Das königsblaue Wunder

Der neue Schalke-Trainer David Wagner hat nichts weniger als ein Wunder vollbracht. Wer ist dieser Mann, der Blinde sehend und Lahme gehend machen kann?

Schalke 04 schlug am Wochenende den Tabellenführer RB Leipzig mit 3-1 und setzte eine kleine Erfolgsserie fort, die eigentlich niemand für möglich gehalten hätte. Nicht einmal die Schalke-Fans selbst, die sich Spieltag für Spieltag verwundert darüber die Augen reiben. Zu frisch sind noch die Erinnerungen an die letzte Saison, in der mit einer saft- und kraftlos sowie vollkommen talentfrei wirkenden Mannschaft der Abstieg gerade mal so noch abgewendet werden konnte. Umso erstaunlicher ist der momentane Erfolg, denn es stand in Leipzig ja die in großen Teilen selbe Schalker Mannschaft auf dem Platz, die in der letzten Saison so rein gar nichts zustande brachte. Ein Wunder. Blinde können plötzlich sehen und Lahme wieder gehen. Der neue Trainer David Wagner macht diesen Unterschied ganz offensichtlich aus.

David wer? Selbst eingefleischten Schalke-Fans war der Name David Wagner zunächst kein Begriff als die Nachricht von seiner Verpflichtung auf Schalke die Runde machte. Und das, obwohl er als Spieler zum Kader der legendären Euro-Fighter gehörte, der 1997 im Finale gegen Inter Mailand den Uefa-Cup gewann. Der Stürmer David Wagner wurde aber nur selten vom damaligen Trainer Huub Stevens eingewechselt, weshalb sein Name bei der Aufzählung der Europa-Cup-Helden nur sehr selten auftaucht. Wagner lief von 1995-97 für die Schalker auf und avancierte in dieser Zeit auch als Nationalspieler für die USA, dem Heimatland seines Vaters. Vor seiner Schalker Zeit spielte er für den FSV Mainz und dort zusammen mit Jürgen Klopp, mit dem er seither eine enge Freundschaft pflegt. Womit wir wieder bei seinen wundersamen Kräften als Trainer wären, die ja auch Herrn Klopp in Liverpool gern nachgesagt werden.

Was der Klopp für Liverpool ist, ist der Wagner für, nein, (noch) nicht für Schalke, sondern für Huddersfield. Dort im Norden Englands, beim Huddersfield Town AFC, hat er sich innerhalb von etwa drei Jahren einen Heldenstatus erarbeitet, der den Nimbus Klopps in Liverpool sogar noch in den Schatten stellt. Klopp machte in Liverpool sozusagen aus Silber echtes Gold, was ja beim Wunder vollbringen auch schon nicht ganz so leicht ist. David Wagner hingegen brachte in Huddersfield im Handumdrehen eine Fußballwüste zum Blühen und machte sozusagen Staub zu Gold. Was in Wunderdingen mal ganz weite vorne wäre. Als er von Borussia Dortmund kommend den Club in Huddersfield im November 2015 übernahm, befand der sich in der Championship in arger Abstiegsgefahr. Es gelang Wagner in der Saison 2015/16 den Abwärtstrend zu stoppen und den Klassenerhalt doch noch zu schaffen.

In der Folgesaison verpasste David Wagner dann dem Team seine Handschrift und führte es bis in das Playoff-Finale der Championship, das gegen Reading im Elfmeterschießen 4-3 gewonnen wurde. Dieser Aufstieg in die Premier League glänzt in einem ganz anderen Licht, wenn man bedenkt, dass der Gesamtmarktwert aller Spieler des Kaders damals bei nur 19 Millionen Euro lag. Im aktuellen Kader des Liverpool FC finden sich kaum Spieler, die ganz allein für diese Summe zu haben wären. Mit so einer Mannschaft aufzusteigen, ist schon beachtlich. Aber sich dann mit so einem, hinterher nur geringfügig aufgerüsteten, Low-Budget-Kader in der Premier League zu behaupten und sogar die Klasse zu halten, das ist eine wahrlich bemerkenswerte Leistung. Und die spricht man in Huddersfield allein David Wagner zu.

Das Ganze muss anstrengend für ihn gewesen sein, denn Mitte der Saison 2018/19 kündigte der Erfolgstrainer des Huddersfield Town AFC seinen Abschied zum Saisonende an. Die drei Jahre hatten bei ihm offensichtlich Spuren hinterlassen. Der Manager eines Premier League Clubs ist ja nicht nur als Trainer gefragt, sondern auch für das Drumherum verantwortlich, für das etwa in der Bundesliga in der Regel Sportdirektoren zuständig sind. Als er dann in gegenseitigem Einvernehmen mit der Club-Führung in Person von Eigentümer Dean Hoyle doch bereits im Winter Platz für einen Nachfolger machte, war das für ihn und alle Beteiligten eine sehr emotionale Sache. Wenn bei einem Trainerabschied in der Bundesliga oder Premier League von "gegenseitigem Einvernehmen" gesprochen wird, kann man sich sicher sein, dass das hinter den Kulissen mit einem Tritt in den Arsch verbunden war. Nicht so in diesem Fall.

Der Club-Eigentümer Dean Hoyle fand gegenüber BBC Sport sehr einfühlsame Worte. Für ihn sei es ein "sehr trauriger Tag" und das Ende einer dreieinhalbjährigen Zusammenarbeit mit Wagner, in der selbst seine "kühnsten Erwartungen" weit übertroffen worden seien. "Wir haben den Club mit ihm zu den größten Erfolgen seit über 50 Jahren geführt und Erinnerungen geschaffen, die ewig sein werden." "David hat eine echte, wahre Liebe zu diesem Verein ... und hat selbst beim Rücktritt nur daran gedacht, was das Beste für Huddersfield Town sei." Bei seiner Verabschiedung von den Club-Mitarbeitern und der Mannschaft sollen Tränen geflossen sein.

Wagner hat den Club aus dem Nichts in die Premier League geführt und die dort verbrachten zwei Spielzeiten dürften auf der Einnahmenseite die zukünftigen Finanzen des Vereins über viele, viele Jahre gesichert haben. Was wünscht man sich mehr von einem Trainer? Auf Schalke hat er noch längst nichts erreicht, doch David Wagner hat offensichtlich das Potenzial dazu, auch dort einiges zu bewegen. Mit der Revitalisierung einer komplett darniederliegenden Mannschaft hat er die erste Wundertat bereits verbracht. Man kann ihm nur wünschen, dass er genügend Zeit dazu bekommt, weitere folgen zu lassen.

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