Wort des Jahres.

Keiner braucht es. Keiner kennt es. Trotzdem ist der "Lichtgrenze" zum Wort des Jahres erkoren worden. Weil es sonst keiner tut, wehrt sich das prophetische Bulletin des 15. Spieltags.

„Situationselastisch“ lautet das Wort des Jahres. In Österreich. Bei uns In Deutschland, wo die Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden die Auswahl trifft, haben die Verantwortlichen an diese prominente Stelle ein staatstragendes Fragezeichen gesetzt. „Lichtgrenze“ sei das Wort. Hä? Den sprachlichen Nerv soll das ausgewählte Wort treffen, so schreiben die Statuen vor. Die Lichtgrenze trifft gar nichts. Nicht den Nerv der Sprache, allerhöchstens meine eigenen Nerven. Es trifft ferner nicht zu, dass die Lichtgrenze das Wort des Jahres verdient hat. Mit Müh und Not erinnern sich die Deutschen an die gestelzten Ballons, die am Tag der deutschen Einheit vom alten Mauerstreifen in die Luft stiegen. Nur weil an einem politischen Tag einmal eine symbolische Aktion gelang, die halbwegs dem Anlaß würdig war, muss man den Aktionstitel doch nicht gleich zum Wort des Jahres hochjazzen. Ein krasses Versagen dieser selbsternannten Sprachgurus ist das. Enttäuschend.

Da gefallen mir die Österreicher besser. „Situationselastisch“ war am Beginn des Jahres von rotweißroten Verteidigungsminister zur Welt gebracht worden. Er hatte erklären wollen, warum der Bundeskanzler bei einer Pressekonfernenz erscheinen könne – aber auch fernbleiben. Situationselastisch. Sehr feiner Dummsprech! Eine verdiente Wahl. So unbrauchbar das Wort des Jahres in diesem Jahr ausfällt, so bezeichnend fällt die Bilanz der fußballerischen Begriffe aus, die es in die Top10 der Wortlisten des Jahres geschafft haben.

In den letzten fünfzig Jahren wurde der Fußball immer bedeutungsmächtiger. Im Fußball spiegeln sich alle Bereiche: Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Boulevard, Medien und vieles mehr. Die Sportart wurde zum Phänomen. Auch sprachlich gesehen. Fußball-Metaphern wurden immer häufiger in Politik und Wirtschaft eingesetzt, weil sich die Redner und Autoren sicher sein konnten, dass ihre Gegenüber sich damit auskennen würden, und die symbolische Kraft ihrer Worte sich trefflich steigern ließe.

Auf einmal ließ sich mit Fußball vieles illustrieren, eigentlich alles. Und es ist selbstverständlich, dass sich Deutung und Bedeutung nicht nur in einzelnen Metaphern niederschlägen, sondern auch in der Sprache an sich. Sogar den lichtbegrenzten Juroren der Gesellschaft für deutsche Sprache konnte das nicht entgehen. Schließlich im Jahr 1998 kamen sie nicht umhin, endlich ein Bonmot des Fußballs in die Top-10 Liste aufnehmen. Möglicherweise markiert dieses Datum den Durchbruch. Die Fußballberichterstattung wurde ab diesem Zeitpunkt ein dermaßen wirkungsmächtiges Instrument, dass man von ihr ausgehend neue Bestandteile in die Sprache einbringen konnte. Keiner anderen Sportart ist das bisher gelungen. „Ich habe fertig“ errang 1998 den vierten Platz. Damit bewies Jury durchaus Sachverstand. In der Tat schlich sich die Trappatoni-Rede in die Allgemeinsprache. Eine wirkmächtige Aussage voller Entschlossenheit. Was erlaube Strunz? Würdig.

Dagegen enttäuschten die weiteren Fußballbegriffe auf der Liste nahezu auf ganzer Linie. Allzu bemüht scheint der ballorientierte Wort-Versuch immer dann, wenn ein großes Turnier stattfand und die ballferne Jury dieses mit einem Jahres-Wort auf der Liste würdigen wollte. Fast immer ging es in die Binsen. Jahr für Jahr bringt unsere Sportart wundervolle Begriffe auf die Welt. „Tannenbaum“ für ein System. „Von Spiel zu Spiel denken“ bei jedem Interview. „hoch stehen“, „pressen“, „ballorientiert“, „Viererkette – allein die taktischen Begriffe würden schon ganze Jahreslisten füllen. In Wiesbaden bei den Sprachgurus kennt man nichts von alledem. 2002 wurde „Es gibt nur ein Rudi Völler“ in die Liste aufgenommen. Weil wir aus Versehen Vize-Weltmeister geworden waren. Ein fußballerisch arg dünner Versuch. Dieser Satz „traf den sprachlichen Nerv des ausgegangen Jahres“ mit keinem Buchstaben. So war es vorhersehbar, dass auch im Jahr 2006 Fußball-Worte in der Liste auftauchten. „Klinsmänner“ und „Schwarz-Rot-Geil“ waren allerdings erneut fußballsprachliche Nullnummern. Nur das Wort des Jahres 2006 tanzte aus der Reihe. „Fanmeile“. Bravo! Ein neues Wort, das für die damals aufkommende Eventisierung eines Fußballturnieres stand – und damit stellvertretend für eine neues fußballkulturelles Phänomen. Klasse, Wiesbaden. Eine gute Wahl, ausnahmsweise.

