Das Debakel mit der Dummheit

Während der Länderspielpause hab ich meinen Moralischen bekommen. Hier steht, warum mir das passiert ist.

Blau gegen rot. Die Einen gegen die Anderen. Aus der persönlichen Perspektive betrachtet: Die gegen uns. Seit jeher schlummert in unserer Sportart ein Dilemma: Die Natur des Spiels offenbart die Unterschied zwischen denen, die rechts ein Tor schiessen wollen und denen, die dasselbe auf der linken Seite vorhaben. Jeder will gewinnnen. Ohne dieses auseinanderklaffende Interesse, den Gewinn für sich einzufahren, funktioniert's nicht mit dem Fußballspielen. Wie gut, dass man das Problem bereits bei der Erfindung der Sportart erkannt hatte. Dankenswerterweise haben die Engländer gleich das Sportsmanship miterfunden. Darin verankert sind Fairness und Anstand im Umgang miteinander. Das Wichtigste am Sport soll demnach nicht das Gewinnen sein (vulgo: Sieg!), sondern die Begegnung, das Miteinander und der gemeinsame Sport.

So verstanden taugt der Sport prächtig zur Völkerverständigung. In der Geschichte gab es unzählige Spiele, bei denen das Ergebnis herzlich egal war. Das erste Auftritt der Deutschen nach dem zweiten Weltkrieg zum Beispiel – in Stuttgart gegen die Schweiz. Auch die Begegnungen des sogenannten deutsch-deutschen Sportkalenders gehören dazu. In der Positivliste darf aktuell das WM-Quali-Spiel Nord- gegen Südkorea in der letzten Woche aufgenommen werden. Leider ohne Zuschauer. Auch bei den Fans findet man das Motiv der Begegnung. Wegen eines Fußballspiels fahren allerfeinste Mädels und Kerls auswärts – auch und vor allem deshalb, weil sie dort Leute kennen oder kennen lernen. Im Kleinen scheint manches in Ordnung.

Die Großen

Im Großen und Ganzen geht's gerne schief. Verbände neigen dazu, große Turniere an autoritäre Regime zu vergeben. Es geht weniger um Weltoffenheit, mehr um Korruption. Völkerverständigung verschönert nur die Fassade. In der letzten Länderspielpause sind nun gleich zwei Attentate auf Sportsmanship und Menschlichkeit öffentlichkeitswirksam in den Stadien verübt worden. Die türkischen Spieler demonstrierten mit Militärgruß deutlich, dass es nicht nur um den Sieg auf dem Platz geht. Wenn sie ins Tor treffen, wollen sie damit den Wunsch verbinden, dass ihre Landsleute an anderer Stelle ebenfalls treffen. In Bulgarien hatte sich eine breite sogenannte Fangruppe formiert, um die englischen Gäste rassistisch herabzuwürdigen. Grundsätzlich ist das alles nicht neu: Der Fußball als Bühne. Benutzt auch von denen, die sich beim Dummsein zuschauen lassen wollen – freiwillig oder gesteuert von anderen, noch größeren Dummköpfen.

Holger Gertz hat festgestellt: "Den Fußball in ihrem Sinn zu politisieren ist für die Antidemokraten deshalb so interessant, weil aus dem Fußballbetrieb kein Widerstand zu erwarten ist." Es gibt dort keinen, der das Thema auch nur im Entferntesten im Griff hätte. Statt dessen: Geldzähler, Schwätzer, Konzepttrainer, Zwischenraumspieler, Marketingexperten, Einwurfcoaches, Bildertreppichknüpfer, Trainerlegenden, Torwartlegenden, Stürmerlegende, nein, an Legenden mangelt es es schon mal gar nicht."

Die Dummheit

Dummheit ist ein Debakel. Wirkungsvolle Strategien sind rar. Zum Beispiel beim Rassismus. Im Vorfeld des Auswärtsspiels in Bulgarien hatten die Engländer solidarisch angekündigt, das Spielfeld geschlossen verlassen zu wollen, sollten einzelne Spieler rassistisch beleidigt werden. Hinterher muss man diskutieren, ob die grundgute Ankündigung den kleinen Haufen bulgarischer Idioten eventuell zusätzlich angestachelt haben könnte. Inzwischen sind Verbandschef und Nationaltrainer in Bulgarien zurückgetreten. Der eine hatte jahrelang nichts gemacht, der andere (übrigens ein Trainer namens Krassimir Balakow) einen Abend lang nichts gehört. Entlassungen sind allerdings nur wirkungsvoll, wenn daraus keine Dummkopfrochaden werden.

Wenn die Gesellschaft verkommt, verkommt auch der Fußball. Was will man auch machen? Selbst in Einzelfällen ist es schwierig. Nach dem VfB-Spiel gegen Kiel berichtet @Pachi auf Twitter: "Spiel und Pfiffe heut waren schlimm genug. Die "Judas"- und "südamerikanisches asoziales Pack"-Rufe der Hooligan-Fratze hinter uns in Dauerschleife in Richtung Insua haben dann die Grenze des Erträglichen endgültig überschritten." Auf die Nachfrage, warum ihm keiner das Maul gestopft hat, antwortet @Pachi: "Ganz ehrlich: Hat sich keiner, uns eingeschlossen, getraut. Die Bezeichnung "Hooligan" war nicht umsonst." Verständlich, lieber @Pachi.

Das Verbrechen

Wenn Rassismus kein Einzelfall mehr ist, wird die Angelegenheit noch komplexer. Bei Juventus Turin offenbart sich aktuell, wie sich rassistische Scheisse multiplizieren kann. Mehrere Fananführer sind bereits verhaftet worden. Allerdings aufgrund von Drogendelikten und Mordfällen. Ob die entsprechenden Teile der Kurve noch von Ultras oder schon von der N'drangheta kontrolliert werden, ist Ansichtssache. Fest steht: Dort benutzen einzelne gut organiserte Fangruppen längst rassistische Parolen, um den Verein zu erpressen. Sie wollen Freikarten und Sonderrechte – und diejenigen ruhig stellen, die sich gegen ihre Macht auflehnen. Rassismus als Instrument. Wirkt in der Potenz. Abscheulich Hilfsausdruck.

Fest steht nur eines: Rassismus würdigt niemals nur Einzelne herab. Diese Dummheit trifft alle. Langfristig hilft nur eines: Entschlossenes Handeln gegen jeden Anflug von Beschränktheit – auch und gerade im Alltag. In Deutschland ist damit vor allem der Kampf gegen die Partei gemeint, bei der Blau und Rot direkt aufeinandertreffen.

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