Wollen wir wetten?

Der VfB Stuttgart macht heuer auf seinem Trikot Werbung für den Wettanbieter WINAMAX. Finden viele Fans nicht okay. Wegen eigener Werte und so. Aber welche, warum und wieso? Höchste Zeit, mal Tacheles über Werte beim VfB zu reden.

Wenn über Werte geredet wird, geht es in der Regel nicht um die Werte selbst, sondern meist nur um ihren Verlust. Über Werte spricht normalerweise keine Sau, es sei denn sie gehen irgendwo verlustig. Der Wertverlust ist auch heutzutage ein vielbeklagter Umstand. Das ist nicht nur monetär zu verstehen, sondern vor allem auch in moralischer Hinsicht zu sehen. Gegen den Verlust von Werten scheint kaum ein Kraut gewachsen. Dabei schreiben wir doch die Werte extra nieder, um sie nach der Proklamation nicht gleich wieder zu verlieren. Werte werden seit jeher nach Gutdünken in Wertmaßstäben fixiert, als Wertekanon fabuliert, oder gar, für die Lateiner, in einem Codex paraphrasiert. Gesellschaften einigen sich mit solchen proklamierten „Werten“ auf einen Minimalkonsens von Wertvorstellungen, die wünschenswerterweise von ihren Mitgliedern einzuhalten seien. Das Gute, bzw. meist das Schlechte, an solchen Werten ist, dass sie anders als Gesetze, nicht sanktionsbewehrt und mit hoher Verbindlichkeit für alle gelten, sondern eher so larifari als Empfehlung anzusehen sind. Wer gegen Wertvorstellungen verstößt oder gar der Werte komplett verlustig geht, hat eher wenig bis gar nichts zu befürchten.

Dieses Larifari stellt bei Werten ein Problem dar. Denn wer sich selbst Werte vorgibt, und deren Einhaltung nicht aktiv einfordert und Verstöße dagegen ggf. auch sanktioniert, der kann das mit den Werten auch gleich ganz bleibenlassen. Juckt ja eh‘ keinen. Bei vielen börsennotierten Unternehmen, Banken und Kapitalgesellschaften hat man daher bereits vor vielen Jahren mit diesem Larifari-Gedöns zum Thema „Werte“ Schluss gemacht und zum Teil knallharte, sogenannte Compliance-Regeln eingeführt, um einem für das Unternehmen schädlichen Verstoß gegen die selbstauferlegten Werte vorzubeugen. Solche in Compliance-Regeln festgelegten Wertmaßstäbe zeigen sich zum Beispiel beim Thema Korruption oder auch im alltäglichen, menschlichen Umgang miteinander als sehr wirkungsvolles Instrument. Dass es immer ein paar Idioten gibt, die sich einen Scheißdreck um „Werte“ kümmern, ist selbstverständlich, denn auch hier gilt die allgemeinverständliche Regel „Ein paar Arschlöcher gibt’s überall!“ Auch beim VfB gibt’s Leute die sich einen Dreck um Werte scheren!

Am Samstag, vor dem Spiel gegen Bochum, traf ich in der U-Bahn nach Cannstatt gleich eine ganze Horde davon. Etwa 12 postpubertäre Bürschchen, die sich auf dem Weg zur Karawane in ihrem Alkoholrausch nicht verkneifen konnten, einen an Dummheit kaum zu überbietenden Wechselgesang vorzutragen, bei dem es unter großem Gelächter und Holladihoppssassa-Gegröhle ausschließlich darum ging, dass Frauen wertlos seien und Frauen vergewaltigen und schlagen auch ganz okay. Auf meine Frage, was daran lustig sein solle, wussten zwei der Bubis keine rechte Antwort. Auf die Frage, was ihre Mütter wohl von ihnen denken würden, falls sie ihnen nun zuhören könnten, kam nur betretenes Schweigen. An der Haltestelle Minaralbäder verließen dann einige Frauen fluchtartig den Wagen. Auch das ist leider immer noch viel zu oft ein Werteverlust, der direkt mit dem VfB zu tun hat. Falls wir tatsächlich beim VfB jemals einen mit Konsequenz durchgesetzten Werte-Kanon haben sollten, möchte ich, dass solche Idioten (no need to gender) niemals wieder das Neckarstadion betreten dürfen. Und für diese Konsequenz fielen mir noch eine ganze Reihe anderer Kandidaten ein. Dass dann auch Ata Karazor einst Opfer eines solchen Wertekanons geworden wäre, darüber sollte sich aber auch jeder klar sein.

