Schwarze Woche

Christian Seifert, Leon Goretzka, Kalle Rummenigge - wir hatten zum Jahresanfang schon bessere Fußballwochen erlebt. Wie alles zusammenhängt habe ich im kapitalprophetischen Bulletin des 19. Bundesligaspieltags zusammengefasst.
In den letzten Tagen haben wir einen kräftigen Vorgeschmack auf die neue Fußballwelt bekommen. Am Ende letzer Woche illustrierte eine Meldung von Sponsors.de wie die künftigen Schlagzeilen aussehen: Die Hamburger Privatbank Donner [&] Reuschel vertreibt in Kürze einen 200 Mio. Euro schweren Fonds für Investitionen im Spitzenfußball. Das Geschäftsmodell des Fonds besteht darin, das Geld mehrungswütiger Investoren zu bündeln, um bereit zu sein, wenn die 50+1-Regel in Deutschland so modifiziert wird, dass für Investoren aus China, Malaysia und dem Mittleren Osten ein Einstieg interessant wird. Unser Plan ist es, einem Verein Kapital zur Verfügung zu stellen, damit dieser seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern kann", sagte Martin Wolf, Geschäftsführer von Ideengeber SAI (Sports Advisory International GmbH) im Interview mit finanzen.net. Im Gegenzug würde SAI von den Clubs ein bis zwei Sitze im Aufsichtsrat fordern. "Im Idealfall können wir uns nach vier oder fünf Jahren zurückziehen und unsere Anteile mit Gewinn verkaufen", ergänzte Wolf.
Aha! So sieht die Fußballzukunft aus
Mitte der Woche sprach DFL-Geschäftsführer Christian Seifert auf dem Neujahrsempfang vor den Vertretern der Bundesligavereine, also denjenigen, denen die DFL mehrheitlich gehört. Bei Seifert darf man also davon ausgehen, dass die Meinungen kund tut, die sich die Präsidenten nicht äußern, weil sie sonst Ärger mit dem eigenen Anhang bekommen würden. Seifert nutzte das Podium für eine Brandrede. Sie war an die lausigen Europacup-Verteter gerichtet, die in dieser Saison eine nahezu lückenlos Niederlagenserie produzierten. Sie traf aber auch die missmutigen Amateurvereine, die sich abgehängt fühlen wie zentralsächsische Kleinbürger und all jede, die im modernen Turbo-Kapitalismus den Untergang des Fußballs prophezeien. Also auch mich, den Bulletinschreiber. Seifert wörtlich: "Von daher muss es auch der Anspruch der Bundesliga sein, im Wettbewerb der besten Ligen der Welt zu bestehen. ... Nur wenn wir dauerhaft eine intakte Spitze haben, bestehend aus mehreren Klubs, die europaweit mithalten können, erfüllt die Bundesliga dieses Versprechen." Er meinte das Leistungsversprechen.
Leistung mit allen Mitteln?
Einspruch, Herr Seifert. Halten wir fest: Egal, wieviel Geld im Spiel ist: In der Bundesliga wird es weiterhin einen Meister geben, ein paar Absteiger und viel Mittelmaß. Wenn sich die Liga nur am Abschneiden in Europa misst, begeht sie in Person von Christian Seifert gleich mehrere kapitale Denkfehler: Erstens übersieht sie die Zufälligkeit von Spielergebnissen, die wir in diesem Blog schon mehr nachgewiesen haben. Zweitens ignoriert sie das zahlende Publikum im Stadion und am TV, das sich wenigstens ein bißchen mit Vereinen und Haltung identifizieren möchte. Drittens redet sie einer weiteren Verlangweilung der Liga das Wort, denn sie kümmert sich nur um die besten Vereine. Also vor allem Bayern. Schon Schalke 04 ist für aufscheinende Talente bestenfalls ein Nachwuchsförderverein. Wer also, wie Seifert, mehr Kapital im Fußball haben will, nimmt logischerweise in Kauf, dass Geld und gute Spieler am Ende nur in München landen, wo die Zuschauer längst bei der Meisterfeier davonrennen, damit sie noch rechtzeitig vor dem Stau nach Hause kommen. Der Transfer von Leon Goretzka - auch dies ein Ereignis, das sich wie logisch in die schwarze Woche einfügt - bestätigt die düsteren Prognosen wie auf Bestellung. Ob des Transfers feiert nur einer: Kalle Rummenigge, die rotpickelige Intelligenz des Deutschen Fußballs, freut sich für's gesamte Fußballdeutschland, dass Goretzka der Bundesliga erhalten bleibt. Schließlich der vierte Denkfehler: Die Budgets, mit denen Seifert konkurrieren möchte, sind längst nicht mehr von Gelder gefüttert, die aus einem geregelten Wirtschaftsbetrieb stammen. Sie kommen bei PSG aus Katar, bei Atletico Madrid aus Aserbaidschan und bei den Mailänder Clubs aus halbdunklen chinesischen Quellen. Es handelt sich nicht um Investitionen, sondern Gelder, mit denen Außenpolitik gemacht und Machtansprüche festgeschrieben werden. Seifert muss sich die Frage gefallen lassen, ob er mit dem Image der Bundesliga ebenfalls zu Stabilisierung vorsinnflutlicher Unrechtsdikaturen beitragen will. Das Bayern-Trainingslager in Katar zu kritisieren, erscheint dagegen schon fast putzig.
