Teuerer als die Polizei erlaubt

Fußballvereine sollen sich an Polizeikosten beteiligen. Schlichte Denker mögen zustimmen. Höchste Zeit für ein historisch fundiertes Bulletin.

Es war einmal eine Zeit, in der es keinen Fußball gab. Philipp Heineken berichtet darüber. Mit der gleichnamigen Brauerei hat er übrigens nichts zu tun. Philipp Heineken wuchs in Cannstatt auf, lernte dort von englischen Jugendlichen wie man Fußball spielt – oder zumindest so was ähnliches. Wir sprechen über eine Zeit um 1870. Die Anfänge des Fußballspielens bestanden in einer rüden Mischung aus dem, was man später als Fußball oder Rubgy bezeichnete. Viele Jahre später, präzise gesagt 1930, veröffentlichte ein Heidelberger Verlag "Erinnerungen an den Cannstatter Fußball-Club". Dort erinnert sich Fußballpionier Heineken an die Zeit, in der sich in der Cannstatter Jugend die Sportarten herausschälen. Was Heineken im Absatz über Raufspiele protokolliert, ist mindestens erstaunlich.

Außer Fußball bestanden noch andere traditionelle Sports an unseren beiden Schulen. Da waren die mit großer Wildheit aufgeführten Schneeballschlachten zwischen den Schulen im benachbarten Stadtgarten, die jährlichen Kämpfe der vereinigten Schulen gegen die Volksschüler in den Straßen der Vorstädte, bei denen auf der einen Seite ausgiebiger Gebrauch von Steinen, auf der anderen Seite gute Knüppel und forsches Draufgehen die Hauptwaffen bildeten. Sie endeten meistens mit blutigen Köpfen auf beiden Seiten und des Dazwischentretens eines großen Aufgebots der Polizei. (...) Alle diese rauhen Unterhaltungen (...) verschwanden mit der Errichtung des Fußball-Clubs.

Interessanter Punkt, Herr Heineken.

Im Gegensatz zu den Beobachtungen des Zeitzeugen Heineken geben heute selbsterklärte Sicherheitsexperten den Fußballclubs selbst die Schuld für Schlägereien, Brutalitäten und andere Straftaten rund um Fußballspiele. Im Verbund mit ihren Polizeien versuchen einzelne Bundesländer – allen voran der Stadtstaat Bremen – die Vereine für die allfälligen Einsätze abzukassieren. Der Argumentation zugrunde liegt das Verursacherprinzip. Blechen sollen gefälligst die Veranstalter. Dass die Polizei ohne den Fußball und andere gut organisierte Spielformen viel mehr zu tun hätte, als nur Bundesligaspiele zu beaufsichtigen – für diesen Zusammenhang interessiert sich die unsägliche Allianz der uniformierten Sicherheit nicht. Dabei beschreibt Heiniken eine simple Tatsache: In Cannstatt hat erst der Fußball Straßenschlachten unter jugendlichen Stadtteilbanden überflüssig gemacht. Für die heutige Politik ist diese Erkenntnis leider viel zu lange her. Wen interessiert schon 1870? Zugegeben, damit lassen sich Rechnungen eines überdimensionerten Polizeiapparats nicht bezahlen.

Stattdessen lamentiert die Polizei der Hansestadt Bremen über Zusatzschichten, die sie bei Hochsicherheitsspielen einlegen muss. Konkret geht es in einem Verfahren, das das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig dieser Tage entschieden hat, um sieben Hochsicherheitsspiele. Einige gegen den HSV, aber auch welche gegen Hannover, Frankfurt und Gladbach. Sieben Mal Zusatzschichten, sieben Mal extra berittene Einheiten angefordert, sieben Mal Überstunden aufgeschrieben. Also sieben Mal Mehraufwand für den Schutz derer, die gefahrlos ein Spiel besuchen wollen. Übrigens: Was ein Hochsicherheitsspiel ist und was nicht, erklärt sich nicht logisch. Vor kurzem wurde Jahn Regensburg gegen den VfB Stuttgart in der zweiten Liga zum schwierigen Spiel erklärt. Die Lachnummer eines Hochsicherheitsspiels ist aus einer Fanfreundschaft von Regensburg und Kickers Stuttgart entstanden. Anlässlich des Spieles haben viele Jahn-Fans zum ersten Mal von einer solchen Freundschaft erfahren. Das Leipziger Verwaltungsgericht hat verkündet, dass es grundsätzlich rechtens ist, wenn die Vereine bei solchen Spielen für die besonderen Sicherheitsvorkehrungen zur Kasse gebeten werden.

