Wissenswertes über Heidenheim

Die Propheten sind tief in die zweite Liga eintaucht. Manche haben ihre Prophezeiung bereits eingeloggt. Andere suchen noch auf der Landkarte. Zum Beispiel nach Heidenheim.

Zugegeben: In punkto Heidenheim genieße ich einen kleinen Vorteil. Ich war schon dort. Daher vermag ich zu beschreiben, wo Heidenheim lieg – von Stuttgart aus. Die Autobahn sollte man allerdings nicht nehmen. Das würde einen Umweg über Ulm bedeuten. Besser man fährt durchs Filstal und später über die Landstraße. Aber bitte nicht zu schnell. Die Schwaben auf der Ostalb wissen, wie man mit eiligen Fußballfans Geld machen kann. Sie haben unauffällige Radarkontrollen links und rechts der Straße platziert. Wenn man das überstanden hat, passiert man bereits nach anderthalb Stunden das Ortschild. Also für Älbler Verhältnisse ganz zackig. Kurz nach dem Ortsschild bitte rechts abbiegen - in Richtung Schloß Hellenstein, dahinter in einer Mulde findet man das Zweitligastadion, brav auf Namen des Sponsors getauft: die Voith-Arena.

Die Erfolgreichen.

Fußballerisch gibt es natürlich viel Wissenswertes über Heidenheim. Ich gebe zu: Für mich zählen die Jungs am scheinbar traditionslosen Fußballstandort zu den Favoriten der Saison. Wie ich darauf komme? Allein der Blick auf die Statistik spricht Bände. Man schaue sich die Platzierungen der Heidenheimer in den letzten Jahrzehnten an. Abstieg kennen sie nicht. Und der 1.FC Heidenheim, der 2007 als Ausgliederung aus dem Heidenheimer SB gegründet wurde, kennt die unteren Tabellenregionen gleich gar nicht. Mit Heidenheim ging es immer bergauf. Immer. Es mag schon vorgekommen sein, dass der Verein stagniert hatte. In der dritten Liga beispielsweise dauerte es einige Spielzeiten, bis der Aufstieg endlich geschafft war. Aber der Eindruck, dass hinterm Hellenstein alles nur bergauf ging, der täuscht keinesfalls.

Meine Heidenheim-Kennerschaft hat natürlich Gründe, die ich nicht verschweigen möchte. Der Geschichte des Heidenheimer Aufstiegs habe ich in meinem Buch "Heimspiele Baden-Württemberg" ein eigenes Kapitel gegönnt. Die Recherche hat extrem Spaß gemacht. Aus erster Hand erfuhr ich, wie sich der Verein aus dem kickenden Niemandsland in die zweite Liga hochgearbeitet hatte. Den eigentlichen Grund dafür, den kann ich allerdings nur hier im prophetischen Bulletin preisgeben. Hätt' ich's im Buch geschrieben, wäre mir der Protest der Verantwortlichen sicher gewesen. Der Grund für die Heidenheimer Erfolge hat eigentlich nur einen Namen: Holger Sanwald, heute Geschäftsführer des Klubs.

Der Macher.

Mal ehrlich, Sanwald ist ein Menschenfänger par excellence. Ohne ihn würde die heute noch in der Verbandsliga spielen. Der geborene Heidenheimer hatte damals beim HSB noch im Sturm gekickt. Aber über Rumpelniveau hat es nie gereicht. Sanwald, selbst sein härtester Kritiker, hat dies auch bald eingesehen. Als ein neuer Abteilungsleiter Fußball gesucht wurde, zeigte er auf. Das war vor mehr als 20 Jahren. Gleich nach Amtsantritt schaute er in ein Loch. Ein hoher fünfstelliger Betrag fehlte in der Kasse. Feuertaufe für den jungen Abteilungsleiter. Wie gut, dass er am Ort bestens vernetzt war. Das Geld trieb er gerade so auf - und in der Folge stieg Heidenheim nie mehr ab. Bis heute.

