Ignoranz und Insolvenz

Fußballvereine sind an Leichtgläubigkeit kaum zu überbieten. Auch Mitglieder und Fans können nicht aus der Haftung genommen werden. Ein vorweihnachtlicher Streifzug durch die deutschen Ligen offenbart, dass ein durchschnittlicher Weihnachtsmann nicht reicht, um manche Traditionsklubs zu retten.

Größenwahn ist weit verbreitet, besonders im Fußball. Insbesondere Traditionsvereine sind gefährdet, die wieder nach oben wollen. Sie sind anfällig, schließlich haben sie in ihrer Verzweiflung etwas zu bieten, das sich gut vermarkten lässt: Tradition. Auch diejenigen, die gerne über die da oben meckern, kann man nicht aus der Haftung nehmen: Mitglieder und Fans. Sie hatten sich in den Verein verliebt, als es noch besser stand - und wollen nun schnellstens zurück nach oben. Koste es was es wolle. Wer eine solche Versprechung in den Raum stellt, wird gewählt. Ich weiß das, ich bin Fan des VfB Stuttgart. Aber es gibt schlimmere Beispiele.

Der Verein, der tatsächlich einen Präsi wählte, der im klinischen Sinne als verrückt gelten durfte, war der VfR Heilbronn. Die Amtszeit von Rainer Röhr war eine Mischung aus Komödie und Tragödie. Aufgeführt wurde das konfuse Stück am Beginn der Achtziger Jahre, als der selbsterklärte Messias Röhr aus dem Nichts auftauchte. Seine Behauptung, er hätte millionenschwere Sponsoren an der Angel, half ihm ins Amt. Stellvertreter fanden sich keine. Also herrschte Röhr wie Kaiser Nero. Der Schuldenberg des VfR Heilbronn war damals runde 500.000 Mark hoch. Als die Hauptversammlung Rainer Röhr zum Präsi wählte, hatten die Mitglieder die Rückkehr in die Zweite Liga im Sinn. Die Heilbronner Geschichte hat inzwischen vierzig Jahre auf dem Buckel.

Leider ist die olle Story aktueller denn je. Im Mittelbau des deutschen Fußballs findet man manche Beispiele, die an die Heilbronner Leichtgläubigkeit erinnern. Viktoria 89 Berlin beispielsweise. Nach der Fusion mit Lichterfelde wollte der deutsche Meister von 1908 und 1911 in diesem Jahr wieder nach oben. Berlins dritte Kraft wollte man werden. Ein chinesischer Investor, die Advantage Sports Union Ltd. aus Hongkong versprach Unterstützung. 90 Millionen Euro standen im Raum. Seit zwei Wochen ist der Verein insolvent. Hongkong zahlte nicht. An der Leichtgläubigkeit der Viktorianer hat es sicher nicht gelegen. Niemals. Immer haben Andere Schuld.

Beispiel Wattenscheid. Im Sommer verkündete 09 das Ziel in die Bundesliga zurückzukehren. Eine Tech-Firma mit einer Fan-App wollte ein revolutionäres System etablieren und ordentlich Geld in den Verein stecken. Offenbar haben es die Wattenscheider ausgegeben, bevor sich die handelnden Personen zerstritten. Aktuell scheint der Verein am Ende. Ein Rettungskonto ist eingerichtet (siehe unten).

Unsere Freunde in Kaiserlautern können über solche Summen nur schmunzeln. Die roten Teufel müssen bis März 12 Millionen auftreiben. Wer für den ganzen Mist verantwortlich ist, dafür gibt es mehrere Theorien. Leichtgläubigkeit eines ganzen Vereins reicht als Erklärung nicht aus. Fest steht, dass über Jahre hinweg alle Kontrollmechanismen versagt haben. Falls es überhaupt welche gab.

Der Nächste, bitte... Nun, vermutlich handelt es sich um Bayer Uerdingen. Dort pumpt ein russischer Gönner, Mikhail Ponomarev, ordentlich Geld in den Drittligisten. Mit namhaften Spielern mischen die Krefelder die dritte Liga auf. Ponomarev ist beileibe kein Unbekannter. Eishockeyklub DEG schlitterte vor Jahren fast in die Insolvenz, als Ponomarev-Gelder plötzlich ausblieben. Auch Uerdingen ist komplett abhängig von dem Mann, der nicht unbedingt als dauerhaft zuverlässig gilt. Man muss kein Prophet sein... Die Häufigkeit solcher und ähnlicher Fälle lässt sogar die größten Liebhaber verzweifeln. Zeitspiel-Herausgeber Hardy Grüne schrieb kürzlich in einem Kommentar: "Mein Bedauern hält sich in Grenzen. Wer sich in die Hände des Raubtierkapitalismus begibt, muss damit rechnen gefressen zu werden."

Während Uerdingen noch von der Bundesliga träumt, will ich nicht verschweigen, wie die Geschichte in Heilbronn weiter ging: Die Millionen waren natürlich nur in der präsidialen Einbildung vorhanden. VfR-Präsident Rainer Röhr amtierte vier Wochen. Er versaute es sich zügig mit den Abteilungsleitern, den Ehrenamtlichen in der Geschäftsstelle und – was am Schlimmsten war – mit der Bank. Das Institut wollte alle Kredite kündigen, was die sofortige Insolvenz zur Folge gehabt hätte. Auf einer Sondersitzung gelang es einem Rettungskommando den gottgleichen Herrscher zu entmachten. Das Finale des Stücks spielte sich am innerdeutschen Grenzpunkt Mellrichstadt-Eußenhausen ab. Dort kontrollierten die Grenzer eine verwirrte Person, der mit einigen Ordnern vom VfR Heilbronn in die DDR einreiste. Angeblich zur Entspannung. Seither fehlt von Rainer Röhr jede Spur.

PS. Prophet Egbert Linthorst, 09er seit er denken kann, richtet folgenden Appell an die Propheten: Liebe Freunde des Fussballs, oder besser, liebe Freunde des Fussballs und der Tradition. Mein Verein, die SG Wattenscheid 09, steht unmittelbar vor dem kompletten Aus. Deshalb suchen wir Unterstützer zur Rettung dieses Clubs im Herzen des Ruhrgebiets. Unterwww.fairplaid.org/wirsindsgwattenscheid09kann man sich mittels einer Spende oder Ähnliches an der Rettung des Vereins beteiligen. Es fehlen 350.000 Euro. Es wäre wunderschön wenn ich über diesem Weg einige Traditionalisten erreiche. Allen ein schönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Glück auf, nur die SGW. Egbert Linthorst.

 

 

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