Die Begriffe, die es in jüngster Vergangenheit in die Top 10 geschafft hatten, lauten:

2009: Deutschland ist Europameisterin

2010: Vuvuzela

2013: Falsche Neun

2014: Götzeseidank, Freistoßspray

Götzeseidank? Hatte ich vorher noch nie gehört. Eine weitere, arg dämliche Anbiederung der bildungsfernen Sprachforscher an ein großes Turnier. „Götzeseidank“ landete auf Platz 3 in diesem Jahr. Mir unerklärlich. Eine gute Headline, zugegeben. Aber gute Headlines gehören zum Handwerk. Sage ich als Werbetexter. Da fällt mir ein Spruch des Propheten und großen Texters KarlHeinz Karius ein. Er beantwortete den Kundenwunsch nach einer guten Headline einmal wie folgt: „Gute Headline? Kein Problem. Da fallen mir zehn ein, alleine auf dem Weg zum Klo.“ Mit Mühe und Not mag ich mir vorstellen, dass Götzeseidank auch von KarlHeinz Karius stammen könnte. Ich würde allerdings meine Hand dafür ins Feuer legen, dass seine anderen neun Einfälle auf dem Weg zum Klo noch deutlich besser waren.

Dafür nur auf Platz 9: das „Freistoßspray“. Ein neues Wort. Ein oft gebrauchtes Wort. In wunderbares Wort für eine Kulturtechnik, die unsere Fußballgesellschaft ein klein wenig besser gemacht hat. Und es landet nur auf Platz 9. Skandal! Kürzlich hatte ich das Vergnügen Karl Allgöwer zu interviewen. Zufällig kamen wir auf die neue Technik zu sprechen. Allgöwer wörtlich: „Ich darf gar nicht daran denken, wenn wir damals schon das Freistoß-Spray gehabt hätten, da kommen mir die Tränen“, sagte er und war sich sicher, dass seine Chancen als Freistoßschütze inzwischen noch größer wären. „Früher stand die Mauer doch nur 6 Meter entfernt. Da war man viel zu nah dran. Dadurch hatten die Schützen immer einen schwierigen Winkel, gerade bei Freistößen von etwa 18 bis 22 Metern Torentfernung.“ Soweit Allgöwer. Da muss man doch nur einen Freistoßschützen fragen, um die immense Bedeutung des Freistoßsprays zu verstehen. Die Wiesbadener Juroren dagegen, sie haben mal wieder nichts verstanden. Platz 9 - Ich fasse es nicht. Und das sollen Wissenschaftler sein? Sie sollten sich was schämen. Freistoßspray ist klar das Wort des Jahres, darüber sollte es nicht nur unter Fußballern keine zwei Meinungen geben. Alternativlos. Und kein bißchen situationselastisch.

Klarer Fall von vergleichsweise souveräner Überleitung zur prophetischen Tabelle. Situationselastisch ist das Stichwort. Prophet Marvin Burmester hat von der Situation an diesem Spieltag offensichtlich am deutlichsten profitiert. Er steht mit 110 Punkte an der Spitze und löst damit Prophet Wilkens vom ersten Platz ab. Burmesters hohe Volltrefferzahl, satte 5 Stück, haben ihm wohl das situativ entscheidende Momentum gegeben. Dagegen sieht Wilkens mit seinem einen Volltreffer relativ blaß aus. Doch langfristig können wenige Volltreffer auch zum Vorteil werden. In dieser situationselasischen Lage stehen Propheten mit hohen Punkten, aber wenigen Volltreffern meist stabiler auf ihrer Position. Etwa so wie der Prophete Jo Schulze. Mit einer durchschnittlichen Anzahl an Volltreffern bleiben er weiterhin auf Schlagdistanz. Seine Hoffnungen, weiter vorzurücken, sind nach wie vor in Takt. Auf Platz 4 überrascht Jacqueline Häcker mit erstaunlichen 7 Volltreffern, die zu einer Punktzahl von 102 führen und somit zum Spitzenplatz des großen Verfolgerfeldes. Mit Blick auf ihr Profilbild darf man feststellen: Sie hat die Spitze im Visier. Ob die vielen Volltreffer nun gut oder schlecht sind, das mag ihr völlig wurscht sein.

Schließen möchte ich mit dem Hinweis auf das prophetische Bulletin des 17. Spieltags. Rein bulletintechnisch wird der 16. Spieltag der Vorweihnachtszeit zum Opfer fallen. Aber es geht Schlag auf Schlag. Selbstverständlich wird die Tabelle am Donnerstagmorgen aktualisiert sein.

Außerdem wollte ich nicht vergessen, dem guten Karl-Heinz Rummenigge mit einem besonderen Gruß zu ehren. Der adelte die gute Leistung von Franck Ribery mit dem kenntnisreichen Satz "Ich ziehe meinen Hut und sage Champs-Elysées" Da ziehe ich auch meinen Hut, mein lieber Rummenigge. Endlich wieder ein Satz, den man nicht so schnell vergessen wird. Deutlich nachhaltiger als Lichtgrenze. Champs-Elysées - meine Nummer zwei auf der Liste der Worte des Jahres. Und ein ganz herzlicher Gruß namensChamps-Elysées hinterher.

Ach, und falls es was zu meckern gibt: Da empfehle ich Hessen Kassel. Klasse Aktion, wie ich finde.