Sanwald hat das Gen, das man im Fußball-Management braucht. Als ich als namenloser Fußballbuch-Schreiberling dort auftauchte, nahm er sich gerne Zeit, um meine merkwürdigen Fragen über einen alten Kiosk ausführlich zu beantworten. Wir verplauderten uns prompt, obwohl es bis zur Partie gegen Union Berlin nicht mehr lange hin war. Sanwald erzählte mir die Geschichte vom alten Kiosk, an dem sich die lokalen VIPs bis heute treffen, wenn das Spiel vorbei ist. Er erzählte mir die Story vom Wirtschaftsbeirat, den er schon vor 20 Jahren gründete und erwähnte nebenbei noch, wie er das Stadion ausbauen will, vor allem den VIP-Bereich. Ich begriff: Der Typ hat vermutlich die letzten Jahre wenig geschlafen. Ich schaute auf die Liste der Vereinsverantwortlichen, also vor allem auf die Ehrenämter: jedes Unternehmen in Heidenheim und Umgebung war vertreten. Jedes. Ohne Ausnahme. Voith, Hartmann, CarlZeiss und unzählige Unternehmen des prosperierenden Mittelstandes. Alle da. Und warum? Weil einer an die Idee des erfolgreichen Fußballs in Heidenheim immer geglaubt hatte: Holger Sanwald.

Allerdings ist er weit davon entfernt, ein alleiniger Macher zu sein. Von der Ferne betrachtet, wirkt alles so, als könne er delegieren, als hätte er das Gespür, wer an welcher Stelle man wen platzieren müsste. Zum Beispiel den Trainer. Gewiß ist Frank Schmidt gar nicht weit vom Stadion aufgewachsen. Trotzdem muss man so einen erstmal entdecken. Schmidt ist die zweite große Konstante im Heidenheimer Ensemble. Aber der Erfolg hängt nicht allein vom Trainer ab. Auch wenn Schmidt eines Tages einen anderen Verein übernehmen würde: Sanwald würde wieder einen finden, der nach Heidenheim passt. Ehrenwort. Und auch ein Schnatterer wäre zu ersetzen. Vielleicht mit Mühe, so aber doch. Man würde wieder eine Identifikationsfigur auf dem Platz finden, vielleicht keine mehr mit so einem schönen Namen.

Der wahre Macher ist ohne Zweifel Holger Sanwald. Beim Interview ahnte ich bereits, dass es unmöglich ist, sich aus seinen Fängen zu befreien, wenn man als Unternehmer in der idealen Position ist, dieses Werk, das die Heidenheimer aufgebaut haben, wirkungsvoll zu unterstützen. Gut, in Wirklichkeit war es Sanwald, der das Werk aufgebaut hat. Aber das will er nicht so darstellt haben. "Das waren alle zusammen, natürlich. Alle gemeinsam. Ganz Heidenheim." So oder so ähnlich gibt es er zu Protokoll. Die offizielle Version: eine schöne Legende. Aber sie stimmt nicht. Sanwald war's.

Die prophetische Prognose.

Sanwald war es auch, der mir die schöne Geschichte über den alten Kiosk im neuen Stadion erzählte, die nun ein Kapitel meines Buches bildet. Zum Schluß des Interviews versprach er, mich bei der Buch-Promotion tatkräfig zu unterstützen. Und ich wusste: Einer wie Sanwald macht keine leeren Versprechungen. So fand ich mich im letzten Herbst vor dem Spiel auf dem Rasen der Voith-Arena wieder. Kritisch beäugt vom Maskottchen. Freundlichst befragt vom Peter Barth, dem euphorischstem Stadionsprecher zwischen Rostock und Freiburg. Apropos Freiburg. Die waren tatsächlich an diesem Freitagabend zu Gast - und Peter ließ natürlich die Gelegenheit nicht aus, mich nach meinem Tipp für das Spiel zu befragen. Prophetisch geschult wie ich nun mal bin, führte ich aus, dass die Partie lange 1:1 bleiben würde. Erst in der Nachspielzeit, so laberte ich weiter, würde das 2:1 für Heidenheim fallen. Die geneigten Propheten wissen also sicherlich einzuschätzen, wenn ich Heidenheim hiermit zum Favoriten für die anstehende Zweitliga-Saison empfehle. Kurz vor Schluß der Partie verzog ich mich von meinem Tribünenplatz, verließ die Arena, um als Autor persönlich mein Buch zu verkaufen. Ich hatte ein kleines Pult im Fan-Shop, da räumte man mich auf. Das Spiel stand Unentschieden 1:1. Es sah nicht mehr danach aus, als sollte noch etwas passieren. Außerdem war es zapfenkalt im schattigen Tal hinterm Schloß Hellenstein. Im Fan-Shop war es warm, Die Monitore zeigten sky. Plötzlich ein Tor-Schrei, tief in der Nachspielzeit. Das Spiel wurde nicht mehr angepfiffen. 1.FC Heidenheim - SC Freiburg 1:2.

Ach, habt ihr bei der Headline auch diesen Wurm zwischen den Ohren? Schöön, und gar nicht aus Bielefeld...

https://www.youtube.com/watch?v=9aFyhxQKaGY