Braucht keine Sau!

In vielen Bundesligavereinen hat sich in den letzten Jahren das Kerngeschäft klammheimlich vom Fußball auf das Marketing verlagert. Beim VfB Stuttgart treibt das seltsam irreale Blüten...

Nachdem ich am Samstag um 17.40h mit roten Backen aufgrund einer gehörigen Portion Fremdschämens und mit eiskalten Füßen das Neckarstadion verließ, vibrierte plötzlich meine linke Arschbacke. Mein Taschentelefon teilt mir so mit, dass mir jemand etwas mitteilen möchte. Es ging um eine E-Mail, vom VfB Stuttgart. Genauer gesagt um eine E-Mail von Christian Gentner, dem Capitano höchstpersönlich. Er muss sie wohl noch kurz vor dem Spiel gegen Mainz geschrieben haben. Klar, dass man sich über so etwas freut, passiert ja nicht alle Tage. Der Capitano ist ja ein unglaublich sympathischer Kerl, ich konnte bei einem seiner Fan-Club-Besuche mal länger mit ihm plaudern.

Er, also Gente, schrieb: "Lieber Bernhard, heute ist ein ganz besonderer Tag – Dein Geburtstag! Im Namen der gesamten Mannschaft gratuliere ich Dir zu Deinem xx. Geburtstag und wünsche Dir für das neue Lebensjahr viel Glück, Erfolg und vor allem Gesundheit... ... etc. pp.... Mit weiß-roten Grüßen, Christian Gentner." Im Namen der ganzen Mannschaft! Das schmeichelte mir dann schon ein bisschen. Zum weiß-rote Ohren kriegen. Hey Jungs! Danke. Auf dem Weg zur U-Bahn überlegte ich noch kurz, ob ich noch schnell zum Mercedes-Museum rüberlaufen und mich bei Gentner persönlich bedanken sollte. Da hatte der VfB nach dem Mainz-Spiel so etwas wie ein After-Work-Chillen angeboten. Mit einem Rapper namens Marz als Stargast. Da war ich persönlich eingeladen, kein Witz. Kam auch per E-Mail, ein paar Tage zuvor.

Da konnten die beim VfB ja noch nicht ahnen, dass ich so kurz nach einem so beschissenen Spiel eher keinen Bock auf Party haben würde. Und dass ich von Sprechgesang-Musik im Allgemeinen und auch im Besonderen nicht allzuviel halte, das konnten sie ja auch nicht wissen. Aber schon die Einladung war ja schon etwas komisch. In der Veranstaltungsreihe "Kurve und Konzert", exklusiv nur für Mitglieder, koste eines von den limitierten 250 "Bundles" exakt 18,93 Euro. Stand so drin. Das "Bundle", so nennt der Marketing-Fritze von heute Dinge, die man nur im Paket bekommt, bestand aus einer Haupttribünen-Eintrittskarte für das Mainz-Spiel und den Einlass zu eben diesem anschließenden, exklusiven Rap-Konzert. Dass ich eine Dauerkarte besitze und mir ganz bestimmt keine Extrakarte kaufen würde, das hätten sie beim VfB dann doch schon wissen können. Das After-Work-Chillen im Auto-Museum fand dann übrigens doch ohne die VfB-Spieler statt. Die zogen es vor woanders zu chillen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Das Mercedes-Museum gegenüber vom Neckarstadion ist ja schon längere Zeit so etwas wie eine Event-Location für den VfB-Stuttgart. Es beherbergt auch die Sonderausstellung des Vereins zum 125-jährigen Jubiläum. Happy Birthday! Im letzten August fand dort zur Saison-Eröffnung unter dem Motto "Cars and Football" der große "Day of the breast ring" statt. Ganz weltmännisch natürlich auch für die internationale VfB-Fanschaft auf Englisch beworben. Schade, dass ich das verpasst habe. Ein Programm "of events for the young and old, which will also be attended by prominent sports stars". Promis ziehen ja immer, dass wissen sie beim VfB genau. Deshalb lassen sie ja auch den Capitano höchstpersönlich Geburtstagsgrüße ausrichten.

Bei "Cars und Football" hätte ich dann auch das Orignal-VfB-Auto-Korso-Auto von der Meisterschaft 2007 bewundern können. Hach, das waren noch Zeiten. Ein Mercedes Benz CLK Cabriolet. Ich sehe noch vor mir, wie Armin Veh etwas steif hinten auf der Hutablage sitzt. Vielleicht lag es an Kathrin Müller-Hohenstein, die neben ihm saß und ihn für den SWR interviewte. Da hätte ja eigentlich Sonja Schrecklein sitzen sollen. Angeblich. Hatte aber wohl keine Zeit. Hach, das waren noch Zeiten für den VfB und seine Fans. Feiern und alles umsonst und draußen. Und erfolgreich, im damals noch alleinigen Kerngeschäft, im Fußball. Sollte der VfB jemals nochmals Meister werden, werden vermutlich auch für den Sieger-Corso "Bundles" angeboten: ein CLK-Cabrio samt Promi auf der Hutablage für schlappe 189.300 Euro, oder so ähnlich.

Es ist ja verständlich, dass der VfB Stuttgart und auch andere Vereine bei ihren Mitgliedern und Fans gerne mal die schnelle Mark machen. Aber muss das dann unbedingt so penetrant geschehen? Muss jedes Jahr aufs Neue ein Fan-Artikel-Angebot in der Stärke eines Otto-Versandhauskatalogs erscheinen? Es vergeht fast kein Tag, an dem mich die Marketing-Abteilung des VfB nicht per E-Mail zu irgendeinem Konsum verleiten will. Aktuell sind es gerade die "Heritage Sweats" namens "Alte Schule". Angeblich ein "legendärer Style, damals wie heute, und die perfekte Kombination von Street und Stadion".

Vor kurzem war auch der "Tag der Jogginghose", mit Rabatten von 25 % für eben diese. Oder etwa das Angebot einer Virtual-Reality-360-Grad-Tour für schlappe 17 Euro zuzüglich Versandkosten. Dabei steht man mit einer Taucherbrillen-ähnlichen Konstruktion vor den Augen real mitten im vollkommen leeren Stadion und kann, wenn auch nur virtuell, sich dort die großen Heldentaten vergangener Jahre praktisch mittenmang und aus nächster Nähe in der Datenbrille ansehen. Das nennt man dann wohl Fußball 4.0. Sowas braucht doch keine Sau!

Die VfB-Kicker scheitern gerade bereits an Fußball 1.0 und der Verein hat schon zig Millionen Euro mit dem aktuell Bundesliga-untauglichen Lizenzspieler-Kader in den Sand gesetzt. Die Marketing-Abteilung läuft dagegen auf Hochtouren und sucht ihresgleichen in der Liga. Will ja alles bezahlt werden. Was sagt uns das? Das kommt dabei heraus, wenn nach erfolgreicher Ausgliederung ein Unternehmer den Verein wie ein Unternehmen führt, nur geringe Fußballkompetenz zu bieten hat und die Fans eines Vereins nur noch als Kunden betrachtet. Die miserable sportliche Leistung wird dabei vom verantwortlichen Management nicht mal als peinlich empfunden, sondern nur als schädlich für's Geschäft. Einen erneuten Abstieg in die zweite Liga könne der Verein wirtschaftlich nicht verkraften, heißt es von ganz oben. Die Fans dagen schon und manche sehnen sich geradezu danach, weil hinterher vielleicht wieder nur der Fußball das Kerngeschäft ist. Wenn auch nur in der Version 1.0. Aber so reell wie real.

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