Statistisch gesehen.

Statistisch gesehen muss es uns nicht wundern, dass ein Hoffenheim-Fan die Tabelle anführt. Er ist gebildet und weise, sagt eine aktuelle Studie. Wer glaubt, ich habe das erfunden, hat das aktuelle Bulletin des 11. Spieltags noch nicht gelesen.

Propheten wundern sich vergleichsweise oft. Jeden Montag mindestens. Mal ehrlich, als Prophet verschätzt man sich gerne. Man schaut auf die Bundesligaergebnisse und denkt, Mensch, denkt man, das könnte in diesem Wochenende aber für mich gelaufen sein. Oder man denkt, Mist, Mist, könnte man auch denken, die Ergebnisse spielen mir überhaupt nicht in die Prophezeiung. Und wie kommt es meistens? Genau: Immer anders als man denkt. Es ist doch verhext. Die Propehten-Tabelle ist das reinste Glücksspiel. Könnte man meinen. Aber es ist nicht so. Die Spielregeln sind hinterlegt. Hier. Und die Plattform ist völlig unbestechlich. Wer meint, er wäre im Moment zu schlecht weggekommen, dem bleibt nichts anderes übrig, als zur Fehleranalyse zurück an den Anfang zu gehen. An den Saisonbeginn. An die Momente, an denen man seine prophetische Tabelle eingeloggt hatte. Hätte man sehen können, dass das mit Hannover und Korkhut klappt? Hätte man ahnen können, dass der ganze Rest der Traditionsvereine unten rum spielt? Oder hätte man nach der WM nicht wissen müssen, dass nicht München sondern das dünner besetzte Dortmund in die Krise kommt? Möglicherweise kommt man zum Schluß, dass man sich nur länger mit dem Prophezeien hätte auseinander setzen müssen, um schlussendlich weiter vorne zu landen. Alle die dies denken, kann ich ein wenig beruhigen.

Wie lange muss man sich denn mit dem Fußball beschäftigen, um einigermaßen tragfähige Tipps abzugeben? Die Antwort gibt Joachim Marnitz im Interview mit blog-trifft-ball.de. Pausenlos müsste man sich damit beschäftigen. Professionell im wahrsten Sinne des Wortes, also berufsmäßig. Marnitz verdient sein Geld mit Sportwetten. Und zwar nicht als Buchmacher, sondern als Spieler. Als Buchmacher ist es verhältnismäßig einfach. Wer einige zuverlässige Mathematiker beschäftigt, kann die Quoten so setzen, dass man immer etwas daran verdient. Egal, wie das Spiel ausgeht. Außerdem wettet ja Hinz und Kunz. Vielleicht spielt Hinz ja noch mit Sinn und Verstand. Aber mindestens Kunz spielt nach Gefühl oder Sympathie, da ist es als Buchmacher leicht, einen guten Schnitt zu machen. Man benötigt nur ein wenig Kapital, um so eine Internet-Wettbutze aufzumachen. Dass man damit noch mehr Geld machen kann, das mag mir einleuchten.

Einen wie Marnitz bewundere ich als Propheten. Als Profiwetter muss er gewitzter sein als die Buchmacher, muss etwas besser machen als diejenigen, die damit Geld verdienen. Muss ihnen also einige Schritte voraus sein. Statistisch gesehen. Um so schnell zu sein, muss man nicht viel von Fußball verstehen. Man muss nur relevante von irrelevanten Statistiken unterscheiden können. Irrelevant, so Marnitz, ist übrigens die Ballbesitz-Statistik. Für diese Erkenntnis war ich ihm dankbar. Es geht, wie im letzten Bulletin geschrieben, nicht um die Länge einer Tikitakatikitakatikitaka...-Stafette. Es geht um den Rumms, der ertönt, wenn das Ding einschlägt. Und das hat eben mehr mit Geschwindigkeit zu tun, als der Anzahl der gelungenen Zuspiele. Außerdem ist es doch so: Wenn eine Mannschaft vorne ist, hat oft genug der Gegner öfter den Ball. Es ist die Mannschaft die hinten liegt, die den Ball dringender benötigt, um den Ausgleich zu erzielen. Dementsprechend kommt Ballbesitz häufiger bei denen vor, die gerade hinten liegen – und mit einer größeren Wahrscheinlichkeit das Spiel verlieren. Ballbesitz sollte nach dieser Logik eher ein Indikator sein für eine Mannschaft, die ein Spiel verliert. Alleine die Bayern sorgen allerdings dafür, dass es nicht so ist. Im Ganzen sorgen die beschriebenen Effekte dafür, dass Ballbesitz als Indikator für die Stärke eines Team völlig nutzlos bleibt.

Also der Ballbesitz ist es nicht, der uns den weiteren Verlauf der Saison anzeigt. Was aber dann? Nun, dazu empfehle ich das Interview mit Marnitz auf Blog-trifft-Ball.de. Die erste Erkenntnis: Was Marnitz leistet, um aus dem Fußball eine Glaskugel zu machen, das macht man nicht mal so nebenher. Zweite Erkenntnis: Fürs Prophezeien sind viele Techniken von Marnitz unbrauchbar. Denn sie beziehen sich auf Statistiken, der erst während der Saison entstehen. In so fern ist die Herausforderung, der sich die Propheten stellen, eine ungleich größere. Propheten entscheiden sich schon vor der Saison, also bevor die erste Saisonstatistik gemacht werden kann. Ein weiterer Beweis, dass es sich bei Propheten nur um eine ganz besondere Krone der fußballerischen Schöpfung handeln kann.