Das Rattenrennen
Andreas Rettig, Manager von St. Pauli und vielleicht lautester Gegenspieler von Christian Seifert warnt vor den Folge des Kapitalmarktöffnung der Liga. Im Interview mit Capital beschreibt er die Folgen einer möglichen Aufweichung der 50+1-Regel (Was ist 50+1? Dazu hier mehr). Rettig prophezeit: "Dann würde die Jagd nach dem wirtschaftlich potentesten Investor losgehen. Ein Rattenrennen beginnt. Da das Budget zu großen Teilen den sportlichen Erfolg beeinflusst, käme es nicht mehr so sehr auf sportliche Konzepte, Managementqualitäten und die Unterstützung der Fans an. Stattdessen würde der Erfolg nur noch erkauft und die Romantik, dass der Kleine den Großen schlagen kann, auf der Strecke bleiben. Die Bundesligatabelle würde zur Forbes-Tabelle mutieren. Auch wäre eine ungehemmte Kapitalzufuhr aus womöglich nicht immer nachvollziehbaren Quellen ein Angriff auf die Integrität des Wettbewerbs. Und alle Wachstumspotenziale würden Investoren zufließen und möglicherweise den Klubs verloren gehen."
Zwischen Stuttgart und Malaysia
In Stuttgart ist man dank VfB-Präsident Dietrich bestens auf alle Szenarien vorbereitet. Dietrich schließt Fonds als Anteilseigner der Spielbetriebs-AG nicht aus. "Ob der Partner aus der Region kommt oder nicht, ist zweitrangig". Dietrich verkörpert dabei das schwäbische Wesen. Gegenüber Kapital waren wir noch nie fremdenfeindlich eingestellt. Dass Fonds sich auch als Konstruktionen eigenen, die die Herkunft von Geldern verschleiern - diese Tatsache lässt man besser unter den Tisch fallen. Doch Stuttgart ist nur kleines Licht in der gesamten Kommerzialisierungdebatte. Jüngst beantwortete eine NDR-sportclub-Sendung die Frage "Wem gehört der Fußball?" recht einhellig: "Der Fußball gehört den Fans!" Neben einigen Propheten kamen auch ein DFL-Verteter und Oliver Bierhoff zur Wort. "Der Fußball gehört den Fans" - dieser Satz spricht sich publikumswirksam in die Kameras. Die gespaltene Zunge, mit der manche formulieren, offenbart sich in einer schwarzen Woche wie dieser. Die Wahrheit ist: Der Fußball gehört in Kürze nur noch den Fans, die über eine Mio. Kapital aufbringen. Die Mindestzeichnungssumme für Anleger beträgt beim SAI-Fonds genau eine Million Euro. Die Laufzeit des Fonds ist bis 2028 angelegt, die Zielrendite liegt bei acht Prozent per annum. Schöne Fußballwelt.
PS. Ein Hinweis für alle Propheten im Stuttgarter Raum: Christoph Ruf liest aus "Fieberwahn", am 28.2, im Fanprojekt Stuttgart, Hauptstätter Straße 41. Moderiert wird die Veranstaltung vom amtierenden Bulletinschreiber. Freu mich auf jeden Propheten. Mit freundlicher Unterstützung von FC PlayFair! und Fanprojekt Stuttgart