Wie ich lernte ans Gute im Fußball zu glauben

Aktionsspieltag in der Bundesliga. !Nie wieder. Überall sind die Colors der Community zu sehen. Meine ganz persönliche Sicht auf diesen Spieltag.

Aktionsspieltag in der Bundesliga. Nicht der erste seiner Art. Es ist ja dauernd irgendwas. Danke an das Ehrenamt, Gedenkminuten, Strich durch Vorurteile, Solidarität mit Irgendwem, Black Lives Matter und was nicht alles. Alles gute Sachen, keine Frage. Aber ich hab es nie geschafft, die Frage zu verdrängen, wer davon wohl mehr profitieren könnte: der Fußball oder die gute Sache? Ja, ketzerische Frage, ich weiß.

Wie ich draufkomme?

Nun, ganz einfach. Ich schau' mir seit Monaten und Jahren mit offenem Mund an, wie der DFB versucht, die Steuer (also das Gemeinwohl) zu umtricksen. Ich stelle fest, dass ein gewisser Friedrich Curtius beim DFB sich aus Verbandsgeldern 20.000 Euro nimmt, um sich seinen Wiki-Eintrag zu pimpen. Ich registriere, dass dieser Dr. Selbstdarsteller Curtius weit weg davon ist, achtkant gefeuert zu werden. Die Mafia hält zusammen. Und ich beobachte seit Jahren, wie abgehoben die Geldverteilungsmaschine Profifußball funktioniert, ohne sich einen Gedanken darüber zu machen, aus welchem Folterstaat die Millionen kommen, die da verbrannt werden. Und, und, und,...

Vor diesem Hintergrund wiederhole ich die Frage: Muss der marode Fußballbetrieb nicht dankbar sein, wenn er mit ehrenhaften gesellschaftlichen Kampagnen von der eigenen Verkommenheit ablenken kann? Die Frage ist bewusst so gestellt, dass sich jeder meine Antwort vorstellen kann. "Dankbar muss der Fußball sein. Zutiefst dankbar," dachte ich bis letzten Donnerstag. Aber am Wochenende war Aktionstag. Ich hab's mir anders überlegt.

!Niewieder" lautete das Motto

Am Freitag lief der VfB mit Regenbogenbrustring auf. An jedem Heimspiel dieses Spieltags war die Regenbogenflagge zu sehen. Alle haben mitgemacht. Überall. Alle beteiligten sich. Es war eine der vielen Aktionen im Rahmen des Aktionsspieltags !Niewieder. Mit Aktionen und Veranstaltungen erinnerte der deutsche Profifußball an diesem Wochenende allen Menschen, die durch die Nazi-Diktatur und deren Folgen unmittelbar betroffen waren. Man wollte ein Zeichen für Vielfalt und Toleranz setzen – und gegen den alltäglichen und aktuellen Rassismus, die Fremdenfeindlichkeit, den Antisemitismus und die Diskriminierung aufgrund Geschlecht, Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung. Der letzte der genannten Aspekte stand in diesem Jahr im Mittelpunkt der Aktionen. Darum überall Regenbogenflagge. Und irgendwo im kleinen prophetischen Hinterstübchen hörte ich meine eigene Skepsis leise meckern. "Pink Washing", flüsterte sie. "Jetzt schmückt sich dieser verkommene Profibetrieb auch noch mit den Colors der Community. Mahlzeit."

Ich habe mich geirrt

Ich gebe es zu. Dieser Aktionsspieltag war wichtig und hilfreich. Tatsächlich. Und das betone ich nicht aus dem fadenscheinigen Grund, weil ich die Ehre hatte, eine Online-Diskussion zum Thema zu moderieren. Es geht um mehr. Schon am Freitagabend beim VfB-Heimspiel war in den zuständigen Fachforen der übliche Dreck zu lesen, von wegen man solle Fußball und Politik trennen, diese linksgrünversiffte Scheiße wäre des Vereins nicht würdig, dessen Vereinsfarben doch satzungsgemäß weiß-rot wären. Als ich das las, nahm ich einen Buntstift und strich das Wort Pink Washing durch.

Stattdessen hab ich zugeschaut, wie Vielfalt und Toleranz einen glänzenden Sieg einfuhren. Fast zu Null. Unter dem bornierten Hinweis auf die Vereinsfarben waren bei einem bekannten VfB-Blog in einer halben Stunde rund 50 Posts zu lesen. Sämtliche 50 stellten sich deutlich dem Mist entgegen. Ebenso bei den vielen Statements der anderen Vereine. Manchmal, nur manchmal, sind soziale Medien auch zu etwas gut. Im Stuttgarter Blog waren wir also bereits 51, die jetzt sicher wussten, dass sie nicht alleine waren. Den paar Intoleranten rufe ich auch mit diesem Beitrag zu: Wir sind mehr! Mehr! Viel mehr! Es ist schließlich kein Zufall, dass der mutmaßliche Schöpfer der Colors, ein gewisser Gilbert Baker, alle Farben in die Hand nahm. Außer Braun.

Natürlich ist es schockierend, welcher Mist an diesem Wochenende verzapft wurde. Schalke hat es besonders hart getroffen. Dort retweetete AfD-Verfassungsfeind Stephan Brandner einen !NieWieder-Spot. Sein Kommentar: "#S04 setzt Zeichen. Nicht nur in der Tabelle". Die Reaktion des königsblauen Mediateams wird hier gerne in voller Länge aufgeschrieben: "Herr Brandner, sich über Werte wie Vielfalt und Toleranz lustig zu machen, ist für einen gewählten Volksvertreter arm. Unabhängig von unserer sportlichen Situation: Schalke wird nie auf ihr Niveau absteigen. #S04 | #StehtAuf". Auch in anderen Vereinen mussten die Sozial-Media-Abteilungen Sonderschichten einlegen. Sie haben sich gelohnt. Es gehört schon mehr dazu, als eine bunte Fahne zu hissen. Die Bundesliga hat es am Wochenende bewiesen. Darf man auch mal hübsch Danke sagen. Mach ich gern.

Danke.

Der Verweis auf die Podiumsdiskussion, die vom Fanprojekt Stuttgart blau (Kickers) und vom Fanprojekt Stuttgart rot (VfB) gemeinsam gestaltet wurde, darf ich (trotz meiner Moderation) empfehlen.

Es diskutierten:
- Markus Pfalzgraf, Sportverein Abseitz Stuttgart e.V., Leiter Fußballabteilung und Mitglied im schwullesbischen Fanklub des 1.FC Kaiserslautern
- Holger Edmaier, Geschäftsführer der Initiative 100% Mensch
- Christoph Rudolph vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland, der seit kurzem Ansprechperson ist in der Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt, der der DFB kürzlich eingerichtet hat.
- Matthias Becher, Geschäftsführer des SV Stuttgarter Kickers e.V.

Kurzer Überblick des Inhalts
- Einleitung bis 9:21
- Vorwort Eberhardt Schukz, Sprecher !Niewieder ab 9:21
- Vorstellung der Gäste ab 20:00
- Sport und Diversity ab 38.00
- Coming-out ab 45:00
- Fanblock ab 1:07
- Diversity-Management im Verein 1:15
- Synergien 1:33
- Best Practise 1:42
- Haltung und Begriffe 1:47

(Bitte meine "Ähms" nicht mitzählen, danke)

Verwandte Artikel