Der VfB betrachtet das mit den Werten auf der Homepage im O-Ton eher so: „Wir sind Vorbilder – sowohl auf, als auch neben dem Platz – haben Mut zu Talenten und sind schwäbisch innovativ. Wertvolle Eigenschaften und Fähigkeiten, die keinen Status quo beschreiben, sondern ein Ideal, an dessen Erreichen kontinuierlich und gemeinsam gearbeitet werden muss. Das macht den VfB so besonders und so besonders einzigartig. ‚So sind wir – so isch der VfB‘.“ Ja, so isch er! Obwohl dieses Worthülsen-Gebrabbel fürchterlich formuliert ist, ist darin dennoch eine Botschaft zu erkennen. Das mit den „wertvollen Eigenschaften und Fähigkeiten, die keinen Status Quo beschreiben“ will sagen, dass wir eigentlich nix besser sind als alle anderen, aber schlau genug zu wissen, dass es keiner sofort merkt und wir derweil kontinuierlich daran arbeiten, etwas besser zu werden. Das dürfte auf Dauer nicht reichen. Zum Vorbild schon gar nicht.

Der aktuell vor allem von den Fans beklagte „Werteverlust“ beim VfB dreht sich um die Sponsoren, WINAMAX und „Jokerstar“. Das eine Unternehmen kommt aus Frankreich und operiert im Internet. Es bietet vor allem in Frankreich Casino-Spiele an, sowie in mehreren Ländern Europas auch Sportwetten. Das andere Unternehmen ist aus Oberschwaben, also lokal verwurzelt, wie es der VfB-Wertekanon für Sponsoren sogar ausdrücklich vorsieht. „Jokerstar“ ist quasi der analoge Ahne der heutigen, digitalen Spieleindustrie und steht ein wenig für den Spielhallencharme vergangener Zeiten, als Glückspielautomaten, Zigarettenqualm und der Duft nach Pommesfett und abgestandenem Bier noch zwingend zusammengehörten. Die Klage über diese beiden Unternehmen führt ins Feld, dass (auch legales) Glücksspiel süchtig mache und vor allem Jugendliche bereits nach kurzer Zeit in eine finanziell ruinierende psychische Abhängigkeit treiben kann. Die Unterstützung solcher Geschäfte fördere dieses Problem und verstoße daher gegen die Werte des Vereins.

Dass Glücksspiele des Teufels sind und aufgrund der genannten Gefahren streng reguliert, wenn nicht gar verboten gehören, ist vermutlich gesamtgesellschaftlich gesehen eine durchaus mehrheitsfähige Ansicht. Etwa so wie das Tempolimit auf Autobahnen. Ob sie deswegen auch gegen die „Werte“ des VfB Stuttgart verstoßen, steht auf einem anderen Blatt. Das ist ja genau das Verflixte an diesen Larifari-Wertesammlungen, wie sie sich vielerorts und so auch auf der Homepage des VfB finden. Es ist schade, dass das Thema „Werte“ bei so vielen Diskussionen der vergangenen Jahre, in denen das Selbstverständnis des VfB in der Post-Dietrich-Zeit neu definiert werden sollte, immer nur eine Nebenrolle spielte. Obwohl seit der Ausgliederung der VfB Stuttgart nichts anderes als eine Kapitalgesellschaft ist, gelten dort zum Benimm immer noch die auf Freiwilligkeit basierenden Spielregeln eines Dorfvereins. Es ist ja legitim, sich mit einem Playfair-Konzept und ein paar generellen Aussagen zum zwischenmenschlichen Umgang miteinander sowie zur Nachhaltigkeit so etwas wie einen Werte-Kanon zusammenzubauen und etwas zu diesen Themen auszustrahlen. Stiftung gründen kommt auch immer gut. Das alles wäre in der Dietrich-Ära noch undenkbar gewesen. Doch so erweckt es eben auch nur den Anschein, dass der Verein so etwas wie ein stabiles Wertefundament besitzt, das sich von den Mitgliedern einfordern ließe und zur berechtigten Klage wie bei den genannten Sponsoren aus der Glücksspielindustrie Anlass gäbe.

Solange diese „Werte“ so unverbindlich und auch lieblos und nur als schmuckes Beiwerk in der Darstellung des Vereins existieren, wird sich daran nichts ändern. Neben den vielfältigen Bestrebungen von Fans, die Satzung des Vereins mit Anträgen auf der nächsten Mitgliederversammlung zu verbessern, ist es dringend notwendig auch das Thema „Werte“ und „Compliance“ sehr bald auf die Tagesordnung zu setzen. Wenn Werte „gelebt“ werden sollen und Grundlage für alles Handeln in diesem Verein, müssen diese Werte definiert und konkret für dieses Handeln benannt werden. Solange nirgendwo steht, dass Sponsoren aus bestimmten Branchen nicht zum Werte-Kanon passen, lässt sich das kaum einfordern und so lassen sich auch solche Sponsorenverträge nicht verhindern. Albert Einstein wusste vieles und auch dazu gut Bescheid: „Der Sinn des Lebens besteht nicht darin, ein erfolgreicher Mensch zu sein, sondern ein wertvoller Mensch.“ Das werden Bundesliga-Vereine leider so nie unterschreiben können. Bei ihnen wird auch zukünftig immer der Erfolg weit über den Werten stehen. Auch beim VfB. Wollen wir wetten?

 

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