Die Nagelsmänner

Bayern-Trainer Julian Nagelsmann droht in seiner ersten Saison beim Rekordmeister auf ganzer Linie zu scheitern. Doch bei Licht betrachtet, ist das nicht sehr verwunderlich.

Oliver Kahn höchstpersönlich verhandelte im letzten Frühjahr mit den Leipziger Bossen, um seinen Wunschtrainer Julian Nagelsmann aus seinem Vertrag beim Brauseclub herauszukaufen. Bei einer solchen Personalie schickt man nicht den Brazzo vor. Eigentlich wäre es ja noch der Job von Kalle Rummenigge gewesen, doch der ließ dazu dem Titan den Vortritt, seinem designierten Nachfolger als oberstem Chef vom Dienst. Die von Leipzig geforderten 30 Millionen Euro empfand man als unangemessen. Seit wann kostet ein Trainer mehr Ablöse als vielversprechende Talente auf dem Platz? Fragte sich damals jeder. Und wieso soviel Geld für einen Trainer ausgeben, dem man nach der Mathematik der FC Bayern-Trainer-Statistik nicht einmal guten Gewissens empfehlen könnte, eine Immobilie zu kaufen anstatt zu mieten? Doch Kahn wäre nicht der Titan, wenn es ihm nicht gelungen wäre, die Leipziger auf etwa 25 Millionen in toto runterzuhandeln. Mit dieser Summe galt Nagelsmann bei seinem Wechsel zu den Bayern plötzlich als teuerster Trainer der Welt und das wird er auch wohl noch eine ganze Weile bleiben. Olli Kahns vehementes Eintreten für Julian Nagelsmann, trotz der im Verein nicht unumstrittenen Rekordablösesumme, machte ihn zu seinem Schicksalsgefährten auf Gedeih und Verderb. Kahn gehörte von Beginn an zum Team Nagelsmann. Und genau das wird für ihn nun zum Problem.

Julian Nagelsmann galt damals, wie sich durch zahlreiche Aussagen der Herren belegen ließe, für Hainer, Kahn und Salihamidzic, die Epigonen der Ära Hoeneß und Rummenigge, als ein großes Versprechen für die Zukunft. Und dazu als eine Abkehr vom althergebrachten Ritual, alle zwei oder maximal drei Jahre mit einem neuen Trainer neue Impulse zu setzen, falls es wieder mal nicht für das Halbfinale in der Champions League gereicht haben sollte. Die Verpflichtung Nagelsmanns war ein Startsignal für mehr Kontinuität und eine neue Philosophie in der Vereinsführung. Dabei war Nagelsmann trotz aller Vorschusslorbeeren doch eigentlich noch ein vollkommen unbeschriebenes Blatt. Die Meisterschaften als Trainer im Juniorenbereich werden kaum dazu ausgereicht haben, die Bayern-Bosse von seinen Qualitäten zu überzeugen. Das waren schon eher seine Verdienste mit Hoffenheim und Leipzig, jeweils eine Überraschungsmannschaft bis in die Champions League-Ränge zu führen. Mehr hatte Nagelsmann zuvor in seiner kaum mehr als 10-jährigen Karriere als Bundesligatrainer nicht aufzuweisen. Das klingt, angesichts seiner sehr dürftigen Bilanz zum Ende seiner ersten Bayern-Saison, schon sehr nach mehr Schein als Sein, doch das wird Julian Nagelsmann nicht gerecht.

