Das Prinzip Hoffnung

Fußballvereine sind Profis des Zweckoptimismus. Die personifizierte Hoffnung sitzt auf der Bank. Über einen Mechanismus, der nie an Wirkung verliert.

Gucken wir Fußball, weil wir ein schönes Spiel sehen wollen? Vermutlich nicht. Sonst würden Schalke, Stuttgart und Hannover in leeren Stadien kicken. Nein, Fans gehen zum Fußball, weil sie auf bessere Zeiten hoffen. Genau heute. Die Wende. Heut platzt der Knoten, wird der Bock umgestoßen, das Ruder rumgerissen und die Serie gestartet. Und wenn nicht heut, dann morgen. Oder eben in der nächsten Saison. Zwei Spieltage vor Saisonschluss lässt sich an vielen Bundesligastandorten besichtigen, was den Fußball am Leben hält: die Hoffnung auf bessere Spielzeiten. Die nächste. Endlich! Dann läuft alles besser. Von vornherein! Aufbruch Hilfsausdruck. Dann wird alles anders – in drei Monaten geht's wieder los. Bei Null.

Aktuell stecken im Grunde nur Bayern, Düsseldorf und Frankfurt im Glück. Bayern nur so semi. In Bremen, Mainz und Freiburg murmeln sie irgendwas in den eigenen Bart, irgendwas mit Fahrradkette. Gladbach und Hertha hadern mit dem Mittelmaß. Der Rest meckert, bruddelt oder flucht. Damit die Unzufriedenen auch bei der nächsten Saisoneröffnung wieder ins Stadion kommen, muss sich was ändern. Auch Vorstände und Aufsichtsräte sind nicht angetreten, um Stagnation oder Rückschritt zu verwalten. Es muss gehandelt werden. Ob gezielte Aktion oder blanker Aktionismus – das lässt sich kaum trennen. Wichtig ist der neue Impuls. Die Hoffnung braucht Nahrung, sonst keimt sie nicht.

Da die Faszination von neuen Spielsystemen oder anderen Strukturen nur den Intellektuellen zugänglich erscheint, braucht es plakative Maßnahmen: Neue Nasen müssen her! Nicht nur wegen den Fans. Vorstände und Aufsichtsräte mögen einfache Lösungen. Viele wollen sich als Macher profilieren. Man schillert so schön im Licht der Öffentlichkeit. Aus diesen Gründen kommt Marco Rose nach Gladbach, darum stellen Wolfsburg und Hertha ihre braven Trainer aufs Karussell. Farblosigkeit als Kündigungsgrund. Oliver Glasner heißt der Neue in Wolfsburg, nur der Vollständigkeit halber. Dagegen sehnt man sich auf Schalke nach Ruhe. Folgerichtig ist Bieder-Dieter im Gespräch. Aber selbst wenn Favoritenlösung David Wagner kommt, werden die königsblauen Pressekonferenzen wieder vorhersehbarer. Wagner wäre besser. Hecking als Hoffnungsträger ist nur schwer zu ertragen. Neue Hoffnung auch in Hoffenheim und Leipzig. Nagelsmann bewegt sich von da nach dort, und im Kraichgau regiert bald ein Holländer. Ob man sich dessen Namen überhaupt merken muss, ist noch nicht absehbar. Augsburg und Nürnberg fehlen noch, aber auch nur, weil sie erst kürzlich ihre Trainer tauschten. Nicht zu vergessen die Zweite Liga. Dort hat Frischaufsteiger Köln als Tabellenführer seinen Trainer entlassen. Anfang hat wider Erwarten die Championsleague verfehlt. Höchste Zeit, einen neuen Hoffnungsträger zu verpflichten. Bemerkenswert ist auch, dass auch die allgemeinen Wohlfühlvereine St. Pauli und Union stets schnell bei der Hand sind, wenn Trainer nicht funktionieren. Dort, wo Vereinstreue plakativ vor sich her getragen wird, ist es mit der Trainertreue nicht weit her. Andersrum gefragt: Tun sich Retortenvereine eigentlich leichter mit der Kontinuität bei den Übungsleitern? Diese Fundamentalanalyse verschiebe ich auf ein anderes Bulletin. Schauen wir auf die Gründe des galoppierenden Traineraktionismus.

Trainer lügen nicht

Tun sie es doch, müssen sie gehen. So einfach ist das. Und die Vereine profitieren davon. Fast wichtiger als die eigentliche Übungsleiter-Funktion erscheint die Symbolfunktion als personifizierter Hoffnungsträger. Rhetorisch begabte Erklärbären tun sich leichter als routinierte Phrasenmäher. Was Labbadia, Korkut oder Hecking von sich geben, hat man alles schon an anderer Stelle gehört. Sie mögen formidable Übungsleiter sein, sogar Menschenkenntnis haben. Als Personifizierung eines neuen Aufbruchs sind sie schwerlich zu ertragen. Hannes Wolf und Florian Kohfeldt wirken frischer - ganz unabhängig vom tatsächlichen Erfolg.

In Wahreit ist der Trainer als Einmann-Heiland gefordert. Man erwartet sich nicht anders als eine umfassende Glücksseligwerdung. Falls dieser Zustand wider Erwarten nicht eintritt, wird der Trainer zum Einmann-Sündenbock - und dann umgestoßen. Der Verein kommt vergleichsweise billig weg. Mannschaft entlassen wäre richtig teuer. In der Bundesligageschichte gab's das nur einmal, als Streich in Freiburg für Sorg kam, wurde in der Winterpause die halbe Mannschaft verkauft. Freiburg bleibt wie immer die Ausnahme. An allen anderen Bundesligastandorten fokussiert sich Wohl und Wehe auf den Trainer. An diejenigen unter ihnen, die zur neuen Saison antreten, werden übrigens besondere Erwartungen gestellt. Zur neuen Saison sollte keiner antreten ohne eine neue Philosophie mitzubringen. Das nennt man so, das hört sich groß an. Der neue Aufbruch braucht ein ideologisches Fundament.

Mal grundsätzlich gefragt: Warum hat eigentlich noch kein Verein ein gleichberechtigtes Trainerteam nominiert? Etwa vier bis fünf Leute, die eine gemeinsame Linie entwickeln, etwas Langfristiges, etwas Niedagewesenes. Dieses Team würde sich auch bei den Pressekonferenzen abwechseln. In wichtige Sitzungen mit dem Sportchef und Vorstand würde immer nur einer (aber immer ein Anderer) gehen, während die anderen arbeiten. Und ach: Im Team mindestens eine Frau. Nicht wegen Chancengleichheit, sondern aufgrund Bereicherung. Für das Spiel übernimmt einer aus dem Trainerteam die Funktion des TvD (Trainer vom Dienst). Wird gewonnen, darf der TvD weitermachen. Geht's schief, wird der TvD gewechselt. So spart man sich die Trainerwechsel. Nach jeder Niederlage darf man hoffen, dass mit einem neuen TvD alles besser wird. Utopisch? Och...

Dass die Person des Trainers kein Gesetz ist, zeigt sich schon der Blick in die Geschichtsbücher. Trainer tauchten dort erst auf, etwa 30 Jahre nachdem der Fußball erfunden wurde. Seither sind die Alleinunterhalter an der Seitenlinie ein fester Bestandteil des Business. Fahrende Handaufleger aus der Branche der Großgaukler, die bei ihrer Einstellung bereits die Entlassungsmodalitäten aushandeln. Vereinen und Fans dienen sie als personifizierte Hoffnungsträger. Schließlich wird nächste Saison alles besser. Überall. Der Neue wird's schon richten.

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