Alles nur geträumt!

Das Schneckenrennen im Abstiegskampf der 1. Bundesliga geht weiter. Für die Fans der fünf Kellerkinder der Liga ist das ein nicht enden wollender Alptraum...

Hannover hat sich offensichtlich schon aufgegeben, Nürnberg punktet und kommt doch nicht vom Fleck und Stuttgart, Schalke und Augsburg stolpern von einem Alptraum in den nächsten. Da waren die Leiden des Sisyphos ein Dreck dagegen. Kaum blitzt mal ein Fünkchen Hoffnung auf, wirft einen der nächste Spieltag wieder zurück, in das tiefe Tal der Tränen. So langsam schwinden dann auch die Gelegenheiten für den heiß ersehnten Befreiungsschlag, den im Abstiegskampf wichtigsten aller Schläge. Sein Konkurrent ist der nicht zu unterschätzende Rückschlag, der an diesem Wochenende das Fanvolk in Stuttgart, Augsburg und Schalke mal wieder mit voller Wucht traf, so mitten in die Fresse rein.

Das hinterlässt Wunden. Es fühlte sich fast immer so schmerzhaft an, wie an diesem Wochenende in der Nordkurve auf Schalke. Ein Alptraum, aus dem es kein Entrinnen gibt. Ein mit Kämpfen, Kratzen und Beißen hart verdienter Punktgewinn wurde den Knappen in der allerletzten, in der 95 Minute genommen. Das Standbildgericht im Kölner VAR-Bunker entschied gnadenlos auf Elfmeter für Frankfurt. Aus die Maus und wieder nix! Der schöne Traum vom Punktgewinn gegen einen erklärten Favoriten platzte und der Alptraum ging weiter. Zur gleichen Zeit erkämpfte der VfB als erklärter Favorit gegen die Nürnberger zwar einen Punkt, was aber angesichts der aktuellen Tabellensituation definitiv zwei Punkte zu wenig sind. Verlorene Big-Points. Hatte der fußballweise VfB-Präsident Wolfgang Dietrich nicht noch vor kurzem die traumhafte Losung ausgegeben, man werde einfach die ausstehenden vier Heimspiele gewinnen und schon sei der Klassenerhalt gesichert? Da fragten sich selbst die zuversichtlichsten Schwaben: Und wovon träumt der nachts?

Herr Dietrich darf natürlich träumen was er will. Bei Tag und bei Nacht. Wir sind ja nicht die Traumpolizei. Die Tagträumerei soll ja recht gut erforscht sein. Bei 90 Prozent der Männer und über 70 Prozent der Frauen drehen sich Tagträume ausschließlich nur um Sex. Das las ich kürzlich im Wartezimmer beim HNO-Arzt in einer Fachzeitschrift für Gerüchte über den Adel, Influencer-Schlampen und ähnlich arbeitsscheues Gesindel. Tagträume beinhalten also etwas halbwegs Realistisches, zumindest für die meisten. Bei Nachtträumen ist das etwas schwieriger zu bewerten. Der Nachttraum wird seltener erinnert und dokumentiert. Doch jeder weiß aus eigener Traumerfahrung, dass man dort durch fantastische Welten wandert, die zwar einen Bezug zur Realität haben, aber vollkommen unrealistisch sind. Man erlebt dort unglaubliche Dinge. Manche schöpfen daraus kreative Ideen und andere üben sich in der Traumdeutung. Und solche Träumer sind nicht zu unterschätzen.

Schlimm wird es nämlich, wenn der Träumer das Geträumte für sich selbst deutet und dann zum Maßstab für die Realität erhebt. Hatte VfB-Präsident Dietrich etwa davon geträumt, dass er Lahme gehend und Blinde sehend machen könne? Wurden deshalb Lahme und Blinde en gros eingekauft? Und dass der VfB die Saison auf jeden Fall auf einem Platz zwischen 9 und 12 beenden wird, hatte er das auch nur geträumt, bevor er das vor einigen Wochen vorhersagte? Nicht zu vergessen der Traum von der wundersamen Geldvermehrung durch die Ausgliederung. Weder das eine noch das andere gelang bisher oder wird zukünftig gelingen. Und solche Traumtänzereien sind der Alptraum der Fans seit Saisonbeginn und man wünscht sich einfach nur, er möge irgendwann verschwinden, der Alptraum und der Traumtänzer dazu, egal ob in Liga Eins oder Zwei.

Was dann hinterher bleibt, ist wiederum nur ein Traum, nämlich der von besseren Zeiten. In dem werden wieder Meisterschalen und Pokale in die Luft gereckt, da wird Champions-League-Hymnen gelauscht und ganz darauf vertraut, dass es auf jeden Fall irgendwann in der Realität passieren wird. Sollte man nicht tun. Wir Schalke-Fans wissen das. Träume sind Schäume und Traum und Trauma, sprich Wunde, bedingen einander. Man muss als Fußball-Fan aus reinem Selbstschutz einfach der Realität ins Gesicht schauen, dann verliert man wenigstens nicht den Verstand. Und die Realität heißt für alle potenziellen Abstiegskandidaten der ersten Liga, dass die Qualität des Fußballs und der Spieler die ihn spielen, bei weitem nicht den Anforderungen der Liga entsprechen. Das lässt sich sogar mathematisch belegen, anhand der magischen Anzahl von 40 Punkten für den Klassenerhalt.

Rein theoretisch wäre es nach der Einführung der Drei-Punkte-Regel demnach möglich, auch mit 57 Punkten nur auf dem Relegationsplatz zu landen und andersrum auch, selbst mit nur sechs Punkten einen Platz darüber. Das für die Realität zu halten, ist natürlich albern. Ein realistischeres, statistisches Szenario beziffert die Mindestpunktzahl für den Klassenerhalt mit plus-minus 40 Punkten. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Leistungsfähigkeit der Bundesligisten in etwa ausgeglichen ist. Den Rest regeln die individuelle Klasse einzelner Spieler und natürlich der Zufall. In dieser Saison wird es aber keinem der Teams im Abstiegskampf gelingen, auch nur annähernd an diese magische 40-Punkte-Marke ranzukommen. Das Schneckenrennen wird weitergehen. Daraus folgert, dass die Qualität dieser Mannschaften im Ligavergleich absolut unterirdisch ist, was ja dazu recht überzeugend auch durch das jeweilige Torverhältnis dokumentiert wird.

Zweitliga-Trainer Achim Beierlorzer stellte am Wochenende nach dem 2-1-Sieg seiner Regensburger über den VfL Bochum und das Erreichen der 40-Punkte-Marke ganz nüchtern fest: "Das Navi würde sagen: Sie haben Ihr Ziel erreicht!" Beim orientierungslosen Gekicke der akut abstiegsbedrohten Erstbundesligisten fiel dem Navi seit Saisonbeginn vermutlich nur eine Ansage ein und zwar in Dauerschleife: "Achtung! Wenn möglich, bitte wenden!" Nun ist es aber zu spät auf den richtigen Weg zurückzukehren und es geht unweigerlich auf den Abgrund zu. Das ist genau der Plot, der jeden Alptraum ausmacht.

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