Matchday der englischen Football-Spieler, bevor sich die Gentlemen dann wieder dem zahmeren Cricketsport in der wärmeren Jahreszeit widmen konnten. Wärmer ist jedoch auf der Insel relativ, da sie durch den Golfstrom flauschig warm umspült seit jeher kaum frostige Winter kennt. In England fielen Fußballspiele damals höchstens mal aus, wenn es wie so häufig mal wieder Katzen und Hunde regnete und der Ground eher einem Pool glich. Und das ist noch heute so.

Witterungsbedingte Spielausfälle im Winter kamen auch vor der Einführung der Winterpause in Deutschland recht selten vor. Die Bespielbarkeit eines Platzes wurde von Schiedsrichtern immer sehr großzügig gesehen. Selbst die 1972 erstmals im Münchener Olympiastadion eingebaute Rasenheizung machte als Vorsorgeeinrichtung andernorts, außer in Frankfurt, keine Schule und wurde über zwei weitere Jahrzehnte überall als höchst überflüssig erachtet. Die Winterpause und beheizte Spielfelder machen in Deutschland angesichts des Klimawandels heute noch weniger Sinn. Was eigentlich alle begriffen haben, ist bei den Funktionären scheinbar noch nicht angekommen. Es gibt bei uns seit längerer Zeit schon keinen richtigen Winter mehr. Selbst Amsel, Drossel, Fink und Star haben es schon seit langem kapiert. Sie verzichten auf die Winterpause, bleiben hier und zwitschern fröhlich weiter. Immer mehr Klapperstörche tun es ihnen gleich. Der Fan-Schal ist längst so etwas wie ein Mode-Accessoire geworden und schützt keinem Fan mehr den vom Tor-Schrei strapazierten Hals vor Kälte. Selbst die Haute Couture verzichtet schon weitgehend auf Winterkollektionen und startet im Januar gleich mit der Frühlingsmode durch. Der dicke Pelz ist in unseren Breiten im Winter mittlerweile so überflüssig wie ein geheizter Ofen im Hochsommer. Was für den Pelz gilt, trifft natürlich auch auf die Rasenheizung im Stadion zu.

Viele Greenkeeper in den Ligen müssen ja heute fast, falls es doch mal zu nennenswerten Minusgraden kommt, zunächst Mal ihre pensionierten Vorgänger anrufen oder Bedienungsanleitungen lesen. Nur um herauszufinden, wie man dieses mit 500.000 Euro sündhaft teure Monstrum von Rasenheizung im Stadion überhaupt anwirft. Läuft sie dann, braucht diese ganze drei Tage, bis sie voll einsatzbereit ist. Bei immensem Energieverbrauch und Betriebskosten von, je nach Bauart, bis zu mehreren 1000 Euro täglich. Ältere Modelle verbrauchen pro Spieltag locker 10.000 Liter Heizöl um 15.000 Liter mit Glykol gesättigtes Wasser zu erwärmen, das dann durch eine fast 30 Kilometer lange Schlauchleitung unterhalb des Rasens läuft. Sie schlägt am Spieltag so mit über 50 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs im Stadion zu Buche und wärmt auch das Klima ganz nebenher noch weiter auf. Der Einsatzbereich hat dazu noch Grenzen. Wird es tatsächlich mal kälter als minus 10 Grad oder es schneit mal heftig kurz vor Spielbeginn, hilft selbst die beste Rasentherme gar nichts.

Die hierzulande in den meisten Stadien sehr selten eingesetzte und somit zumindest für die Vereine ökonomisch völlig unsinnige Rasenheizung ist heute aber paradoxerweise in der ersten und zweiten Liga absolute Pflicht. Darunter ist die Pflicht in Planung. Aber schon jetzt können sich viele Zweitliga-Clubs bzw. Kommunen den Betrieb solcher Heizungen eigentlich gar nicht leisten. Wozu also dieser Wahnsinn? Eine Liga ohne Stadien mit Rasenheizungen könnte doch, so wie zuvor bis weit in die Neunzigerjahre hinein, als es sie noch kaum in den Stadien gab, mit einer Handvoll Spielabsagen und Neuterminierungen im Spielplan locker leben. Mit einem Verzicht auf die Winterpause wäre man dabei sogar noch flexibler. Das wäre tatsächlich vernünftig, aber nur, wenn es nur um Fußball ginge.

Es geht aber, wie so oft im Fußball, auch hierbei nur ums Geld. Kurzfristig ausgefallene und neuterminierte Begegnungen verursachen den Fernsehsendern immense Kosten, also denen, die auch die Spieltage und Anstoßzeiten bestimmen. Es ist daher kein Zufall, dass ausgerechnet Mitte der 80er-Jahre die Winterpause in der Bundesliga eingeführt wurde, als die privaten Fernsehsender auf den Fußballmarkt drängten und die Gelder für Übertragungsrechte seither von Jahr zu Jahr raketenhaft anstiegen. Bei solchen Summen überlässt man besser nichts dem Zufall oder gar dem Wetter. Gegen wetterbedingte, kurzfristige Spielausfälle und damit verbundene Verluste sind die Winterpause und auch die Rasenheizungen offenbar immer noch die beste Versicherung. Wer bezahlt, bestimmt die Regeln. Leider!