Der junge Bayern-Trainer hat unbestreitbare Qualitäten. Die hat er in Hoffenheim und Leipzig eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Er verstand es dort hervorragend, die Stärken und die Leistungsfähigkeit der einzelnen, meist hochveranlagten jungen Spieler in einem Kollektiv zu bündeln, das strikt seinen taktischen Anweisungen folgte. Hinzu kommt eine hohe Flexibilität bei der taktischen Ausrichtung seines Spielsystems. Diese Flexibilität erlaubte ihm, vor allem in seiner Hoffenheimer Zeit, die Taktik exakt auf einen Gegner abzustimmen und bei Bedarf während eines Spiels sogar mehrfach zu ändern. In Leipzig verstand er es dazu meisterhaft, das von Rangnick über Jahre geprägte Spielsystem um eine defensiv weitaus stabilere Komponente zu bereichern. Das funktionierte an beiden Stationen nur deshalb sehr zuverlässig, weil der Verein und vor allem die Spieler genügend Geduld aufbrachten, Nagelsmanns Ideen in der Praxis umzusetzen. In Hoffenheim und in Leipzig gehörten alle bedingungslos zum Team Nagelsmann. Was ebenfalls erklärt, warum die Nagelsmänner in Sachsen ihn nur ungern gegen eine für einen Trainer gewaltige Ablösesumme nach München ziehen ließen. 

Nun, wo Nagelsmanns erste Saison in München, zumindest nach den an der Säbener Straße geltenden Gesetzen, mit dem Ausscheiden aus dem DFB-Pokal und der Champions League als rundum gescheitert angesehen werden kann, stellt sich natürlich jeder die Frage, woran es letztendlich gelegen hat. Die mutmaßlich richtige Antwort wurde am Ostersonntag in der Sendung „Doppelpass“ geliefert. Oliver Kahn legte sich dort wütend mit zwei Journalisten an, die mit dem Verweis auf Quellen aus dem Spielerumkreis behaupteten, dass es um die Stimmung in der Kabine, vor allem bei Robert Lewandowski, nicht zum Besten bestellt sei und einige Spieler schon seit längerem mit den Anweisungen und den Trainingsmethoden des Trainers haderten. Oliver Kahn wurde sich währenddessen offensichtlich bewusst, dass, neben ihm und Nagelsmann selbst, dem Team Nagelsmann bei Bayern nicht allzu viele weitere Nagelsmänner angehören. Seine Überraschung und Empörung, über diese (angeblichen) Insider-Informationen, wirkte nicht gestellt oder gespielt, die war echt. Und genau das ist das Problem. Kahn weiß offensichtlich nicht über alles Bescheid, was in seinem Verein vorgeht.

Der FC Bayern München wollte mit Nagelsmann in eine moderne und trotzdem erfolgreiche Zukunft einsteigen, in der nicht der Verein eine teure, erfolgversprechende Mannschaft zusammenkauft, die er einem x-beliebigen, Hauptsache renommierten, Trainer übergibt, sondern in der der Trainer mit seiner Philosophie das Handeln und die dazu passenden Spielertransfers bestimmt. Etwa ganz so, wie es Klopp bei Liverpool macht und es auch bei anderen Top-Vereinen der Premier League längst Usus ist. Ein spannendes Projekt. Doch dieser Umbruch ist beim FC Bayern krachend gescheitert. Zum einen, weil der Verein über keine dazu passenden Hierarchien und Machtstrukturen verfügt und zum anderen, weil offensichtlich die Spieler die für das System Nagelsmann notwendige Loyalität vermissen ließen.

Ein weiteres Problem ist die sehr erfolgsverwöhnte Fan-Base des Rekordmeisters, die der Verpflichtung Nagelsmanns von Beginn an sehr kritisch gegenüberstand. Nachdem Nagelsmann nun von unzähligen Morddrohungen in den sozialen Netzwerken berichtete, gegen ihn und auch seine Familie, dürfte eigentlich jedem klar sein, wie die Ära Nagelsmann bei Bayern enden wird. Er wird unter solchen Umständen vermutlich keine weitere Saison dort im Amt sein. Das ist keineswegs seine Schuld, sondern die der Verantwortlichen beim FC Bayern, die nicht erkannten oder erkennen wollten, dass der FC Bayern für Umbrüche solcher Art noch längst nicht bereit ist. Den richtigen Trainer dazu einzustellen, das reicht nicht, man muss ihm auch die dazu notwendigen Handlungskompetenzen einräumen. Und das wird ohne die entsprechenden Änderungen in der Machthierarchie nicht zu erreichen sein. So ist das spannende Projekt leider bereits beendet, bevor es jemals richtig begonnen hat. Schade drum! 

Foto: Steffen Prößdorf, via Wikimedia Commons

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