Mehr Polizei = Mehr Sicherheit

So argumentieren die Eindimensionalen. Gerade fußballferne Innenminister gelten als empfänglich für derlei Kurzschlussfolgerungen. Vielen Fußballfans graut es vor diesem Ansatz. Etliche seriöse Strafrechtsexperten sind davon überzeugt, dass Sicherheitsfanatiker den Fußball als Experimentierfeld für polizeiliche Konzepte missbrauchen. Im Klartext: Die Polizei versuche in einzelnen Fällen aktiv und absichtlich den Fußball zu kriminalisieren.

Aufhorchen lässt eine Meldung aus Baden-Württemberg. Dort hat man in den letzten Jahren die Polizeipräsenz bei Fußballspielen heruntergefahren. Dem SWR sagte Polizeisprecher Uwe Stahlmann: „Wir sind zu dem Schluss gekommen: Fußball ist nicht schlimm. Zu Störungen, so der Sprecher, käme es nur bei etwa ein bis zwei Prozent der Spiele in Baden-Württemberg. Polizeisprecher Stahlmann spricht davon, dass die öffentliche Wahrnehmung bei Fußballspielen eine andere sei.

In der SWR-Meldung zieht Stahlmann den bemerkenswerten Vergleich, der in die Herbstsaison passt. Während in den Medien im Zusammenhang mit dem Cannstatter Wasen meist von einem ruhigen Fest die Rede sei, rückten beim Fußball negative Vorkommnisse viel mehr in den Vordergrund. Dabei käme es rund um das Stuttgarter Volksfest zu deutlich mehr Straftaten als bei allen in einer Saison von der Polizei begleiteten Fußballspielen, so Stahlmann.
Den Cannstatter Wasen besuchten zuletzt rund 3,5 Millionen Menschen, der Fußball in Baden-Württemberg verzeichnete in den ersten fünf Ligen in der vergangenen Saison gut drei Millionen Stadionbesucher.

Weniger Polizei = Mehr Sicherheit

Das baden-württembergische Umdenken in Sachen Polizeipräsenz bei Fußballspielen basiert auf einer Studie der Fachhochschule Potsdam. Dort wurde festgestellt, dass die für Sicherheit relevanten Gruppen rund um ein Fußballspiel in vielen Fällen nicht optimal zusammenarbeiten würden. Außerdem würden Stadionbesucher und Vereine das Sicherheitsaufgebot in den meisten Fällen als übertrieben empfinden.

Manchen Hardlinern wird das nicht passen. Der saarländische Innenminister Klaus Bouillon wollte vor kurzem seinen Fanprojekten die Mittel streichen, weil er von Störfällen bei einem Regionalligaspiel erfahren hatte. 200.000 Euro könne man sparen, so rechnete der schlichte Denker. Da widersprach sogar die Polizei. Sie betonte die gute Zusammenarbeit mit den Fanprojekten und unterstrich die gute Arbeit, die dort geleistet wird. Man soll die Polizei nicht unterschätzen. Viele Beamte wissen aus eigener Anschauung am besten, wo Präsenz notwendig ist, und welche Kräfte es wirklich sind, die Straftaten im Keim ersticken. Der Fußball selbst übernimmt diesen Job wirkungsvoll seit 1870. Wenn man ihn nicht schon hätte, müsste man ihn glatt erfinden. Glücklicherweise haben es Pioniere wie Philipp Heineken bereits getan. Sein Buch"Erinnerungen an den Cannstatter Fußball-Club" sollte in deutschen Innenministerien zur Pflichtlektüre erklärt werden.


Vielen Dank für den Hinweis auf dieses wunderbare Buch, lieber Flo Gauß (extrem verdienstvoller Historiker des VfB Stuttgart)

Ach... und der Werbeblock darf nicht fehlen.
Es sollen noch einige Exemplare übrig sein, die man käuflich erwerben kann. Für schlappe 18,- Euro. Im guten Buchhandel um die Ecke lohnt die Bestellung. Und falls Euch dort jemand fragend anschaut oder der was von "ausverkauft" erzählen will: Einfach bei mir melden. Ich hab noch ein paar auf Lager, gell.

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