Wobei man gestehen muss: Experten, die nicht Fans der TSG Hoffenheim sind, haben es tendenziell schwerer. Bekanntlich mischen die beiden 1899-Propheten Ehret und Müske in dieser Saison ganz vorne mit. Ich hatte mich schon lange gefragt, woran das liegen könnte. Unter der Woche habe ich die Erklärung gefunden. Hoffenheim-Fans sind im Schnitt besser gebildet! Das entnehme ich dem Bundesliga-Magazin, Ausgabe 11. Das Magazin wird von der DFL herausgegeben und hat den Anspruch, interessante Fakten und Geschichten für Sport-Marketer zu liefern. Warum ich es bekomme, weiß ich eigentlich gar nicht so recht. Aber egal. Ich blätterte es durch. Wissend, dass meistens nichts besonderes drin steht. Hofberichterstattung für DFL und DFB. Doch der hofberichterstattenden Artikel über Hoffenheim, der war extrem lesenswert. Darin wird stolz berichtet, dass sich 1899 Hoffenheim zu einem regionalen Markenzeichen entwickelt hat und für eine hohe Wertschöpfung sorgt. (Ach nee!) Im Artikel wird der Sinsheimer Oberbürgermeister ausführlich befragt, und es stellt sich heraus, dass er sich sehr freut über den wirtschaftlichen Effekt, den die TSG generiert. (Was Wunder!) Weitere Selbstverständlichkeiten erspare ich den Propheten.

Weiter hinten im Artikel wird es dann doch interessant. Die Studie vergleicht Anhänger verschiedener Vereine untereinander und teilt die Fans in „Herzblut-Fans“, „Mainstream-Fans“ und „Fußballinterssierte“ ein. Dass Hoffenheim gegenüber den Traditionsvereinen vergleichweise weniger „Herzblut-Fans“ hat (Hoffenheim 17%, gegenüber 26% Herzblut-Fans bei Traditionsvereinen), das entlockt mir ein gefälliges Nicken. Auf die Idee wäre ich auch ohne Studie gekommen. Aber jetzt kommt’s. Ich zitiere: „Was auffällt: Im Vergleich zur gesamten Bundesliga sind 1899-Fans laut Studie substanziell älter – bei den Herzblut-Fans um 13,4 Jahre nämlich im Schnitt 39 Jahre. Auch in anderen Kategorien zeigen sich Unterschiede. Die Fußball-Fans in Hoffenheim sind höher gebildet, einkommensstärker und häufiger weiblich als an anderen Bundesligastandorten.“ (!!!) Statitisch gesehen.

Insofern müssen wir uns nicht wundern, wenn Prophet Wolfgang Ehret, die alte, gebildete, einkommenstarke Prophetin unsere Tabelle anführt. Von ähnlicher Weisheit ist Hoffenheim-Fan Frank Müske, der sich zwar 10 Plätze verschlechtert hat, was aber aufgrund seines überdurchschnittlichen Bildungsniveaus nur eine Momentaufnahme sein dürfte. Ob des wissenschaftlich fundierten Vorteils von Wolfgang Ehret und Frank Müske bin ich besonders froh, dass auch einige weniger gebildete Fans von Traditionsvereinen vorne bei den Propheten aufzeigen. Und wie!

Es ist der Spieltag der Senkrechtstarter. So ist es eben als Bulletinschreiber. Kaum vermutete ich im letzten Bulletin, dass sich die Tabellenspitze der prophetischen Liga langsam konsolidierte, straft mich der Spieltag Lügen. Aber richtig fett. Als Erster straft mich Georg Grass. Der VfB-Fan springt mal kurz satte 40 Plätze nach oben: von Platz 52 hoch auf Platz 3. Die nächste, die mich der grandiosen Fehl-Diagnose bezichtigt, ist auf Platz 4 Karin Hase. Sie dreht mir mit einem Sprung von 50 Plätzen nach oben eine lange Nase. Von wegen Konsolidierung der Tabelle. Mehr denn je ist alles drin in unserem kleinen Wettbewerb. Auf Platz 8 gleich noch einer, der urplötzlich aus der Tiefe der Tabelle erscheint: Udo Ziegler, der geschätzte Architekt und Mitspieler meiner Sonntagskicker-Mannschaft macht 48 Plätze gut. Prophet Ziegler schwenkt dabei ein Fähnchen von glatten 7 Volltreffern. Auch das eine Saisonbestleistung. Herzlichen Glückwunsch an den statistisch gesehen benachteiligten Teil der Bundesliga-Fangemeinde.

Und das führt mich wieder zum Anfang des Bulletins, als ich vermutete, dass sich Propheten vergleichweise oft wundern. Als Bulletinschreiber wundere ich mich auf jeden Fall. Möglicherweise sind Georg Graß, Karin Hase oder Udo Ziegler schon weiter. Vielleicht haben sie nach Durchsicht der aktuellen Tabellen schon gesehen: „Mensch, der Spieltag ist komplett für mich gelaufen.“ Vielleicht wundern sie sich gar nicht über den großen Sprung, den sie hingelegt haben. Schließlich handelt es sich um Propheten. Wahrscheinlich haben sie alles schon vorhergesehen.

PS: Die Fans von RB Leipzip sind auch sehr intelligent. Sie wissen das RB nicht Red Bull sondern Rasenballsport heißt, und sie wissen genau, wie man für Stimmung sorgt.

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